Juli 8th, 2019

FLUXUS/BENJAMIN PATTERSON (#161, 2013)

Posted in interview by Jan

„Als ihr angefangen habt, was waren eure Einflüsse, Dada und Surrealismus?
Unzufriedenheit! Ganz am Anfang stand die Unzufriedenheit. Du schaust dich nicht nach anderen Alternativen um, wenn du zufrieden bist. Das war zuerst. Auf jeden Fall dann der Existentialismus aus Europa. Sartre und Camus, das lasen wir alle und war für uns 100 Prozent eine wichtige Inspiration. Wittgenstein war Pflichtlektüre. Zen-Buddhismus war auch wichtig, ich denke, dass waren so die wichtigsten intellektuellen Einflüsse. Und natürlich ein generelles Interesse an der Musik weltweit, die neu war, indische Musik wurde gerade bekannt.“

Im Gespräch mit Fluxus-Künstler Benjamin Patterson

Fluxus ist eine Kunstrichtung (Musik, Literatur, Videos, Malerei, Performance), die 1961 zuerst in New York entstand. Die offizielle Geburtsstunde war das Jahr 1962 in Wiesbaden. Und somit wurde 2012 das 50 jährige Fluxus-Jubiläum gefeiert. Es gab in der „Zeit“ zu diesem Anlass einen guten Artikel, an dem ich mich im folgenden anlehne.

Zum Inbegriff der „Fluxus Internationalen Festspiele Neuester Musik“ in der hessischen Landeshauptstadt 1962 wurde die Aufführung von „Piano Activities“ von Philip Corner. Seine Komposition schrieb vor, dass mehrere Spieler einen Flügel zum Klingen bringen, ohne die Tastatur zu benutzen. Die Wiesbadener Interpretation setzte das Konzept besonders um: Die Künstlergruppe bearbeitete den Flügel so lange mit Hämmern, Sägen und Brechstangen, bis nur noch Trümmer übrig waren. Der Fluxus – Cheforganisator war George Maciunas (1931 – 1978). Er publizierte zum Beispiel das Fluxus-Manifest. Ein weiterer Protagonist war Nam June Paik (1932 – 2006).

Als Schüler des Komponisten Karlheinz Stockhausen übertrug er dessen Manipulationen elektronisch erzeugter Töne in optische Signale (Paiks Konzept der „Aktion-Musik“ ist übrigens Namenspate für den „A-Musik“-Plattenladen in Köln). Zu Fluxus zählen übrigens auch Al Hansen, der Opa von Beck, und Christof Schlingensief.

Fluxus hat mich schon immer interessiert. Kürzlich las ich erneut das Buch „Lipstick Traces. Von Dada bis Punk. Eine geheime Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts“ von Greil Marcus. Er analysiert dort ja die verborgenen historischen Wurzeln von Punk (Dadaismus in Zürich, Situationismus in Frankreich). Mich hat es stutzig gemacht, dass Fluxus mit keiner Silbe erwähnt wurde.

Denn die Bezüge liegen doch auf der Hand, zum Beispiel zeigen verschiedene Bandnamen schon einen roten Faden: wie The Flucts, die frühere Band von Lee von Sonic Youth (letztere wiederum coverten Musik von George Macunias). Wie die Noise-Band Effluxus aus San Francisco. Und die Screamo-Band June Paik (Vgl. Trust # 157). Martin Büsser fragte in der testcard # 1 von 1995 schon, ob Fluxus in all seinem „lustigen Ernst“ bzw. „ernstem Spaß“ nicht Punk vorwegnahm. Simon Reynolds schrieb in „Rip It Up And Start Again: Schmeiss alles hin und fang neu an: Postpunk 1978-1984“ (S. 227) von dem Fluxus-Einfluss auf Genesis Breyer P-Orridge für die Performance-Kunst bei u.a. Throbbing Gristle. (siehe Fußnote 1).

So inspirierend die Jubiläumsausstellung im Museum Wiesbaden zu Fluxus dann auch war – es gibt faszinierenderes als das Studium alter Artefakte mit Patina. Interessanter wäre ein Gespräch mit einem Fluxus- Künstler. Kommen wir also zu Benjamin Patterson, der 1934 in Pittsburgh geboren wurde. (siehe Fußnote 2).

Ben studierte Kontrabass und spielte bis in die 1960er Jahre in Symphonieorchestern. Wir trafen uns an einem regnerischem Donnerstag in einem netten Wiesbadener Café bei Wein und Bier zu einem langem Gespräch, unterbrochen von beiderseitigen Zigarettenpausen. Mit fast 80 Jahren ist Ben der älteste Interviewpartner in der Trust-Geschichte.

Willkommen zu dem Interview, Ben. Es ist für mich eine große Ehre, mit dem „Godfather of Fluxus“ zu sprechen.
Well, das haben andere über mich gesagt.
Deine „Liverpool“ CDs fand ich klasse, die sind einige Jahre her, machst du zur Zeit noch Musik?
Auf jeden Fall. Es sind immer verschiedene Sachen, an denen ich arbeite. Das können visuelle Arbeiten, Objekte, Malereien, Events bzw. Performance-Auftritte sein, aber Musik mache ich noch. Also alles, was es da so gibt, komponieren, strukturierte Musik, viel Improvisations-Musik.
Alleine oder mit Band?
2012 war ja das 50 jährige Fluxus-Jubiläum in Wiesbaden. Das Kunstmuseum wollte im Caligari-Kino eine Serie von Kurzfilmen aus der Zeit von 1962 bis 1967 aufführen. Die sind ganz interessant, allerdings ohne Ton. Es gab die Überlegung, dass ich dazu Musik mache. Das gleiche wurde vor zehn Jahren bei dem 40 Jahre Jubiläum so ähnlich gemacht. Ich hatte zusammen mit einem anderen Fluxus-Musiker die Musik für diese Stummfilme gemacht. Es gibt auch noch einen Elektronik-Performer aus Köln, mit ihm hab ich kürzlich auch Musik gespielt und dann gibt es noch einen Musiker, der elektronische Mundharmonika spielt, er ist ein Improvisationsmusiker, in meinem Alter.
Sehr jung also.
Yeah, genau. Er lebt in Frankreich. Ich schreibe auch viel Musik zu Hause. Es gab ein Trio, mit dem wir vor drei Jahren auf einem Musikfestival aufgetreten sind. Ich war zu der Zeit auch an Breakdance interessiert, das kommt ja aus der „RapHop“-Kultur. Das Projekt, das wir hatten, hieß „Give me a break“.
Gut!
Und letztens kam die Idee auf, eine Art „Air Graffiti“ zu machen, dabei attackiert man mit Sprühdosen die Luft über dem Publikum.
Nicht schlecht, ha. Wo lebst du eigentlich fest, pendelst du noch zwischen New York und Wiesbaden?
Nein, ich wohne nun ganz in Wiesbaden. Ich hab einen jungen Sohn, seine Frau und mein erstes Enkelkind in New York. Dort war ich allerdings Jahre nicht mehr.
In den 80er hast du an der Biennale in Sao Paolo teilgenommen. Wie kam es dazu?
Die Biennale in Brasilien war 1983. Zu dem Zeitpunkt war ich eher inaktiv und habe nur noch am Wochenende etwas Fluxus-bezogenes gemacht.
Das war dann eine Art Reunion Tour?
Ja, ich musste auch irgendwie meine Familie ernähren. Ich hab zu dieser Zeit in der Verwaltung von New York gearbeitet. Ich machte parallel eine Serien-Komponisten-Performance solo und mit anderen. Es war erst ganz erfolgreich, interessierte aber bald niemanden mehr. Ich wurde dann völlig überraschend zum stellvertretender Kommissar für Kultur in New York City ernannt. Das hatte aber nichts mit Fluxus zu tun. Ich schätze, sie wollten jemanden, der an Kunst interessiert ist und die Tatsache, dass ich schwarz bin, war nicht hinderlich.

New York wollte sich damals mehr öffnen, das war 1983 oder so. Ich saß auf jeden Fall im Büro, das weiß ich noch genau, und da war eine Frau von einer großen Versicherung, die wollte der Stadt halt Versicherungen verkaufen, für diese großen Central Park Events. Das Telefon klingelte, sie ging ran und meinte dann zu mir „Da ist jemand aus Mailand, der dich sprechen will“ und ich so „Okay…entschuldigen Sie mich, ich geh dann mal ran“. Es war ein italienischer Sammler oder auch Impresario, wie auch immer, der einen Fluxus-Event auf der Biennale in Sao Paolo organisieren wollte. Er fragte mich, ob ich fünf Tage dort sein möchte. Und ich meinte „Well, Moment…ja!“. Das war mein großer Wiedereinstieg, ha.
Heute nennt man dich den „Godfather of Fluxus“. Ehrt dich dieser „Titel“, macht dich das stolz?
Ah, okay, das „Godfather“-Ding…Wie schon gesagt, 2012 gab es viele Ausstellungen in Wiesbaden bezüglich dem 50 Jahre Jubiläum. Der neue Direktor des Kunstmuseums in Wiesbaden ist ein guter Mann. Er meinte Anfang letzten Jahres zu mir, dass wir zu dem Jubiläum unbedingt was machen sollten, sein Vorgänger hasste Fluxus. Das zwanzigste Jubiläum wurde gefeiert, das 30ste und 40ste nicht. Der Neue meinte zu mir sehr ehrlich, dass er kein Fluxus-Experte ist und mich deshalb „Godfather“ nennt, ha.
Echt, das meinte der so?
Genau.
Geil.
Ich bin leider einer der Wenigen, der noch lebt.
Das wollte ich dich auch fragen, du denkst jetzt aber nicht, dass das „deswegen“ ist, also, weil alle anderen tot sind oder man nicht an sie ran kommt? Blöde Frage, aber Yoko Ono ist nicht erreichbar, Joseph Beuys tot, beide werden auch zu Fluxus gezählt und dann sagt man halt „Ach, ok, nehmen wir doch einfach Ben“?
Yoko würde es nie machen und Beuys – würde er noch leben – auch nicht. Es gab schon recht früh eine Trennung zwischen ihm und Fluxus. Ich sehe das Ganze nicht auf meine Person bezogen, sondern als Würdigung für Fluxus insgesamt. Du musst ja auch sehen, als 1962 das Klavier zerstört wurde, hat der damalige Bürgermeister von Wiesbaden beinahe seinen Job verloren, weil er das Konzert genehmigte. Und 50 Jahre später sponsert der heutige Bürgermeister uns zwei Klaviere dafür und es gibt interaktive Klavierzertrümmerungen.

Das, woraus Fluxus tatsächlich entstand, waren nur zwei Abende in Wiesbaden 1962. George Maciunas hat das Neo-Dada genannt. Aber es war nicht nur Musik, es gehörten auch Gedichte dazu. Für das Publikum war das damals natürlich schockierend. Da war für mich viel mehr. Die Klavierzertrümmerung war dabei nicht die Hauptsache. Aber in diesem Jahr will jeder eines zertrümmern: in Wiesbaden, Mannheim, Köln, Wien. Steinway hat im Moment keine Absatzprobleme.
Yeah, ihr habt gewonnen.
Irgendwie so, ja. Es gab tolle Fluxus-Sommerkonzerte und jede örtliche Kunstinstitution in Wiesbaden wurde ermutigt, etwas Fluxus-mässiges zu veranstalten, es gibt auch einen großartigen Katalog.
Stimmt, der ist toll und die Ausstellungen waren echt schön.
Also, nach 50 Jahren gab es dann eine große Anerkennung. Für mich ist es interessant, dass so etwas in der Form nicht bei 50 Jahre Dada oder Surrealismus gemacht wurde, wie gesagt, es waren nicht nur Feiern in Wiesbaden, sondern auch in New York, Berlin, Italien, Frankreich. Es gibt zwei Fluxus-Bücher über die einzelnen Szenen in Frankreich und Italien. Das war schön, dass „die ganze Welt“ oder doch zumindest die „Kunstwelt“ interessiert war.

Das Medieninteresse war super, du bist, glaube ich, mein 54tes Interview. Ich habe vor einigen Tagen zur Vorbereitung auf eine Performance mich zum ersten Mal selber gegoogelt, da gab es mehrere hunderte tausend Einträge zu meinem Namen. Ich war total überrascht. Das ist völlig verrückt und das hat alles nur mit dem Sommer im Jubiläumsjahr zu tun.
Du hast in den 2000er Ausstellungen in Düsseldorf, Italien, Budapest und im Museum of Modern Art (MoMa) in New York gemacht; wie kam das mit New York?
In New York ist jetzt die größte Fluxus-Sammlung weltweit. Es gibt da das Ehepaar Silvermann aus Detroit, sie sind im Vorstandskreis des MoMa und haben ihre komplette Sammlung an Partituren, Foto-Dokumentationen, Videos und Objekte, eben fast alles, ans Museum gespendet. Ich finde es lustig, dass das MoMa noch immer nicht ganz genau weiß, was damit zu tun ist, aber es ist wirklich eine große Menge an Material. Ein Teil wurde in einer riesigen Nebenhalle in Queens aufbewahrt. Es geht da aber auch viel um Qualitätsbewertungen, wie man das Material einschätzten kann und so. Vielleicht kommt es noch zu einer größeren Ausstellung, aber dann eher ohne Yoko Ono oder Beuys.
In Houston gab es es deine Ausstellung „Thing/Thought“. Ich glaube, das war deine erste Retrospektive, wie war es?
Genau, das war vor einigen Jahren. Der Kurator dort entschied sich für eine Retrospektive. Die Ausstellung ist für sechs oder sieben Wochen in Houston gewesen und dann nach Harlem in New York gezogen. In Houston war es im Contempory Arts Museum, ich muss da etwas weiter ausholen, das ist eine gute Geschichte. Ich habe eine klassische Ausbildung für Kontrabass und Komposition.
1956 beendete ich das Musik-College. Zu der Zeit gab es noch die Rassentrennung im Süden der Staaten. Die Chance, dort bei einem guten amerikanischem Orchester mitzuspielen, lag bei 0,00000000001 Prozent. Der Norden war etwas offener.

Nach meinem Abschluss spielte ich zwischen Boston und San Francisco bei ca. 26 Orchestern vor. Es war schwer, da überhaupt reinzukommen, du musstest schon fünf bis zehn Jahre Erfahrung als Musiker vorweisen können, um in diesen Orchestern mitspielen zu können. Mir wurde bei einigen dieser Bewerbungen gesagt „Mr. Patterson, Sie sind sehr talentiert und ein sehr guter Bassspieler, aber wissen Sie, da gibt es ein Problem.“ Yeah, offensichtlich. Mein letztes Vorspiel, das war im Mai bei dem Houston Symphony Orchestra. Normalerweise spielst du ungefähr zehn Minuten, aber da waren es zwei Stunden, bei dem Dirigent Leopold Stokowski! (siehe Fußnote 3) Er meinte auch, dass ich begabt wäre, einen guten Stil hätte, aber da gäbe es halt ein Problem…Und ich dann „Ja ja, alles klar“. Aber er sagte, er will sich um dieses Problem kümmern. Er setzte sich für mich ein, zumindest versuchte er es.

In den sechs Wochen im Anschluss an das Vorspiel in Houston kamen immer Telegramme von ihm – damals waren es ja noch Telegramme -, in denen er sich entschuldigte, dass es so lange dauere, er überzeuge gerade die Vorstandsmitglieder des Orchesters. Ok, im Sommer kam wieder ein Telegramm von Stokowski, in dem er schrieb „Lieber Mr. Patterson, überdenken Sie noch mal Ihre Entscheidung und kommen Sie zu uns nach Houston“. Am Ende klappte es nicht, aber zumindest versuchte er es. Es war halt so: er hatte ein brillantes Ohr, dafür war er weltbekannt. Nur hatte er wohl vergessen, dass ich schwarz war. Er konnte Töne hören, war aber blind gegenüber der Hautfarbe.
Das war ja alles vor Rosa Parks? (siehe Fußnote 4)
Ja, das war in den 50er, vor dem Civil Rights Movement. Es ist einfach dann ein komischer Zufall, dass meine erste Retrospektive in Houston Jahrzehnte später stattfand.
Was hatte es eigentlich mit Bens Bar in Wiesbaden auf sich?
Es gab eine Ausstellung vom Kunstverein dort, das ganze Gebäude war wunderschön gemacht, es war sehr beeindruckend. Der Kunstverein wollte dem Ganzen einige Elemente hinzufügen, die es in Houston nicht gab. So wurde eine Serie von Event-Performances gemacht, dazu konnte ich wen auch immer einladen, daraus entstand dann der „Super Tuesday“ in Ben´s Spielzimmer. Ich lud halt verschiedene Leute ein, es ging dann um die Nachkommenschaft und Zukunft von Fluxus.
Das Logo von Fluxus ist ja der Kopf des aztekischen Sonnengottes mit der ausgestreckten Zunge. Kam das von George Macunias?
Ja, es wurde das offizielle Logo, es gab vorher keins, aber jeder identifizierte sich damit. George hat es viel verwendet. Der Hintergrund sollte die Andeutung des Ende der Welt am 21. Dezember 2012 sein. George war derjenige, der alle Elemente zusammenband und ihnen einen „Markennamen“ gab.
Auf jeden Fall ein lustiges Logo. Fluxus hatte diese humorvollen Aspekte, andererseits wart ihr ja alle richtige Musiker.
Richtig, wir waren alle professionelle Musiker, Klassik und Jazz. Und klar, natürlich gibt es auch Profi-Rockmusiker, aber das Logo hatte mehr einen klassischen Hintergrund. Ich denke, wir waren eher so etwas wie professionelle Clowns oder Harlekins, Tricksters. Viel bei Fluxus hat mit diesen Elementen des Tricksters oder Jokers zu tun: jemand kann über den König lachen und kommt damit durch. Aber dazu gehört auch der Entdeckerwillen, dass du neue Sachen lernen willst, neue Wege beschreiten möchtest. Also, ja, der ironisch-lustige Aspekt ist wichtig, aber auch der Purismus-Gedanke. La Monte Young hat 1960 verschiedene Kompositionen gemacht, eine hieß „Draw a straight line and follow it“. Nam June Paik machte 1962 etwas ähnliches und ich machte etwas in dieser Richtung bei einer Performance in Kalifornien….Pure, simple, classic.
Ich finde es sehr interessant, dass euer Blick damals nach Europa gerichtet war. Im Punk ist es eher andersrum. Ihr musstet alle zur Armee und habt den Dienst in Deutschland geleistet, aber ihr wolltet ja dann in Köln auch John Cage (siehe Fußnote 5) treffen, richtig?
Die Armee, tja, du musstest deinen Dienst leisten und wenn du alle Vermeidungsstrategien vergeblich probiertest, dann…
Draft beer, not me?
Genau, wobei, ich hatte ja Glück. Ich wusste, dass der Büroschreibdienst elend langweilig war und so sind wir alle im Symphonie-Orchester bei der amerikanischen Armee in Deutschland gelandet. Das Orchester war natürlich eine große PR-Maschine der Amerikaner. Aber wir liebten es sehr, im Rhein-Main-Gebiet zu spielen, da wir alle dann später in die dortige Air Base gehen konnten. Das war super, weil es da ein rund um die Uhr geöffnetes Restaurant gab. Du konntest also nach dem Konzert nachts ins Restaurant gehen und um ein oder zwei Uhr direkt schon frühstücken.
Kann man sagen, dass Stockhausen dein Vorbild war?
Nein. Stockhausen war Komponist für serielle elektronische Musik usw., auch im Bereich burlesker Musik. John Cage war eher so was wie ein Vorbild. Wir lebten später jahrelang in einer Künstlerkolonie 60 Kilometer nördlich von New York. Im Nachbarhaus, zehn Meter von mir weg, wohnte John Cage. Wir waren in der Künstler-Kolonie ziemlich lange, es gab immer was zu bereden wegen den Gebäuden. Am besten war immer der Samstag, da gab es jedes Mal ein Potlatch-Abendessen, (siehe Fußnote 6) dazu brachten alle etwas mit, und im Anschluss gab es dann ein großes Pokerspiel! John Cage war der Meister. Und Köln ein großer Anziehungspunkt.
Echt, damals schon, Ende der 50er? Ich weiß, dass Köln Ende der 60er ein Zentrum für elektronischen Krautrock war, aber…
Ja klar, in den 50er schon. Zu der Zeit war das wichtigste elektronische Musikstudio Europas beim WDR in Köln. Das brachte mich nach Köln, wo ich das erste Mal John Cage und Dutzende ehrgeizige, junge Künstler, Musiker und Schreiber traf. Obwohl ich mit vielen jüngeren Künstlern in und um Köln herum arbeitete, glaube ich, dass die Begegnung mit der Musik von John Cage zweifellos der entscheidende Einfluss war, woraus meine „Paper Piece und Variations for Double Bass“ entstanden. Viele der Arbeiten, die 1962 in Wiesbaden aufgeführt wurden, wurden in einer Klasse von John Cage entwickelt, die er 1958 an der New School for Social Research in New York gegeben hat.
Cage war aber dann nicht so ein Vorbild, von dem du dich lösen wolltest, du wolltest von ihm lernen und so?
Als Hausnachbarn sahen wir uns fast täglich und sprachen über alles mögliche, aber niemals über Kunst.
Echt nicht?
Genau, mit ihm sprach ich darüber nie. Jeder sah, was der andere gerade so machte, es gab gegenseitige Anerkennung, aber keine großen Diskussionen bezüglich der Kunst. Und mit den Künstlern der anderen Kunstrichtungen, die es damals gab, war es so: Wir waren in New York in Max`s Kansas City und jede Gruppe – die Beat Poeten, die Minimal Komponisten und die Fluxus-Leute – saß an verschiedenen Tischen. Wir besuchten gegenseitig Lesungen und Konzerte, das schon, aber in New York war einfach das Kollektiv der rund 40 Künstler in und um Fluxus herum wichtig, das diente uns als gegenseitige Unterstützungsgruppe, um das Forschen und Experimentieren zu stärken.
Mir gefällt es, dass Fluxus die einzige Kunstrichtung von damals ist, in der es auch einige Frauen als Künstlerinnen gab. Sonst hast du ja wirklich ausschließlich Männerclubs gehabt, zum Beispiel im Dadaismus oder den Surrealismus mit Salvador Dalí als Star.
Das stimmt. Bei Fluxus waren schon immer Frauen dabei. Alison Knowles war 1962 in Wiesbaden auch auf der Bühne, sie lebt immer noch, in den USA.
Da gibt es ja auch noch die „Vagina paintings“ von Shigeko Kubota?
Das ist lustig, es waren komischerweise immer viele Frauen aus Japan dabei, warum, weiß ich auch nicht. Es gab Mitte und Ende der 60er Jahre schon großes Interesse an Fluxus in Japan, wir hatten ja auch Zen-Einflüsse, schon damals in New York. Yoko war bereits in der Stadt, insgesamt gab es vier oder fünf japanische Frauen. Deshalb kann man schon sagen, finde ich, dass Fluxus kein reiner Männerclub war. Es gab auch Überschneidungen von Fluxus mit den Leuten, die Happenings machten, vielleicht hat das damit zu tun. Oder das Fluxus prinzipiell offen ist und es keine feste Definition gibt – ich weiß es nicht. Es war ja nicht so, das wir dass beschlossen haben, Richtung „Jetzt müssten auf jeden Fall Frauen mitmachen“, es ist einfach passiert, es war eine offene Situation. New York war damals die liberalste Stadt in den Staaten, möglicherweise deswegen.
Nicht San Francisco?
Schon, aber das kam erst ein bisschen später mit dem Flower Power, es ging damals alles schon mehr auf New York zu, würde ich sagen. In New York gab es einen großen jüdischen Einfluss und es gab viele Immigranten, die Italiener, die Deutschen. Vielleicht kam man da jetzt eine Verbindung ziehen oder auch, weil Frauen und Schwarze damals unterdrückt waren, ich weiß es nicht genau.
Fluxus steht im lateinischen für „fließen“ und es gibt den Ausspruch „Wenn man Fluxus definieren kann, ist es nicht Fluxus“. Du bist beinahe 80 Jahre alt, ich schätze, du hast immer noch keine Definition?
Ja, jeder von uns war so individualistisch in seiner Arbeit, mit seinem eigenem Stil, das konntest du schlecht zusammenfassen. Es war Minimalismus, Malerei, Musik, es ist recht disparat. Deshalb ist es immer eine große Frage, was nun genau der Kern von Fluxus sein soll. Als mich das kürzlich einer fragte, meinte ich, dass es zwar keine Definition von Fluxus gibt, aber wenn du es siehst, dann weißt du sofort, wenn es Fluxus ist.
So die Richtung „Du kannst es nicht definieren, aber du kannst immer sagen, was es nicht ist“?
Genau. Es ist leichter, zwischen Fluxus (also, was ich davon halte) und den Happenings- Performance-Künstlern zu unterscheiden. Die meisten Fluxus-Künstler hatten ihre Ideen, Instruktionen und Partituren für die Events, Performances und Konzerte vorher aufgeschrieben. Die Idee sollte ja sein, dass das dann andere Leute nachspielen können. Die Happenings- und Performance-Künstler, bei denen da ging es mehr darum, das nur der Künstler das machen kann. Es existiert keine Intention, dass andere das ebenfalls machen können oder sollten.
Dieses nicht-definierbare von Fluxus, das ist wahrscheinlich Stärke und Schwäche zugleich oder?
Du meinst dieses „Jeder soll ein Künstler sein“… Du musst sehen, wir meinten das mehr so ideell, nicht, das nun wirklich alle anfangen sollten, Musik zu machen,
Das kommt mir vertraut vor, im Punk meinten früher die Bands auch, „Gründet ne Band, jeder kann es“. Leider machen es dann auch alle und es kommt viel zu viel Mist raus, ha.
Genau, es war nicht so wortwörtlich gemeint. Schwäche? Ich denke nicht. Ok, es macht dich nicht reich. Meine Arbeit hat keine Copyrights – vielleicht werden andere davon reich, ich hoffe doch nicht, ha.
Du hast mal gesagt, dass Performance der Verdienst von Fluxus ist?
Was heute unter dem Namen läuft, dazu passt der Begriff „Event“ besser. George Maciunas hatte das damals gemacht und es gab dafür kein Wort. Heute gibt es in jeder Kunstschule dieses Unterfach und mindestens ein bis zwei Professoren, die das lehren.
Als ihr angefangen habt, was waren eure Einflüsse, Dada und Surrealismus?
Unzufriedenheit! Ganz am Anfang stand die Unzufriedenheit. Du schaust dich nicht nach anderen Alternativen um, wenn du zufrieden bist. Das war zuerst. Auf jeden Fall dann der Existentialismus aus Europa. Sartre und Camus, das lasen wir alle und war für uns 100 Prozent eine wichtige Inspiration. Wittgenstein war Pflichtlektüre. Zen-Buddhismus war auch wichtig, ich denke, dass waren die wichtigsten intellektuellen Einflüsse. Und natürlich ein generelles Interesse an der Musik weltweit, die neu war, indische Musik wurde zum Beispiel gerade bekannt.
Auch die Frankfurter Schule?
Oh ja, natürlich, die Frankfurter Schule, Adorno und Horkheimer. Es war eine sehr experimentelle Zeit. Mir ist das erst vor kurzem aufgefallen, dass die Orte, die uns am stärksten rezipierten und an denen Fluxus am meisten stattfand, immer noch experimentelle Zentren sind: Italien, Deutschland, Japan – und eben nicht Frankreich, nicht die Staaten und auch nicht England.
Nicht London?
Eigentlich nicht, nein. Italien, Deutschland und Japan waren die drei früheren Achsenmächte, die haben den Krieg verloren. Möglicherweise enstand dort das Bedürfnis nach der Beantwortung von Fragen wie „Was haben wir falsch gemacht?“ und „Was können wir tun?“ echt früh. Oder so formuliert: Diese Fragen waren in den Ländern drängender, das fiel mir aber erst vor Kurzem auf. Die Hauptsammler waren auch alle in den genannten Ländern, außer ein oder zwei in den USA.
Du hast mal gesagt „Damals haben wir in New York vor dem Museum of Modern Art demonstriert, weil man dort kein Interesse hatte, uns auszustellen“. Jetzt bekamst du den Wiesbadener Kulturpreis, du hast selber Ausstellungen weltweit, bist selber etabliert…
Das stimmt, damals wurden wir nicht reingelassen. Bei der Houston-Ausstellung waren viele originale Dokumente von damals dabei und wenn es mal in solche Museum und dann auf Reisen geht und Kuratoren dabei sind, dann ist alles in der Business Class, mit Klimaanlagen und die Preise sind dann auch viel höher. So ein Stück Papier hier, das ist dann 5000 Dollar wert. Also, jetzt gehören wir selbst zum Establishment und jedes große Museum hat Fluxus-Arbeiten. Heute sollten wir dort vielleicht demonstrieren, dass sie die Fluxus-Arbeiten raus lassen und auf Reisen schicken.
Am Ende noch mal eine Frage zu deinen musikalischen Einflüssen: Rock`n`Roll und Blues, Chuck Berry, Elvis, Little Richard usw., das war für euch nicht wichtig, ihr wart eben alle klassische Musiker?
Ja genau, also für mich waren extrem wichtig: Ornette Coleman, Errol Garner, Miles Davis. Jazz war sehr wichtig, Free Jazz definitiv.
Free Jazz, natürlich.
Wobei Garner auch viel Swing-Jazz machte. Ich kann jetzt nicht sagen, dass ich nie Little Richard hörte, aber das Ganze stand nicht oben auf meiner Liste. Wahrscheinlich hörte ich sie alle im Radio, die Musik lief im Hintergrund, aber ich konnte sicherlich noch nicht mal all ihre Songs auseinanderhalten…
Ich wollte ja eine Punk-Frage stellen, also der mögliche Einfluss von Fluxus auf Punk…
Ok, die Punk-Frage. Also, ich hab mich ja darauf vorbereitet und im Internet recherchiert. Ich hatte von Punk überhaupt keine Ahnung. Ich wusste überhaupt nicht, das Punk in den (späten) 70er entstand und sich von da an entwickelte. Das war alles viel später als die Hochzeiten von Fluxus. Und im Netz stand etwas zu Punk in New York im Electric Circus Club. (siehe Fußnote 7) Das ergibt für mich Sinn, da gewisse Parallelen zu sehen. Punk fand offensichtlich auch an „unseren“ Orten statt, im Max Kansas City und Chelsea Hotel, nur eben viel später.

Dort spielte sich schon früher sehr viel ab, insofern kann ich so Punk für mich übersetzten. Wobei die 60er und 70er generell eine tumultartige Periode in der USA waren, in der sich sehr viel veränderte. Jeder war auf der Suche und es teilte sich dann in verschiedene Richtungen auf. Du musst auch sehen, dass Fluxus sozusagen nicht „die einzige Flasche war, die geöffnet wurde“. Wir waren massiv von anderen Strömungen beeinflusst, wie gesagt, die japanischen Haiku-Bezüge und der französische Existenzialismus. Fluxus war ein Thema, damals, in den Diskussionen. Aber Fluxus wäre völlig undenkbar ohne diese anderen älteren Einflüsse gewesen, da muss man auch die Philosophie von John Dewey nennen.
Den Pragmatismus von Richard Rorty?
Genau, es war im Prinzip alles schon da oder doch eben veranlagt. Es ist auch so: in der Wüste wachsen keine Pilze.
Das ist ein schönes Bild, cool.
Ja, ohne fruchtbaren Boden wächst halt nichts. Zumindest glaube ich, dass das bei den Pilzen so ist.
Was sind deine Lieblingsmusiker?
Ich versuche es, zu begrenzen. Errol Garner (siehe Fußnote 8) muss dabei sein. Ich bin vor Jahrzehnten durch die USA getrampt, von Pittsburgh bis zur Westküste. In San Francisco blieb ich eine Woche und ging jeden Abend in die Kneipe, in der Garner saß und ein Bier nach dem anderen trank. Als ich an das Kulturamt Wiesbaden schrieb von wegen der Freunde, die bei dem Fluxus-Jubiläum auftreten sollten, da wollte ich nicht die großen Namen, sondern einfach die Heimmannschaft. Eben nicht die bekanntesten Pianisten fragen. Darum ging es auch nie bei Fluxus. Lieblingsmusiker…In der klassischen Musik gäbe es viele, ich habe 5000 CDs aus allen Bereichen klassischer Musik.
Wie steht es mit Louis Armstrong oder so?
Ich habe Sachen von ihm, klar, aber…Lass mich mal überlegen. Ok, Sinatra fällt mir ein, genau, ja, also nicht so sehr seine Musik, aber wie er mit dem Publikum interagierte, davon kann man viel lernen, wie er die Musik präsentiert. Rock und Punk basieren auf dem drei Akkorde-Ding, das war jetzt nie so wirklich mein Ding.
Alte Männer sind immer so weise, in diesem Sinne: Hast du noch einen Gruß an unsere Leser? Ich danke dir sehr für das Interview.
Klar, also, wenn jemand gute Musik hat, ich würde mich sehr freuen, wenn sie mir zugänglich gemacht wird, damit ich wieder auf dem Laufenden bin. Ich bin nicht zu alt, um noch was neues dazu zu lernen.

Einleitung und Interview: Jan Röhlk (Dank an Peter fürs redigieren)

Fußnoten:

1. Mehr Infos zu Fluxus sind unter kunstverein-wiesbaden.de abgelegt. Ich fragte auch mal Diedrich Diederichsen, was er zu meiner „Fluxus hat auf Punk Einflüsse“-Theorie denkt, er schrieb mir zurück (und erlaubte den Abdruck): „Möglicherweise waren die Situationisten für Punk leichter in eine Projektion einzubringen als Fluxus, weil neu, sexy, radikal und europäisch. In den 70er war die Kunstwelt eben sehr klein. Die Studierenden an den Kunsthochschulen, die auch Musik machten, und die Künstler kannten sich. Wobei Malcom McLaren oder Genesis P.O. Fluxus natürlich kannten, weil sie altersmäßig „dabei“ waren.

Wenn man sagt, dass Punk Bezüge zu Fluxus aufweist, dann kann man aber auch genauso sagen, dass Punk aus der Concept Art kommt – was natürlich reichlich übertrieben wäre. Aber mit Mayo Thompson gibt es einen Punk-Produzenten (Stiff Little Fingers, The Fall etc.), der bei Art & Language war (eine erst in den UDSA, dann in GB aktive Gruppe von Leuten, die man der Konzeptkunst zurechnet). Thompson gründete 1966 Red Krayola. 1976 war er an dem einzigen Album beteiligt, das im Namen von Art & Language erschien („Corrected Slogans“).

Später gab es noch eine Reihe gemeinsamer Alben von The Red Crayola with Art & Language, das war dann die geschrumpfte britische Version von A&L, die für RC Texte schrieben. Eine weitere Verbindung von Punk und Concept Art wäre die Single, die Lawrence Weiner für Factory (FACT 85) aufgenommen hat oder die diversen Punk-Bands von dem Conceptualism nahe stehenden Künstlern wie Rodney Graham und Ian Wallace in Vancouver; Mike Kelley und John Miller waren Studenten von Konzeptualisten wie Douglas Huebler und John Baldessari, als sie The Poetics gründeten. Uvm.“

2. Ebenfalls in Pittsburgh wurde auch Andy Warhol geboren. Und dort ist auch der Firmensitz von Heinz Ketchup, es gibt dazu eine Malerei von Patterson.

3. Vgl. Wiki: „Leopold Anthony Stokowski (1882 – 1977) war ein englischer / amerikanischer Dirigent und Arrangeur klassischer Musik… einer der umstrittensten, aber auch erfolgreichsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts.“

4. Vgl. Wiki: „Rosa Louise Parks war eine US-amerikanische Bürgerrechtlerin. Die Afroamerikanerin wurde am 1. Dezember 1955 in Montgomery, Alabama verhaftet, weil sie sich weigerte, ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Fahrgast zu räumen.“

5. Der Avantgarde-Künstler John Cage (1912-1992), der eine Art Mentor für Fluxus war, unterstützte mit seiner Komposition „Five Hanau Silence“ von 1991 das AJZ Metzgerstraße in Hanau, explizit auch die mit diesem verbundenen Inhalte. Vgl. sterneck.net/john-cage/hanau-silence/index.php

6. Vgl. Wiki: „Ein Potlatch ist ein Fest der amerikanischen Indianer der nordwestlichen Pazifikküste. Bei ihm werden in ritueller Weise Geschenke verteilt oder ausgetauscht. Von 1884 bis in die 1950er Jahre war der Potlatch in Kanada verboten. Seither wird versucht, das ursprüngliche Wesen des Potlach in zeitgemäßer Form neu zu beleben.“

7. New Yorker Nachtclub, in dem u.a. Velvet Underground und Terry Riley auftraten.

8. Vgl. Wiki: „Erroll Louis Garner (1921 (in Pittsburgh geboren) – 1977 (gestorben in Los Angeles)) war ein Pianist und Komponist der Genres Mainstream und Modern Jazz.“

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