März 11th, 2007

FLIEHENDE STÜRME (#67, 12-1997)

Posted in interview by andreas

Man rechnet auf der Pop Komm ja schon damit, die ein oder andere Persönlichkeit zu treffen; dass ich aber gerade das FLIEHENDE STüRME und CHAOS Z Mastermind Andreas Löhr bei diesem lauten und hektischen Stelldichein des Musikbusiness antreffen würde, hätte ich wirklich nicht erwartet. Der mittlerweile 30jährige hat die deutsche Punkszene schon seit frühester Jugend entscheidend mitgeprägt.

Im zarten Alter von 15 Jahren gab er bereits sein Abschiedskonzert bei der Deutschpunklegende CHAOS Z und gründete im Anschluss daran die Band FLIEHENDE STüRME. Die Besetzung änderte sich nicht – man wollte lediglich das musikalische Spektrum erweitern. Neben den Punkeinflüssen wurden nun auch düstere Wave-elemente in die Musik eingearbeitet. Diese eigenwillige Mischung wurde zum Markenzeichen der Band.

Nach dem Tod seines Bruders und musikalischen Wegbegleiters Thomas 1995 wurde viel über ein Ableben von FLIEHENDE STüRME spekuliert. Diesen Spekulationen bereitete Andreas noch im selben Jahr ein Ende, als er nach 12 Jahren Pause das CHAOS Z Album „45 Jahre ohne Bewährung“ einspielte und 1996 mit FLIEHENDE STüRME auf Tour ging.

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Du gibst lieber FLIEHENDE STüRME als CHAOS Z Interviews?

Andreas: Ja, weil FLIEHENDE STüRME ist eigentlich die Band, die für mich momentan angesagt ist. Diese CHAOS Z Geschichte von 1995 war insofern ganz interessant, da in dem Jahr sowohl ein FLIEHENDE STüRME als auch ein CHAOS Z Album rauskam. Persönlich habe ich aber beides gar nicht so sehr getrennt. Als ich das Album „Fallen“ eingespielt hatte, wollte ich einfach Mal wieder ein CHAOS Z Album in guter alter Punkmanier aufnehmen – in dem Sound, der Anfang der 80er angesagt war.

Viele Leute haben mir mittlerweile gesagt, dass es doch mehr ein FLIEHENDE STüRME als ein Chaos Z Album sei. Das überlasse ich jedem selber, wie er es einordnen will. Auf jeden Fall arbeite ich derzeit mehr an FLIEHENDE STüRME. Das hat man auch auf der letztjähri-gen Tour gesehen. Bei den 17 Konzerten haben wir zu 85% FLIEHENDE STüRME Material und nur zu 15 % CHAOS Z Songs gespielt.

Und auch das nächste Album wird ein FLIEHENDE STüRME Album sein – einfach weil man in musikalischer Hinsicht mehr Freiheiten hat. CHAOS Z ist unweigerlich mit der reinen Punkecke verknüpft und bei FLIEHENDE STüRME kann ich auch ruhigere Stücke einarbeiten. Ich glaube es geht da auch oft ums Tempo. Einige Stücke sind einfach langsamer, aber auf ihre Art doch relativ brutal – aber das passt einfach nicht so in die Punkecke.

Wie sieht momentan überhaupt die Besetzung bei FLIEHENDE STüRME aus?

Andreas: Die Besetzung bin ich alleine. Nach dem „Fallen“ Album ist mein Bruder, der Bass gespielt hat, gestorben. Aber schon damals haben wir Drum Computer verwendet und im Studio werde ich nun auch die Bassparts einspielen. Eigentlich ist es seit jeher so, dass ich die Musik zu 100 % geschrieben habe und fast alle Texte von mir waren. Deshalb habe ich auch kein Problem damit das weiterzuführen.

Wie machst du das dann bei Liveauftritten. Nimmst du die CHAOS Z Musiker, die dann FLIEHENDE STüRME Lieder spielen?

Andreas: Chaos Z und FLIEHENDE STüRME war die gleiche Besetzung. Das war zweimal genau die identische Band. Nachdem sich CHAOS Z 1983 aufgelöst hatte, haben wir direkt im Anschluss daran ohne uns umzubesetzen als FLIEHENDE STüRME weitergemacht. Das war einfach ein musikalischer Weg, der sich verändern sollte. Der Schlagzeuger ging 1988 nach Belgien, weil er dort einen guten Job gefunden hatte.

Und das konnte ich ihm auch nicht verdenken. Er verfolgt das auch nach wie vor aus der Ferne und war bei einem Konzert auch als Gast dabei – und war relativ wehmütig. Es hat ihm schon gefallen, aber er musste das eben privat für sich so entscheiden. Die letztjährige Tour habe ich mit Peter als Bassisten gemacht und habe jetzt wieder ein paar Kontakte geknüpft, die relativ vielversprechend sind – mit Leuten zu denen ich ein recht gutes Verhältnis entwickelt habe. Mit denen möchte ich nächstes Jahr wieder auf Tour gehen.

Ich gebe aber eigentlich nur deshalb so wenig Konzerte, weil ich immer mit der Band-besetzung Probleme habe. Live will ich nicht mit irgendjemand spielen. Es sollte schon ein gutes Bandgefüge von Leuten sein, die sich auch mit der Sache identifizieren, die sie live vertreten – sprich mit der Band FLIEHENDE STüRME. Im Studio ist das kein Problem – Platten wirds nach wie vor geben.

Deine Musik ist ja ziemlich düster und depressiv. Wann schreibst du deine Lieder – wenn du schlecht drauf bist oder bei besonde-ren Anlässen?

Andreas: Launen bezogen ist es natürlich eher in irgend-welchen unzufriedenen Momenten, aber örtlich gebunden ist das überhaupt nicht. Das kann im Vollsuff in einer Discothek sein oder in einer ruhigen Minute zu Hause. Natürlich haftet mir mittlerweile der eher düstere Touch an. Es ist aber wohl eher so, dass ich in meiner Musik die negativen Sachen verarbeite und nun nicht unbedingt die Notwendigkeit sehe Stücke zu schreiben, wenn ich gerade Mal gut drauf bin.

Also bringt dir die Musik schon etwas. Ist das nicht so, dass du durch sie noch schlechter draufkommst.

Andreas: Nein, gar nicht. Dadurch spare ich mir eher den Gang zum Psychiater. Es ist dann wirklich so dieses – mit sich selbst die Sachen auszumachen. Ich bin eigentlich auch gefühlsmässig nicht so extrovertiert, dass ich hier rumhänge und den Düsteren rauskehre – so nach dem Motto „Du, ich bin den ganzen Tag deprimiert“. Es sind ganz normale dunkle Zustände – die vielleicht der ein oder andere immer Mal hat – die da irgendwie verarbeitet werden. Natürlich gab es schon Zeiten in denen die negativen Ereignisse überwogen und sich auch in der Musik nieder-geschlagen haben.

Beruflich arbeitest du bei A.M. Music?

Andreas: Als ich arbeitslos war, habe ich da glücklicherweise eine Anstellung gefunden. Ich hatte eigentlich schon immer einen recht engen, freundschaftlichen Kontakt zum Label, zu den Mitarbeitern und auch zum Chef. Der Kontakt besteht mittlerweile seit 17 Jahren – seit ich angefangen habe mit CHAOS Z Musik zu machen.

Unsere ersten Sachen kamen auf Mülleimer Records raus und aus Mülleimer Records hat sich dann A.M. Music entwickelt. Insofern war das damals naheliegend. Es war vielleicht auch ein Freundschaftsdienst bezüglich meiner Person.

Welche Aufgabe hast du bei A.M. Music?

Andreas: Ziemlich quer Beet. A.M. ist auch ein Label, bei dem sich verschiedene Mitarbeiter in verschiedenen Bereichen aushelfen. Das ist nicht so stur, dass einer nur einen Bereich begleitet und mit den anderen nichts zu tun. Ich mache sehr viel im Mailorderbereich, was die Katalogerstellung angeht; ansonsten was gerade anfällt – das geht bishin zur Buchhaltung.

Und mit dem Labelprogramm bist du zufrieden? Sind das auch die Sachen, die du privat hörst?

Andreas: Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich seit früher ein sehr grosser JOY DIVISION Fan bin. Natürlich höre ich aber auch alte Punksachen – vor allem alte englische Punksachen. Damit bin ich auch gross geworden. Dazu habe ich nach wie vor einen recht engen Draht. Was ich gar nicht mag ist diese ganze Ecke mit Fun Punk und Trinker Punk. Das sind meistens Bands gewesen mit denen ich mich nicht so anfreunden konnte.

Ich habe mich von Anfang an sowohl mit der Punkszene als auch mit der damals aufkommenden New Wave Szene beschäftigt. Das war damals ganz normal – da hörst du DEAD KENNEDYS, CRAss, DISCHARGE, PISTOLS oder die frühen Bands wie STRANGLERS, DAMNED; parallel dazu aber auch frühe elektronische Sachen wie GARY NUMAN oder ruhigere Musik wie die frühen CURE.

FLIEHENDE STüRME wird ja ziemlich oft mit EA 80 verglichen. Hörst du das gerne oder hast du gar persönlichen Kontakt zu denen?

Andreas: EA 80 kenne ich persönlich erst seit wir im März 1996 zum ersten Mal live zusammen gespielt haben. Ich hatte vorher überhaupt keinen Kontakt zur Band und auch keine EA 80 Platten. Ich kannte die nur vom „Keine Experimente 2“ Sampler, auf dem EA 80 und CHAOS Z vertreten sind.

Ansonsten habe ich deren Platten eher Mal bei Bekannten gehört oder ein paar Stücke auf Kassette gezogen. Aber lustigerweise sind die EA 80 Leute der gleichen Meinung, dass wir eigentlich zwei Bands sind, die ursprünglich aus dem selben Lager kommen und sich irgendwie parallel entwickelt haben – parallel in die gleiche Richtung.

Kommen wir auf euer neues Heft SLAM zu sprechen (SLAM ist ein neues Musikmagazin, das von A.M. Music veröffentlicht wird; in die zweite Ausgabe wurde der gesamte A.M. Katalog integriert, der somit zum Hauptbestandteil des Hefts avoncierte). Schreibst du da auch mit?

Andreas: Also dafür schreibe ich keine Artikel.

Bist du dann mehr für den Katalog verantwortlich?

Andreas: Ja genau. Gerade für die Abbildung und Plazierung der Artikel im Katalog.

Im Grunde kaufen die Leute ja für 2 Mark 50 den Katalog und bekommen dann noch ein paar Interviews dazugeliefert. Findest du das in Ordnung?

Andreas: Man muss sehen was die ganze Sache einbringt und wie sie kommt. Das SLAM Magazin ist relativ neu und hat mich am Anfang selbst überrascht, weil ich in der Planung und Entwicklung des SLAM Magazins nicht integriert war. Das war nicht mein Ding. Ich wurde auch relativ kurzfristig damit konfrontiert, dass es den Katalog in alter Form nicht mehr geben wird. Die erste SLAM Ausgabe kam vor fünf oder sechs Wochen raus und jetzt die Nummer 2 mit dem Katalog. Ich finde 2 Mark 50 ist ein relativ guter und fairer Preis.

Was liegt dir nun noch besonders am Herzen?

Andreas: Im September hänge ich mich definitiv daran ein neues FLIEHENDE STüRME Album einzuspielen. Eigentlich wollte ich das Album schon im Sommer fertig haben, aber das Studio in das ich gehe, war ziemlich überlastet. Deshalb gehe ich erst im September und spiele das nebenher ein. Wenn ich ins Studio gehe ist das hauptsächlich am Wochenende oder abends. Ich gehe nicht zwei Wochen am Stück ins Studio und spiele das Album komplett ein.

Ist das Material schon fertig oder entsteht das erst im Studio?

Andreas: Es entsteht nicht im Studio. Ich kann es mir auch nicht leisten so lange ins Studio zu gehen. Aber ein Grossteil ist fertig und ein paar Sachen werden Anfang nächster Woche noch dazu-kommen. Ich finde es auch immer relativ lustig noch bis zum Ende Songs auszuarbeiten. Das war eigentlich bei jedem Album so, egal ob CHAOS Z oder FLIEHENDE STüRME. Ein Song war immer noch auf der Platte, der am vorletzten Studiotag irgendwie in der Nacht noch geschrieben und am Tag darauf einge-spielt wurde.

Es ist nicht so ein ausgeklügeltes System, von wegen „ich mache jetzt eine Platte in die Richtung“, sondern das passiert alles ziemlich aus dem Bauch raus. Und so macht es mir auch Spass Musik zu machen. Vom Label A.M. werde ich musikalisch nicht beeinflusst. Da wird das veröffentlicht, was ich letztendlich abliefere. Da wird nicht nochmal in ein Vorab-tape reingehört und gesagt, das dritte Stück könntest du nochmal überarbeiten – das ist komplett getrennt – FLIEHENDE STüRME bin ich alleine und die Leute von A.M. unterstützen das.

Sind die Texte schon komplett fertig, wenn du ins Studio gehst?

Andreas: Ja, grösstenteils. Aber es kann auch sein, dass ich zunächst die ersten Stücke aufnehme und dann für eine Woche gar nicht mehr im Studio bin und nochmal was schreibe. Das kann auch ein ganzer Text inklusive Musik sein. Die Textideen stehen aber schon. Einige Texte sind auch schon komplett fertig – bei anderen steht nur die Idee, die werden dann noch geschrieben. Da ist eine Idee im Kopf vorhanden, aber die genauen Worte muss ich noch finden.

Hast du dir auch schon Mal überlegt ein Buch zu schreiben?

Andreas: Nein, gar nicht. Ich sehe mich auch weniger als Texter und Lyriker. Die Musik interessiert mich eigentlich viel mehr. Die Texte sind etwas persönliches und viele Leute sagen sie seien relativ wichtig oder gefallen ihnen bei FLIEHENDE STüRME recht gut. Ich finde es auch nicht unwesentlich, dass eine Band eine textliche Aussage hat, aber ich setzte das nicht so sehr in den Mittelpunkt.

Ich bin in erster Linie Musikliebhaber – ich lasse mich sehr durch Töne beeinflussen. Natürlich funktioniert das ganze nicht, wenn du einen Song anhörst und der Text ist vollkommen lächerlich oder einfach nur doof. Dann wird zwangsläufig ein Musikstück, das dir von der Melodie her vielleicht ganz gut gefällt, durch einen Text, der gegen deinen Charakter geht, überhaupt nicht mehr zusagen. Ich würde das mit den Texten nicht so überbewerten. In erster Linie will ich Musik machen – Texte sind da Beiwerk.

In welche Richtung geht das neue Material musikalisch? Ist es eher punkig oder mehr Keyboardorientiert?

Andreas: Beides, würde ich sagen.

Also gibt es schon auch ein paar härtere Stücke.

Andreas: Auf jeden Fall – die gewohnte Mischung: paar härtere, paar ruhigere Songs, paar melodiöse, vielleicht auch ein paar trashige Sachen. Da muss man sich überraschen lassen. Die meisten Sachen sind nicht so ausgeklügelt; sie entstehen ideenansatzweise auf einer akustischen Gitarre zu Hause. Im Studio nimmt dann oft alles einen ganz anderen Charakter an, weil erst da die Vorstellungen umgesetzt werden. Das Ergebnis überrascht mich dann manchmal sogar selbst, das ist ganz lustig.

Politisch gefärbt sind deine Texte ja weniger.

Andreas: Das würde ich nicht so sagen. Ich glaube das meine politischen Vorstellungen ganz gut bei dem letzten CHAOS Z Album durchkamen. Und auch FLIEHENDE STüRME sehe ich durchaus als gesellschaftskritische Band, was wiederum vordergründig in den Texten nicht so sehr rauskommt.

Aber zwischen den Zeilen glaube ich, dass man schon einiges auf unsere Gesellschaft projezieren kann. Das möchte ich jetzt nicht in einem politischen Interviewstate-ment rüberbringen, sondern das kann man der Musik entnehmen. Alleine das Stück „Krass“ vom CHAOS Z Album sagt eigentlich schon recht deutlich wie es um meine politischen Gesinnung bestellt ist.

***

Und da die Texte von FLIEHENDE STüRME und CHAOS Z ihre Wirkung sowieso erst im Zusammenspiel mit der Musik entfalten, will ich abschliessend noch einen überblick über das Schaffen dieser beiden Bands geben.

Diskographie:

CHAOS Z:
Abmarsch 7„ (1981)
Ohne Gnade LP (1982)
45 Jahre ohne Bewährung CD (1995)
Die gnadenlosen Jahre 80-83 CD (1996)

FLIEHENDE STüRME:
An den Ufern LP (1988)
Zerstörung EP (1989)
Priesthill LP (1991)
Kaleidoskop 7„ (1992)
Fallen CD (1995)

Text & Interview: Stefan Kleiber

Links (2015):
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