August 12th, 2019

GRUBBS (#95, 2002)

Posted in interview by Thorsten

Rachitis & Skorbut
Belgisches Landleben mit David Grubbs

Mit Jim O’Rourke und John McEntire bildet David Grubbs ein Dreigestirn, das in wechselnden Konstellationen der Rockmusik nach Hardcore immer wieder wesentliche Impulse gegeben hat. Squirrel Bait, Bastro, Slint, Bitch Magnet, Codeine, Red Krayola, Gastr del Sol – so hießen die Bands, in denen Grubbs – mal mehr, mal weniger federführend – spielte. Vor einer halben Ewigkeit sprach er mit Julian Weber fürs TRUST in seiner Eigenschaft als Mitglied von Bitch Magnet, Gastr del Sol wurden an diesem Ort später auch gewürdigt. Seit dem Ende von Gastr del Sol veröffentlicht Grubbs vorwiegend unter eigenem Namen. Seit drei Jahren lebt er in Brooklyn. Vor kurzem erschien mit „Rickets & Scurvy“ ein neues Grubbs-Album. Weil es so ein schönes entspanntes Album voller feiner Songs ist, und weil es auch sonst mal wieder an der Zeit ist, Grund genug, kurz mal durchzurufen und zu fragen, was seit Gastr del Sol geschah.

Rückschau
„Wir lösten uns auf, als Jim und ich aufhörten, miteinander zu arbeiten. Wir hatten vier oder fünf Jahre lang ziemlich intensiv zusammengearbeitet, in Gastr del Sol und Red Krayola. Bei Gastr spielten zwar viele Leute, aber der Kern waren wir zwei. Und als wir aus persönlichen Gründen nicht mehr zusammenarbeiten wollten, hörte die Band auch auf.“

Ihr dachtet, es wäre an der Zeit, mal getrennte Wege zu gehen?

„Es ist immer schwierig, darüber zu reden. Leute neigen dazu, menschliche Beziehungen in Begriffen künstlerischer Beziehungen und Ziele zu beschreiben und fragen dann: ‚Habt Ihr erreicht, was Ihr mit der Gruppe erreichen wolltet?‘ oder so. Das ist nicht notwendigerweise richtig, weil es ein offenes Projekt war, und wer konnte wissen, was wir von Jahr zu Jahr erreichen würden? Es waren einfach zwei Menschen, die beschlossen, nicht mehr miteinander zu arbeiten.“

Es folgten viele Kollaborationen und fünf Solo-Alben. „Rickets & Scurvy“ ist das Sechste. Nicolas Vernhes produzierte nicht zum ersten Mal, viele Musiker – wie John McEntire und Noël Akchoté – spielen bereits seit längerem auf Grubbs‘ Platten, zum allerersten Mal sind hier nun Matmos mit Grubbs zu hören.
Nicht, dass ihr Beitrag eine spektakuläre neue Fusion von Gitarre und Elektronik brächte, sehr dezent fügt sich ihr Tun vielmehr in den sehr warmen Gesamtklang ein, nur an wenigen Stellen werden sie prominent.

„Ich habe nie zuvor mit ihnen gearbeitet. Drew Daniel ist aus Louisville, und ich schätze, er ist drei oder vier Jahre jünger als ich, deshalb kannte ich ihn nicht besonders gut, als ich dort wohnte. Aber sie waren letztes Jahr sechs Monate in New York, als sie mit Björk arbeiteten, und es war eine völlige Freude, mit ihnen abzuhängen. Ich wusste, ich wollte etwas mit ihnen machen, und wir werden das wahrscheinlich auch in Zukunft fortsetzen.“

Elektronische Musik spielte in den letzten Jahren auf deinen Platten keine große Rolle, oder?

„‚Camoufleur‘, das letzte Album von Gastr del Sol hat diese Beiträge von Markus Popp von Oval. Und viel von dem, was uns ‚Camoufleur‘ bedeutete, als wir daran arbeiteten, war der Versuch, Markus‘ Arbeit frontal zu treffen und sie irgendwie mit dieser instrumentalen, vor allem akustischen Musik funktionieren zu lassen. Und weil ich das so eng mit ‚Camoufleur‘ identifizierte, vermied ich auf den nächsten Soloplatten Elektronik bewusst. Ich dachte, ich sollte eine Pause damit machen, diesen Konflikt zwischen Elektronik und akustischen Instrumenten zu verhandeln. Im Kern von ‚The Thicket‘, dem ersten Soloalbum nach ‚Camoufleur‘, hast du akustische Gitarre, Banjo, Mandoline, solche Sachen. Es war eine Kombination daraus, dass eine lange Zeit seit ‚Camoufleur‘ vergangen ist – vier oder fünf Jahre -, und, dass ich außerdem mehr Aufnahmen und Produktionen zuhause mache, ganz einfach wegen der Verfügbarkeit der Technologie. Wie könnte man das nicht machen wollen?! So schien es an der Zeit, diese Frage wieder aufzunehmen.“

Enormous Critics
David Grubbs macht nicht nur Musik, er schreibt auch darüber – für die „Süddeutsche Zeitung“. Hat er als Kritiker eine völlig andere Perspektive auf Musik als wenn er eine eigene Platte hört, wenn sie fertig ist? Oder ist es möglich, die gleichen Kriterien an eine eigene Platte anzulegen?

„Interessante Frage. Das ist ein schwieriger oder gefährlicher oder unbefriedigender Prozess, deine eigene Platte wie ein Kritiker zu betrachten, wenn sie fertig ist, so wie du jemand anderes Platte betrachten würdest. Denn wenn du ein Album beendet hast, ist es beendet. Es ist keine Performance, die sich in Echtzeit oder von Nacht zu Nacht verändert. Du könntest den Verstand verlieren, wenn du es im nachhinein verändern wollen würdest. Ich denke, du musst den Kritiker spielen, während du eine Platte machst. … Ich meine, es ist etwas sowohl Befriedigendes als auch schwierig zu Akzeptierendes, wenn du einen rosa Streifen in der Post hast, der sagt: Deine neue Platte ist angekommen, und du gehst zum Postamt und schleppst den Karton in dein Apartment, was ich gerade diese Woche gemacht habe. Es ist zum einen befriedigend, zum anderen denkst du: Ist das jetzt alles? Ich neige dazu, kürzere, konzisere Platten zu machen. Und der Bogen zwischen dem Schreiben, dem Aufnehmen, die Vorbereitung der Live-Show, dem Artwork etc. dauert ein halbes Jahr oder so. Dann schaust du es dir an: Das sind 35 Minuten Musik (lacht), wie kann man das in so ein kleines Stück Plastik destillieren?! Das ist wiederum einer der Gründe, weshalb ich so viele Platten mache. Jede Platte katapultiert mich zu dem Wunsch, es wieder zu versuchen, etwas hinzuzufügen, oder etwas auszuarbeiten, was ich vorher versucht habe.“

Du bist also nie zufrieden.

„Nein. Zeitweise zufrieden. Fünf Minuten der Zeit. Hahaha.“

In diesem Jahr gibt es ein weiteres Album von Grubbs: „Act Five, Scene One“.

„Die kommt auf meinem eigenen Label Blue Chopsticks, das von Drag City hergestellt wird. Ein 60-minütiges Instrumentalstück, ein Trio mit Tony Conrad und Dan Brown.“

Ich bilde mir ein, dass es in deiner Musik eine grobe Entwicklung von „Punkrock“ (Squirrel Bait) über „Postrock“ (Gastr del Sol) zurück zu etwas strukturierteren Sachen gibt, zum Song, wie auch bei Gastr del Sol selbst, wo „Camoufleur“ nach den sehr freien früheren Sachen fast ein Pop-Album war.

„Ganz sicher gab es eine Periode bei Gastr del Sol ‚in der Wildnis‘, als wir dachten, das Spiel wäre absolut offen und wir könnten alles machen, solange es nicht nach Rocksongs klingt oder nach irgend etwas was wir vorher gemacht hatten, wie Bastro oder Squirrel Bait. ‚Camoufleur‘ war der Klang von uns, wie wir dabei waren, die Mechanismen der Selbstzensur zu entfernen. Es war uns zuerst fast peinlich zu sagen, dass es wirklich gut klingt, hahahaha… Und ich denke, dass Jim auf seinen Soloplatten Sachen macht – alle möglichen Sorten von Rockmusik -, die damals undenkbar oder irgendwie tabu waren, weil er sich als Komponist sah, nicht als Rockmusiker.“

So etwas wie sein elektroakustisches Soloalbum „I’m Happy, And I’m Singing, And A 1, 2, 3, 4“ (auf Mego) wäre nichts für dich als Musiker?

„Ääääähm, … nein, … hahaha. Ich mag viele Dinge auf Mego, und ich mag viele extrem abstrakte Elektroniksachen, aber was meine Musik angeht, muss es in einen größeren Kontext inkorporiert werden, um mich zu befriedigen. Das ist ein Punkt, an dem ich mich als Musiker sehr von mir als Hörer unterscheide.“

Kentucky Karaoke
„Rickets & Scurvy“ klingt auf eine Weise recht ländlich. Auch das Photo mit den beiden seltsamen Herren auf Pferden entstammt diesem Zusammenhang.

„Es kommt aus dem ländlichen Belgien…. wirklich. Die Limburger Region. Es ist ein Photo von Marcel Broodthaers, der in den 60ern Künstler wurde, ein belgischer Konzeptkünstler, der vorher Photojournalist war und in Südlimburg lebte. Er machte viele Photos von Landfesten, vor allem von Hochzeiten und auf Festivals, wo sich die Leute mittelalterlich verkleiden. Ich mochte die Bilder sehr gern. Rickets & Scurvy (Rachitis und Skorbut) sind zwei Krankheiten, die durch Vitaminmangel verursacht werden. Es war eine Art visueller Witz, weil die beiden Männer irgendwie aussehen wie Mr. Rickets & Mr. Scurvy, wie Louis & Clarke, Beavis & Butthead oder so.“

Du erwähntest einige Male Red Krayola. Was machen die eigentlich zur Zeit?

„Es ist immer ein Mysterium, bis es beginnt zu passieren. Mayo Thompson scheint ein paar Schritte zurückgetreten zu sein und überlegt zur Zeit, was mit Red Krayola passiert, überlegt, ob er unter eigenem Namen arbeiten sollte. Außerdem leitet er eine Kunstgallerie in Los Angeles. Es ist interessant, denn andere Leute von Red Krayola werden in dieser Zeit aktiver. Albert Oehlen zum Beispiel, der in Köln lebt, war sehr präsent auf den letzten Platten, und in der Zeit, in der Red Krayola ruht, macht er mehr aus seinen eigenen Platten. Ich erwähne das, weil auf ‚Rock’n’Roll Is Here To Die‘, der nächsten Platte von Van Oehlen – der Band von Albert und Markus Oehlen), Mayo die meisten Stücke singt. Obwohl es also eine Art Prohibition für neue Red-Krayola-Aktivitäten zu geben scheint, hat Albert Oehlen Red Krayola sehr clever für diese Platte zusammengebracht.“

Bist du auch auf dieser Platte zu hören?

„Nein, aber ich bringe sie heraus.“

Was machst du noch auf deinem Label?

„Ich habe zwei Platten von Luc Ferrari herausgebracht, einem französischen Komponisten, zwei Platten von Mats Gustafsson, einem schwedischen Saxophonisten, und ich habe die neue Platte der Kölner Band Workshop lizensiert.“

Wie geht deine Arbeit für die Süddeutsche Zeitung vonstatten?

„Einmal im Monat schicke ich ihnen eine Besprechung, und für gewöhnlich lasse ich sie vorher wissen, worüber es sein wird. Nur ein paar Mal haben sie Themen vorgeschlagen. Sie würden wahrscheinlich froh darüber sein, wenn ich auch mal über Destiny’s Child oder Britney Spears schreiben würde, nicht nur über obskure Minimalisten, die gerade wiederentdeckt wurden. Wenn ich Kabelfernsehen hätte und MTV und zwei Stunden am Tag im Hintergrund diese Sachen hören würde, mehr davon absorbieren würde, was im Mainstream passiert, dann würde ich mich auch wohl damit fühlen, über Destiny’s Child zu schreiben. Jetzt wäre es nur darüber, was ich bei anderen Leuten in der Village Voice oder der New York Times gelesen habe. Es wäre vermittelt dadurch, was ein Intellektueller schon herablassend darüber geschrieben hat, hahaha.“

Worüber schreibst du denn?

„Ich wollte über Rhys Chatham schreiben, aber dann kam die Compilation nicht raus. Gerade schreibe ich über Arto Lindsay.“

Ich habe mich gestern mit einer Noiserockband unterhalten. Ihr Sänger meinte, sie würden nicht wirklich viel Musik hören, weil es schwierig wäre, einen eigenen Stil zu kreieren, wenn man zu viel Musik hört…

„Es macht es schwieriger sich einzubilden, man würde etwas Eigenes machen. Hahaha. Wenn du niemandem anders zuhörst, ist es einfacher, dich selbst davon zu überzeugen, dass du etwas Originelles machst.“

(stone)

Solo-Diskographie

Alben:
„Banana Cabbage, Potato Lettuce, Onion Orange“ – (Table Of Elements – 1997)
„The Thicket“ – (Drag City – 1998)
„Apertura“ – (Blue Chopsticks – 1999)
„The Spectrum Between“ – (Drag City – 2000)
„The Coxcomb“ – (Blue Chopsticks – 2000)
„Thirty Minute Raven“ – (Rectangle – 2001)
„Rickets & Scurvy“ – (FatCat/Drag City – 2002)
„Act Five, Scene One“ – (Blue Chopsticks – 2002)

Singles & Eps:
„Never Gonna Get Ahead“ – (Truckstop – 1997)
„The Coxcomb/Avocado Orange EP“ – (Blue Chopsticks – 2000)

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