März 15th, 2007

GLEN MATLOCK (#60, 10-1996)

Posted in interview by sebastian

Bis dieses Heft beim Leser ankommt, wird die „Tour des Jahres“ schon wieder vorbei sein. Ihr wisst von wem ich spreche, den Sex Pistols. Helter Skelter war das Motto der Festivals, bei denen sie in Deutschland gespielt haben. Ich habe zwar bis auf einen kurzen TV-Ausschnitt nichts davon mitbekommen, aber das, was ich gesehen habe, war sehr erbärmlich.

Diejenigen von euch, die sich das Spektakel angetan haben, werden dies hoffentlich ohne zu grosse Erwartungen gemacht haben. Die Sex Pistols waren für mich persönlich sowieso schon immer völlig überschätzt.

Mag ja sein, dass sie damals kurz der Inbegriff des Punk waren, nur die Musik an sich empfand ich nie richtig aufregend. Aber ich will hier nicht die Sex Pistols beschimpfen, sondern auf Glen Matlock zu sprechen kommen. Der war vor Sid der richtige Bassist der Pistols und hat jetzt eine Solo-LP mit dem Titel „Who’s He Think He Is When He’s At Home?“ herausgebracht.

Sie hat mit Punk nicht sehr viel zu tun, sondern ist mehr das, was man als normale Rock-Musik bezeichnen könnte. Das soll jetzt kein Verriss sein, sondern nur davor warnen, Matlocks Job vor 20 Jahren in Bezug auf seine jetzigen Sachen überzubewerten. Nevertheless, hatte ich Gelegenheit, mit ihm kurz via Telefon zu sprechen.

***

Ich war ziemlich erstaunt, als ich von deiner Solo-Platte erfuhr. Ich dachte, du würdest ein geregeltes Leben führen und mit Musik nicht mehr viel am Hut haben. Was hast du in den letzten Jahren gemacht?

Glen: Oh, ich habe viel gemacht, sehr viel. Ich habe andauernd mit vielen verschiedenen Menschen gespielt. Nach den Sex Pistols gab es die Rich Kids, danach habe ich ein paar Jahre mit Iggy Pop Musik gemacht. Dann habe ich mit Ian Hunter gearbeitet, danach hatte ich eine Band, die The Spectors hiess, wir haben viel in den Staaten gearbeitet, danach war ich ein paar Jahre bei Johnny Thunders, danach habe ich beim Film gearbeitet. Ich habe aber die ganze Zeit Songs geschrieben, Sessions aufgenommen etc. Ich war eigentlich die ganze Zeit relativ beschäftigt.

Das Problem ist nur, dass ich mit den Pistols angefangen habe und für das Publikum alles, was danach kam, als ein Schritt nach unten aufgenommen hat. Dadurch war ich auch einige Zeit sehr desillusioniert mit Musik, nein, eigentlich nicht mit Musik, sondern mit Plattenfirmen und den Leuten, mit denen du dich rumschlagen musst.

Es ist einfach ein Business. Also habe ich eine Weile aufgehört, viel getrunken, aber auch gemerkt, dass das nicht viel bringt, und jetzt besinne ich mich wieder auf meine Musik. „Who’s He Think….“ ist das Resultat.

Sind diese Songs jetzt vor kurzem geschrieben worden oder ist es eine Zusammenstellung von Sachen, die du in den letzten zehn Jahren geschrieben hast?

Glen: So in den letzten zehn Jahren sind sie entstanden. Aber im Grunde ist es so gelaufen: Ich habe mit Chris McCormick an der Gitarre und Keith Baxter an den Drums dieses Album aufgenommen.

Als ich also wusste, ich will dieses Album machen, habe ich mir einen übungsraum besorgt und einen ganzen Haufen Lieder mitgebracht, völlig ohne darauf zu achten, wie alt sie waren. Wir haben dann angefangen, sie zu spielen und aus diesem Haufen dann 12 bis 14 herausgepickt, weil wir wussten, dass die zusammenpassen würden. Und sie waren es, die mir das gute Gefühl gaben, 1995 noch einen Platz zu haben. Wir haben die Platte ’95 aufgenommen.

Auf einigen Tracks spielst du auch wieder mit deinem alten Rich Kids Kollegen Steve New zusammen. Ist das Line-Up der Platte nur eine einmalige Sache oder willst du mit demselben Personal auch live spielen?

Glen: Ich sehe uns so als lose Band. Wir haben sogar vor kurzem ein Video gedreht und Steve ist dort auch zu sehen…. ich wollte auch eine kurze England-Tour machen und nur weil ich jetzt das Pistols-Ding mache, habe ich dafür keine Zeit. Es wird nächste Woche einen Gig in London geben, da wird Steve auch mitspielen, nur lebt er jetzt in Amerika, war auch nur durch einen tragischen Umstand in England, da seine Schwester gestorben war. Ich hatte ihn getroffen und vorgeschlagen, bei den Aufnahmen mitzumachen, um ihn auf andere Gedanken zu bringen.

Aber ich spiele mit den anderen genauso gern, ich habe das Glück, dass ich mir für eine Tour genügend Leute aus meinem Bekanntenkreis suchen kann. Aber ich kann dir sagen, ich habe in so vielen Bands gespielt und immer wird innerhalb der Band gestritten etc. Irgendwann, wenn du älter wirst, bist du die grosse, graue Eminenz und kannst den anderen sagen, wie es gemacht wird.

Ist das nicht eine schreckliche Verwandlung vom wilden Punk zur grauen Eminenz?

Glen: Nein, wieso? Punk hat doch viel verändert, die Ansichten der Menschen beeinflusst. Ich meine nicht nur in der Musik. Ich kenne eine Menge Leute in allen Sparten des Leben, besonders in den Medien, in der Modebranche, Designer, Graphiker, die früher Punks waren und man merkt das an den Arbeiten, die sie heute machen. Es hat ihren Horizont erweitert. Punk hatte eine grosse Wirkung! Punk hiess immer, keine Scheisse zu akzeptieren, und das ist doch gut.

Wie lebt es sich mit dem Etikett „Ex-Sex Pistols“?

Glen: Ich kenne es nicht anders, also habe ich mich damit abgefunden. Manchmal ist es gut, manchmal nicht…

Nur hast du die Band kurz vor ihrem absoluten Durchbruch verlassen, für die meisten ist Sid der Bassist der Pistols.

Glen: Ja, aber mein Name steht hinter fast allen Songs und wenn die Leute so denken, sollen sie doch, mich ärgert das nicht. Ich war drei Jahre lang bei den Pistols, dann war es Zeit, weiterzuziehen. Wenn mich über die Jahre hinweg etwas genervt hat, dann waren es finanzielle Geschichten, die nichts mit der Band selber zu tun haben, sondern mit Plattenfirmen und Geschäftsleuten.

Es war aber schon so, dass du bei den Rich Kids stärker Rock-orientierte Musik geschrieben hast, als noch bei den Pistols….

Glen: Nein, finde ich nicht. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass die Sex Pistols nie eine Punkband waren. Sie waren eine der letzten grossen Rockbands, nur mit einem eigenartigen Sänger, Johnny Rotten, eben. Die Rich Kids waren doch eine Popband. Wenn du eine Band hast, geht es oft darum, was für einen Sänger du hast. Midge Ure war ein Pop-Sänger, also waren wir auch eine Popband.

Im Endeffekt war ich von ihm etwas enttäuscht, dass er nicht mehr von dem besass, was ich jetzt „Punk-Ethik“ nennen will, das ist auch der Grund, warum die Band sich getrennt hat. Die 70er waren nicht nur Punk-Rock, es gab tolle Sachen davor, die Faces, Slade, diese Bands waren kein Teil einer Bewegung, sie hatten kein soziales Bewusstsein, aber sie waren trotzdem tolle Bands.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Iggy Pop nach den Rich Kids?

Glen: Das war kurz nachdem sich die Rich Kids getrennt hatten, ich sass Zuhause und hatte keinerlei Ahnung, was zum Teufel ich jetzt machen sollte. Ich wünschte, jemand würde mich anrufen und mir diese Entscheidung abnehmen, als das Telefon klingelte. Am Apparat war Peter Davis, der Manager von Iggy, und er erzählte mir, sie würden einen Bassisten suchen. Ich traf Iggy, und wir arbeiteten ein paar Jahre zusammen. Ich hatte einfach Glück damals.

Es ist klar, dass für deine Platte mit dem Attribut „Ex-Sex Pistols“ geworben wird. Glaubst du, dass den alten bzw. neuen Fans der Pistols, die Platte gefallen wird?

Glen: Ich habe keine Ahnung! Mir ist es egal, warum sie sie mögen, Hauptsache sie mögen sie. Die Leute, die heute immer noch Punk hören, werden vieleicht nicht so begeistert sein, aber die leben dann auch ein wenig in der Vergangenheit. Sie denken, Punkrock wird immer weiterleben, es sollte sich nichts ändern, sie wollen überhaupt keine Entwicklung. Und von denen gibt es eine ganze Menge.

Ich vergleiche diese Leute immer mit den Teds, die leben immer noch in den 50ern, die Punks von heute leben immer noch in den späten 70ern. Aber das ist doch auch nicht richtig. Für mich war Punk etwas, was mit Veränderung zu tun hatte. So wie die Mods in England in den 60ern. Mods stand für Modernisten, sie wollten jetzt leben und nicht in der Vergangenheit. Auf der anderen Seite, sehe ich meine Platte vom Songwriting her schon als eine sehr klassische Arbeit.

Ich suche, immer wenn ich einen Song schreibe, nach dem perfekten Rock-Song, das ist so eine Art Suche nach dem heiligen Gral, ich habe ihn natürlich noch nicht gefunden. In England hatte die Musik in den 80ern eine eigenartige Richtung eingeschlagen, aber jetzt mit Bands wie Oasis, Pulp, Supergrass, sind wir wieder auf dem richtigen Weg. Ich finde dadurch auch das, was ich mache, wieder absolut modern.

Aber Oasis klauen doch jeden Akkord bei den Beatles und dazu sind sie auch noch so überzeugt von sich….

Glen: Aber um erfolgreich zu sein, musst du wirklich 200%ig an das glauben, was du machst. Oasis tun das und haben Erfolg. Ich glaube nicht, dass sie alles toternst meinen, sie sind ein paar junge Typen, die es sich gutgehen lassen. Das ist es doch, worum es bei Rock-Musik geht. Es geht nicht darum, Universitäts-Professoren zu sein, es geht darum, Spass zu haben.

Spass ist nicht alles, aber wenn du den Spass verlierst, hast du nichts mehr. Die einzige Idee hinter Musik ist, Menschen auf die eine oder andere Weise ein gutes Gefühl zu geben. Wenn du also selbst kein gutes Gefühl bei der Sache hast, wirst du auch niemand anderen ein gutes Gefühl geben können. Oasis sind aus diesem Grund eine gute Band. Ich weiss, was du meinst, das ist die Arroganz der Jugend, die Sex Pistols waren genauso. Wären wir damals nicht arrogant gewesen, hätten wir es zu nichts gebracht.

Was hälst du von den heute erfolgreichen Punk-Bands wie Green Day, die 10 Milionen Platten verkaufen?

Glen: Das kotzt mich absolut an! Nein, …äh… ich denke mir „Klar macht nur, viel Glück“….. Ich finde sie nicht so gut, sie sollen Punkbands sein, für mich sind sie, wenn überhaupt, nur dritte Wahl Punkbands. In den Spät-70ern gab es noch richtig gute Bands wie z. B. Suburban Studs oder Eater, das waren Punkbands, zumindest für mich.

Aber Green Day sind schon OK, sie haben in Woodstock mit Schlamm um sich geworfen, dass sah spassig aus. Sie sind Amerika und irgendwie passen sie dort in ein musikalisches Klima, das ich nicht verstehe. Ich möchte mir deshalb auch kein Urteil erlauben, nur persönlich ist es nicht mein Geschmack.

Wen würdest du von den jetzt existierenden Bands aus dem Punkbereichals persönlichen Favoriten nennen?

Glen: Oh….äh…heutige Punkbands??? …..Ich mag Oasis wirklich, ich finde die sind mehr Punk als alle anderen, auch wenn du mir das jetzt vielleicht nicht glauben willst. Sie haben zumindest ihre Einstellung, ihre Texte sind nicht so toll, aber das ist nicht so wichtig. Bei Oasis merke ich aus dem Bauch heraus, dass sie alles haben, was sie brauchen.

So, jetzt kommt die unausweichliche Frage, warum die Tour???

Glen: Das Geld war die Hauptüberlegung. Aber es ist auch so, dass die Zeit die richtige ist. Ich habe keine Ahnung, ob es überhaupt gut wird. Bis jetzt haben wir noch nicht mal im selben Raum gespielt, nächste Woche fliege ich in die Staaten, um mit den Proben anzufangen, dann weiss ich mehr. Es ist auch so, dass wir nie „das“ Geld gesehen haben, das uns damals eigentlich zustand. Das haben sich die Anwälte, Vertriebe, Plattenfirmen usw. in die Taschen gesteckt. Die Steuer hat viel geschluckt. Malcolm hat davon auch fast nichts bekommen, aber wir waren keine Businessmen.

Wenn man unsere Berühmtheit damals, unseren Einfluss auf die Musik betrachtet, haben wir nicht genug verdient. Wenn wir jedesmal einen Pfennig bekommen hätten, wenn der Bandname genannt wurde, wären wir jetzt sehr vermögend, wir sind es aber nicht. Wir kommen über die Runden, aber denken, dass die Tour auch ein Weg ist, die ganze Abrechnung im Nachhinein gerechter zu machen. Der andere Grund ist, dass wir dadurch das, was wir gemacht haben, noch unterstreichen können, denn ich denke, wir sind noch jung genug, um es richtig zu tun.

Aber Rock’n’Roll wird meistens mit Jugend assoziiert, die Pistols haben sich vor 18 Jahren aufgelöst. Wie wollt ihr es schaffen, dasselbe Feeling wie damals zu erzeugen? Dieselbe Musik ja, aber das Feeling? Lauft ihr nicht Gefahr, wie ein paar alte Säcke zu erscheinen, die händeringend versuchen, ihre Jugend ein zweites Mal zu durchleben?

Glen : Ich weiss nicht, ich kann nur sagen, dass auf der Pressekonferenz das Feeling zwischen uns genauso war wie damals. Ich glaube wir haben noch all das, was es braucht. Wir würden es nicht tun, wenn wir uns nicht sicher wären, dass uns niemand mit faulen Eiern bewerfen wird. Und das werden sie nicht! Ich glaube, dass viele Leute positiv überrascht sein werden.

Also wird die Tour den Kult nicht zerstören?

Glen: Nein! Das wäre das letzte, was wir tun wollten. Aber was bringt es dir schon, in irgendeiner Weise Kult zu sein? Heute sind wir Mainstream und werden es auch bleiben.

***

Was jetzt in geschriebener Form nicht so klar erkennbar ist, ist, dass Glen Matlock die Fragen zur Tour in gewisser Weise peinlich zu sein schienen. Er machte bei den Antworten den Eindruck, als wäre das Ganze ein blöder Nebenjob, den er am liebsten unter den Tisch fallen lassen würde.

Besonders die Beteuerungen, dass die Pistols ihren Ruf nicht zerstören werden, klangen wie einstudiert, nicht überzeugend. Aber wer von uns würde, wenn er ganz ehrlich ist, bei $ 100.000 Dollar pro Gig (Achtung Gerücht!!) schon nein sagen???

Text & Interview: Al Schulha

Links (2015):
Wikipedia
Homepage Sex Pistols
Discogs GM

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