März 11th, 2007

FIREWATER (#93, 04-2002)

Posted in interview by andreas

Was wären wir doch ohne die Unterhaltungsindustrie? Ohne die Vielzahl an täglich neu erscheinenden, prächtig schillernden Angeboten aus der Warenwelt des Spektakels? Angeekelte armseelige kleine Würmer, die morgens nach dem Aufstehen beim Blick durchs Küchenfenster nur Fragezeichen im Geäst der Bäume sehen?

Die permanent Gefahr laufen, dem Suizid zu erliegen und die Abenddämmerung nicht mehr zu erleben, weil die innere Leere ins Unermässliche wächst? Gedankt sei den Hüllen und hohlen Gesten, den Rollenmodellen und identifikationsstiftenden Spielchen, die uns davor bewahren, uns selbst als das zu begreifen, was wir sind.

Ein Hoch auf das Spektakel und seine Epigonen, auf all` die Spiegel und bunten Lichter und den ewigwährenden Traum vom grossen Bühnenauftritt. Ohne die schönen Möglichkeiten des Eskapismus in pseudo-religiöse Innerlichkeit, in die Identifizierung mit dem Banalen, dem seichten, scheinbaren Leben, wäre das Gefühl für unsere Zerstückelung, für unsere wirklich erlebten Produktionsspezialisierungen wohl brutal unerträglich.

„We sold our souls to rock`n`roll“ hiess ein Greatest Hits-Album von BLACK SABBATH aus den 70ern, und der Titel benannte auf kultige Weise eine der im Westen beliebtesten Populärformen der Traumkonserve, die zur Zeit wieder mächtig am kommen ist. Ein Blick in die Jahrespolls diverser Magazine, so wenig repräsentativ dies auch sein mag, lässt die (Haupt)-Tendenz des diesjährigen Musikspektakels schon erahnen.

Es geht wieder zurück zur Gitarre, zur Schwanzverlängerung, zum Rock`n`Roll als inhaltsentleerten Gestus, zur Flucht in die reine Pose. Von wegen Repolitisierung der Musik, wie es dieser pomadige Rock-Diskurs vor einiger Zeit uns glauben lassen wollte. Der Apell an die primitivsten der menschlichen Gefühle hat seine Oberhand in Wirklichkeit nie verloren und darf sich heute in Form von ANDREW W.K., den STROKES oder dem BLACK REBEL MOTORCYCLE CLUB, um nur einige Beispiele zu nennen, völlig kritiklos abfeiern lassen und zwar ausgerechnet von jener Presse, die vor noch gar nicht allzulanger Zeit einen weiten Bogen um alles schlug, was nur im Ansatz nach (Punk-)Rock klang.

Dabei ist es sicherlich kein Zufall, dass die Rückkehr der Geschichtsrecycler und Rockpuristen als Gegenbewegung zum Rockdekonstruktivismus der 90er Jahre ausgerechnet in einen Zeitabschnitt fällt, in der auch die politische Kultur des Westens seit dem 11.September 2001 offensichtlich von steinzeitlich anmutenden Rückfallerscheinungen geprägt ist. Der Krieg nach aussen zieht den Krieg im Inneren automatisch im Schlepptau mit, da hat Musik als Kunst, als Wille zum Wandel, keinen Platz mehr, Musik als Sicherheitskonzept dafür umso mehr.

Was passiert also mit unserem Rock`n`Roll heute, wenn seine Hauptprotagonisten auf altbewährte Formeln, simpelste Strukturen und Klangreizmuster setzen, die wir schon tausendmal eingenommen und wieder ausgeschissen haben und auf die wir seit über dreissig Jahren bis zum Abwinken konditioniert worden sind? Und was passiert mit uns? Mit jenen hoffnungslosen Idealisten, die auszogen, das Fürchten zu lehren?

Die einfache Tatsache, dass die Unzufriedenheit selbst zu einer Ware geworden ist, als der wirtschaftliche überfluss fähig wurde, seine Produktion bis auf die Bearbeitung eines solchen Rohstoffes auszudehnen, hat halt dazu geführt, dass mit der seligen Hinnahme des Bestehenden auch die rein spektakuläre Empörung dagegen als ein und dasselbe verbunden werden kann. Rockmusik ist von daher immer ein „great pretender“ mit starkem Hang zur Biederkeit gewesen, eine Ersatzreligion, die allem Anschein nach gegenwärtig wieder Gebrauchswert besitzt.

Einer, der sich vom Erneuerer zum Festhalter entwickelt hat, ist Tod Ashley. Mit seinen Bands DIG DAT HOLE und vor allen Dingen COP SHOOT COP stand der Wahl-New Yorker Ende der 80er/ Bis Mitte der 90er an vorderster Front was die Zerstörung überkommender Rock-Klischees betrifft, um mit FIREWATER seit 1996 wieder auf den Schultern der Väter zu stehen.

Sein drittes Album „Psychopharmacology“ ist neulich von Noise-O-Lution auch in Deutschland veröffentlicht worden, trägt die Wesenszüge eines melancholisch-narzisstisch Gekreuzigten und klingt dem Spätwerk Iggy Pop`s nicht unähnlich.

FIREWATER = INTOXICATING LIQUOR (WEBSTER`S DICTIONARY)

Diskographie:

„Get Off The Cross… We Need The Wood For Fire“ (JetSet `96)
„The Ponzi-Scheme“ (JetSet `98)
„Psychopharmacology“ (JetSet `01)

***

Tod: Tom?

Ja. Zweiter Versuch.

Tod: Wie geht`s Dir?

Bei mir ist alles halbwegs in Ordnung. Es ist immer noch sehr kalt hier in Deutschland. Winter, und ich mag die graue Atmosphäre nicht so sehr.

Tod: Ich auch nicht. Wirst Du depressiv?

Hmm, ja, ich muss da ständig gegenanarbeiten. Um es mal so auszudrücken. Ja, das ist schon ein Motor für alle möglichen Aktivitäten für mich. Ja, und dann hörte ich von Freunden aus den Niederlanden von Deinem dritten FIREWATER-Album, welches Ende letzten Jahres dort schon via Import zu haben war. Glücklicherweise hat sich das mit Noise-O-Lution jetzt geändert.

Tod: Ja, das Album ist bei Euch nun regulär veröffentlicht.

Genau und so sind mir Deine neuen depressiven tunes in die Hände gefallen…

Tod: (lacht) Nun, auf eine Art war das auch ein deprimierendes Jahr, aber eigentlich fange ich an, mich wieder besser zu fühlen. Ein wenig. Losgelöst von der Platte natürlich. Aber die Dinge laufen recht gut. Ich weiss nicht, ob Du weisst, dass ich jetzt mit Shelley Maple verheiratet bin, die auch Jetset Records (home of FIREWATER) betreibt.

Ja, ich hörte davon.

Tod: Also, ich bin der Designer hier. Jetset hat gerade erst LUNA unter Vertrag genommen. Keine Ahnung, ob sie eine grosse Band in Europa sind, auf jeden Fall sind sie es hier. Kennst Du noch GALAXY 500?

Sicher, die mochte ich wohl.

Tod: Ja, das ist derselbe Typ, Dean Warren, der dann LUNA gegründet hat. Das ist die bekannteste Band, die wir z.Zt. herausbringen.

Ja, da gab es einige interessante Veröffentlichungen, nur waren die hier sehr schwer zu bekommen. Ihr hattet da mal eine JESUS LIZARD-10″, glaube ich.

Tod: Richtig.

… die ich als alter JESUS LIZARD-Fan natürlich haben wollte, hier jedoch nie finden konnte.

Tod: Ja, unser Vertrieb in Europa ist nicht besonders, weshalb Shelley auch eine kleine Reise dorthin vorhat, um zu versuchen, einige dauerhafte Arrangements zu treffen, weil der Grossteil des JetSet-Krams derzeit eben nur über Import erhältlich ist. Und sie hat bisher noch Niemanden gefunden, der einen guten Partner abgeben könnte, der nicht nur hier mal was und da mal was veröffentlicht.

Wie sieht Deine augenblickliche Lebenssituation eigentlich aus? Ich könnte mir vorstellen, dass FIREWATER-Alben nicht gerade zu den Bestsellern zählen…

Tod: Hier verkaufen sich die gut. Die Neue läuft sogar besser an, als der Vorgänger, der sich ungefähr 15.000 mal in den Staaten und weltweit um die 30.000 mal verkauft hat. Daher…

Du kannst also von Deiner Musik leben?

Tod: Nein, ich meine, ich arbeite schliesslich auch für Jetset, was eine Arbeit der Liebe ist.

Klingt wie eine Liebesbeziehung?

Tod: Das ist definitiv eine Liebesbeziehung: Die Liebe zur Musik und Du weisst, ansonsten.

Am Anfang von FIREWATER stand diese grossartige Besetzung mit Leuten von SOUL COUGHING, JESUS LIZARD, etc., die auf dem weiteren Weg fast gänzlich ausgewechselt wurde. Damit einher ging ein stilistischer Wandel.

Tod: Nun, das war der Punkt, an dem ich die Platte machte. Im Grunde hatten sich COPSHOOTCOP gerade aufgelöst. Ich rede jetzt von der ersten Platte „Get Off The Cross“. COPSHOOTCOP hatten sich gerade getrennt und ich hatte eine handvoll Songs, wollte eine Platte machen, hatte aber keine Band.

Also fragte ich all` meine Lieblingsmusiker, ob sie in der Lage wären, nach New York zu kommen und mir auszuhelfen. Mir gelang es dann tatsächlich, alle für zwei Wochen nach New York an einen Ort zu bewegen und wir probten und nahmen auf und erledigten das Ganze recht schnell. Aber im Anschluss waren sie alle ziemlich mit Touren und ihren eigenen Bands beschäftigt.

Ja, kann ich mir vorstellen.

Tod: Weshalb das dann natürlich wieder auseinanderbrach. Zu der Zeit, als ich eine echte Band brauchte, um damit auf Tour zu gehen, zur zweiten Platte also, waren das andere Musiker. Seitdem ist das allerdings sehr konstant geblieben, was Oren Kaplan (Gitarre) und Paul Wallfisch (Orgel & Klavier) betrifft. Und auch Hahn Rowe (FOETUS) spielt bei einem Stück mit.

FIREWATER funktioniert als eine Gruppe, die im Kern solide ist und dann gibt es Leute, die kommen und gehen können, soweit sie zur Verfügung stehen. Weil wir eben nicht die ganze Zeit live unterwegs sind und die Hälfte meines Lebens jetzt diese Plattenfirma ist; ich dieses Jetset-Zeug mache. Weisst Du, das ist nicht mehr wie mit COPSHOOTCOP, wo wir neun bis zehn Monate im Jahr unterwegs waren. Mit FIREWTATER touren wir vielleicht zwei bis drei Monate im Jahr. Das hängt eben davon ab, wer zur Verfügung steht.

In meinen Augen verfolgst Du mit FIREWATER ein anderes Band-Konzept als mit COPSHOOTCOP. Jetzt schwingst Du allein das Zepter und wählst aus, wer Dich zur Umsetzung Deiner jeweiligen musikalischen Idee unterstützen darf. Dieses geschlossene Bandding der Vergangenheit, mit vier Personen, die sich Rechte und Pflichten gleicherhalben teilen, sehe ich da nicht mehr.

Tod: Richtig. Ich denke … (und lacht), ja, wenn Du es so ausdrücken willst, bin ich der, ja, Diktator ist wohl das Wort, das an dieser Stelle benutzt werden müsste, ja, ich bin aber…

Der Party-Diktator sozusagen.

Tod: Yeah (lacht), der Party-Leader und wir praktizieren diese Politik der offenen Tür bei FIREWATER. Soweit die Leute halt verfügbar sind. Aber Du hast recht. Es gibt mir die Freiheit zu sagen, dass bspw. dieser Hornbläser gut zu jenem Song passt. Projekt, denke ich, ist so ein lahmer Ausdruck. Vielleicht ist es eher ein Kollektiv, wo die Leute frei sind, zu kommen und zu gehen, gerade wie es ihnen gefällt.

Ja, aber ist diese Herangehensweise keine Konsequenz Deiner Erfahrungen aus der Vergangenheit mit orthodoxen Bandkonzepten?

Tod: Ja, definitiv. Bei COPSHOOTCOP schrieb ich die Mehrzahl der Songs und dennoch sollte Alles demokratisch ablaufen. Und ich denke in Musik funktionieren Demokratien manchmal grossartig und manchmal nicht. Nach einer Weile fühlte ich mich in einer Falle, zusammen mit Leuten zu spielen, die nicht an der Musik interessiert waren, die ich am schreiben war. Ich fühlte die Zeit gekommen, Leute zu finden, die mögen, was ich tue. Ja, es war einfach Zeit, weiterzugehen und einen anderen Ansatz auszuprobieren.

FIREWATER gibt Dir in meinen Augen auch weitaus mehr Spielraum für Deine Liebe zu grossen Gesten. Wie in einem Theaterspiel hast Du jetzt viel mehr Platz auf der Bühne, als bei CSC, wo Deine Rolle klarer definiert und eingeengt war.

Tod: Ich denke, das ist für mich heute viel ehrlicher. Ich kann ein bisschen mehr Ich-selbst sein. Ich muss nicht der Star sein. (lacht geringschätzend) FIREWATER ist zu mehr Humor fähig, hat mehr Schönheit und unterschiedliche Dimensionen. Und ich versuche für mich… (stockt kurz).

Im Allgemeinen bin ich kein glücklicher Mensch. Du weisst, ich muss schon mein ganzes Leben mit Depressionen umgehen und ich versuche jetzt eher, die Blume im Abfalleimer zu finden, die Poesie in einer hässlichen Welt, als den Leuten negative Dinge ins Gesicht zu reiben. (lacht) Ich versuche auf die guten Aspekte zu schauen, wieviele auch immer davon vorhanden sein mögen.

Solange Du jetzt nicht versuchst, Mitglied bei den Grünen zu werden, kann ich das nachvollziehen.

Tod: Versprochen.

Eure ersten beiden Alben mag ich sehr, gerade wegen des osteuropäischen Folkloreeinflusses. Den Ansatz hatten MOTHERHEAD BUG und David Quimet spielte bei Dir ja mit, zwar schon ausprobiert gehabt, aber das funktionierte gut und klang originell. „Psychopharmacology“ dadegen ist ein Album voller Reduktionen. Die folkloristischen Elemente sind gekippt, die Instrumente anders gestimmt. Ist es eine Art Retro-Album oder ein Portrait des Standes Deiner momentanen Verzweifelung-Album? Hilf` mir mal!

Tod: Die Instrumentierung, so wie wir uns dafür entschieden, sollte minimaler ausfallen, ich schätze mehr, in Anführungszeichen, „Rock“. Und für mich waren die letzten… Abgesehen vom 11. September waren die letzten zwei Jahre vor den Aufnahmen für diese Platte auch schlechte Jahre. Auf eine Art hat sich das mies hingezogen. Viele meiner Freunde, zwei meiner Freunde begingen Selbstmord, einige meiner Freunde starben; viele der Songs versuchen daher damit umzugehen, nicht mit den Tragödien, sondern jenen Gefühlen. (gepresst)

Also dachte ich, wir brauchten irgendwie eine neue Herangehensweise. Daher trafen wir diese Entscheidung: Um zu minimalisieren, was die Instrumentierung betrifft und Dinge nur zu nutzen, wenn sie notwendig sind. Darauf zu schauen, wonach der Song ruft, was der Song haben will. Es ist keine fröhliche Platte, würde ich sagen; aber es ist der Versuch, denke ich, eine kraftvoll-fröhliche Platte zu ziemlich hässlichen Inhalten zu machen.

Färbt der Umstand in einer, soweit ich es erfahren habe, recht selbst-zerstörerischen Umgebung wie Du in New York zu leben, diesen Ansatz?

Tod: Nein, ich denke das ist weniger New York, als das viele Künstler und Musiker einfach nicht sehr glückliche Menschen sind. Einer von vielen Gründen, warum sich Menschen mit Kunst und Musik beschäftigen, ist sicherlich, weil sie so einen Weg finden mit Emotionen umzugehen, die sie sonst nicht ausdrücken können.

Also, ich denke, das ist ein zweischneidiges Schwert. Leute, die kreativ sind, gehen oft auch Hand in Hand mit vielen Depressionen und allen möglichen chemischen Schieflagen. Das ist einfach eine unglückliche Angelegenheit. Glücklicherweise erhalten wir auf diese Weise aber auch viel grossartige Musik.

Deine Texte auf „Psychopharmacology“ reflektieren diesen Aspekt wunderschön. Wirklich, solange ich Deine Lyrics kenne, so schön hast Du noch nie geschrieben. Nur der musikalische Rahmen scheint mir nicht so recht stimmig. Die lyrische Verzweifelung höre ich da nicht mehr. Wie schon gesagt, musikalisch ist Dein neues Album ROCK. Sehr klassisch, auf eine Art gewöhnlich, Du kannst es auch rückwärtsgewandt nennen.

Tod: HmmHmm.

Ein Singer-Songwriter-Forum, weil alles sehr auf Dich, auf Deine Stimme focusiert ist, die ziemlich weit vorne steht.

Tod: Ja, das war eine bewusste Entscheidung. Ich wollte wirklich, dass die Texte durchkommen. Etwas, worüber wir auch mit den Produzenten sprachen, das wir die Stimme einfangen wollten und die Stimme hoffentlich all` diese unterschiedlichen Stile, die da zusammengemixt wurden, zusammenhält. Das war also schon ein bewusster Versuch, das zu probieren. Vielleicht zu sehr, aber, ich weiss es nicht. (lacht ein wenig verlegen)

Ja, stimmts Du dem nicht zu, dass „Psychopharmacology“ gewissermassen ein Pop-Album ist, weil es die gleichen Methoden nutzt, die im gewöhnlichen Pop benutzt werden?

Tod: Ja, das stimmt, ja. Ich habe keine Probleme mit Popmusik.

Ich will das gar nicht bewerten, nur analysieren.

Tod: Ja, für die Platte trifft das definitiv zu.

Nur das dieser Singer/Songwriter-Aspekt in einer Deutlichkeit hervorsticht, wie ich ihn so offensichtlich in Deinen früheren Arbeiten nicht begriffen habe. Um es einmal so auszudrücken.

Tod: Oh, ich hoffe, das ist gut und es heisst auch nicht, dass die nächste Platte notwendigerweise wieder so klingen wird. Für diese Platte war das aber etwas, das wir ausprobieren wollten und das Material schien dazuzupassen, von daher dieser Ansatz, den wir wählten. Und… ist das keine langweilige Aussage, stimmt`s? (lacht)

Ich finde das ganz interessant. Weil, eigentlich bist Du Anfang der 90er beinahe mit einer ganzen Generation von Musikern vor eben diesen ROCK-Ismen davongerannt. Ihr habt Euch in Dekonstruktionen und Krach gebadet, viele sind später in den weiteren Jazz, Experimental- oder Ambient-Bereich geflüchtet. Aber immer weg vom orthodoxen Rock… Und Du scheinst in die entgegengesetzte Richtung zu schreiten und zu versuchen, die Musik Deiner Legenden schöner zu machen.

Tod: Ich denke, bei CSC ging es darum, alles zu zerstören. Irgendwann kommst Du an einen Punkt, da ist nichts mehr übrig zu zerstören, und du musst damit beginnen, etwas zu kreieren. (stockt kurz) Ob wir nun etwas Neues schaffen, weiss ich nicht, aber zumindest ist es ehrlich und versucht nicht vorzutäuschen, etwas zu sein, was es nicht ist. Und für mich wurden COPSHOOTCOP zu etwas, was nicht mehr Ich war.

Grossartige Täuscher.

Tod: Ja, ich wollte ehrlich sein und das ist es zumindest jetzt. Mann, wird das gedruckt schlecht klingen, Tom. Aber ich versuche Dir das nur ehrlich zu erzählen. Auf dieser Platte suchte ich mir eine Rolle als Charakter auf die Art, dass ich offener, zeigender und ehrlicher sein und Dinge ausdrücken kann, die ich sonst nicht sagen könnte. Falls das Sinn macht.

Vor zehn Jahren hättest Du mich wahrscheinlich ausgelacht, hätte ich Dir prophezeit, dass Du ein Album aufnehmen würdest, das es mit dem Spätwerk von IGGY POP locker aufnehmen kann, das besser als die Legenden klingt, mit denen Du aufgewachsen bist. Das aber soooo Rock ist…

Tod: Wahrscheinlich ja.

Weil Du vorgabst, vor all`dem so sehr davonzurennen.

Tod: Ja. Du weisst aber auch, dass es bei CSC irgendwie eine bewusste Entscheidung war, alles was uns auch nur vage bekannt vorkam, sofort herauszuschmeissen oder rückwärts zu spielen oder in Scherben zu hauen und wieder zusammenzulegen. Es gab also einen bewussten Versuch, unsere Einflüsse zu ignorieren und ich denke der Unterschied zu FIREWATER besteht darin, dass ich denke, dass Einflüsse vollkommen in Ordnung sind.

Musik ist eine weitergehende Tradition und eine Generation steht auf den Schultern der davorgewesenen. Jemand anders kann jetzt die nächste wilde und destruktive Band sein. Das ist etwas, woran ich nicht mehr interessiert bin. Ich bin stärker an Humor und Schönheit interessiert und versuche, das zu übertragen.

Ist das nicht ein seltsamer Lebens-Zyklus, wo viele Menschen das kopieren, wovor sie 10 oder 20 Jahre zuvor davongerannt sind? Ein wenig trifft das auch für Dich zu: Dieser „Wille eines kleinen Jungen“, der immer in Dir gelebt hat, irgendwann ein Album zu schaffen, was zu Deinen Teenage-Lieblingen passt.

Tod: Ja, das ist möglich. Ich denke jetzt in Zusammenhängen wie, das ich Musik machen möchte, die anhält, die auch in zehn Jahren noch angehört werden kann und etwas bedeutet.

Das Du Dich sehr an Rockismen orientierst, hat vielleicht auch mit Deiner Liebe zu grossen, ausladenen Gesten zu tun, die eben in Rock theatralischer als sonstwo ausgelebt werden können.

Tod: Ganz bestimmt denken wir filmisch, was die Musik angeht. Wir versuchen den Soundtrack für einen Film zu erstellen und die Texte sind das Visuelle dieses Filmes. In dieser Art begreife ich das Songschreiben. Z.B. James Bond hat eine Titelmelodie. Und all` diese Songs sind Titelmelodien zu Mini-Filmen. Und die Texte sind die Bilder. Das ist so die Art wie wir auf den Prozess schauen, eine Platte zu machen.

Ihr kommt im März zu uns auf Tour, ist das korrekt?

Tod: Ja, absolut.

Ich denke, dass Deine Songs live besser funktionieren werden. Bist Du eigentlich zufrieden mit dem Sound?

Tod: Ich bin mit dem Schlagzeugsound nicht zufrieden. Hauptsächlich. Für meinen Geschmack ist das etwas zu soft.

Auch Dein Bass und die Gitarre stehen im Hintergrund. Dein Bass-Tuning ist auch viel weicher.

Tod: Das war eine bewusste Entscheidung, das ich wollte, dass der Bass eher einen Platz im Hintergrund einnimmt und der Gesang im Vordergrund steht. Aber der Schlagzeugsound hat mich nicht glücklich gestimmt. Der ist nicht so heavy ausgefallen, wie ich es gerne gemocht hätte. Aber beim nächsten Mal, Tom. Es gibt kein zurück. (lacht)

Auf Deiner neuen CD bspw. kann ich Dich auf dem Bass das Hauptmotiv erst auf dem dritten Stück „Fell Off The Face Of The Earth“ so richtig heraushauen hören. Auch die Gitarrenstimmung hat sich geändert. Was soll ich sagen? Für mich klingt das heute in Richtung, ja, SHOTGUN WEDDING oder BAD SEEDS gehend. Laid-back loungig. Das rockt nicht genug (lacht), dafür…

Tod: (lacht) Es rockt nicht genug für Dich?

Da muss man sich erstmal dran gewöhnen.

Tod: Ich, nun, ich muss Dir zustimmen. Aber ich würde das nicht in eine Besprechung packen. Aber (lacht)…

In einen dreckigeren Sound verpackt würden die Songs besser funktionieren.

Tod: Stimmt!

Der Dreck ist da, in Deinen Texten, in jeder Zeile wie „zipping on an oxygen-cocktail“. Nur in der musikalischen Transformation ist das verlorengegangen. Da fehlt was im Rahmenwerk. Tod, was ist passiert?

Tod: Nun, was passiert ist: Wir haben den falschen Produzenten ausgewählt. Das brauchst Du aber nicht in Deinem Artikel zu schreiben.

Namentlich auf dem Cover ist keiner vermerkt.

Tod: Da sind deshalb keine Namen genannt, weil wir riesigen ärger mit ihnen hatten und nicht zufrieden mit dem letztendlichen Resultat waren. Deswegen sind die nicht erwähnt.

Hat das mit dem Umstand zu tun, dass FIREWATER nach dem zweiten Album kurzfristig bei einem Major landeten?

Tod: Nein, die Platte ist nicht für ein Major-Label aufgenommen worden. Die mochten das nicht und sagten im Grunde, dass wir anfangen sollten, Mariah Carey-Songs zu schreiben und sie dann vielleicht ein FIREWATER-Album veröffentlichen würden.

Ich denke, ich schrieb` für die nicht genug Mariah Carey-Songs. Also gaben sie uns die Option zu gehen, was wir dann taten. Wir aber hatten eineinhalb Jahre darauf gewartet, eine Platte zu veröffentlichen. Grundsätzlich die gleiche Geschichte, die auch GIRLS VS. BOYS passiert ist, bis sie wieder aus ihrem Vertrag herauskamen.

Und Du warst auf der Suche nach einem Produzenten, konntest jedoch keinen „partner in crime“ finden, der zu Eurem Konzept passt?

Tod: Nun, ich traf eine Entscheidung; wir entschieden uns für diese Produzenten und persönlich, zwischen Dir und mir, war das keine gute Hochzeit. Die gaben mir nicht, was ich produktionstechnisch wollte, aber ich weiss, mit wem ich auf der nächsten Platte zusammenarbeiten werde. Ja, ich denke, man hat zu akzeptieren, was einem das Leben gibt, man hat seine Fehler zu akzeptieren und sich dann weiterzubewegen.

Hörst Du Dir eigentlich noch Deine alten Sachen an?

Tod: Das ist schwer für mich anzuhören und zu mögen. Vielleicht wenn ich sechs oder sieben Bier getrunken habe, kann ich mir das anhören. Ansonsten würde ich nur die Fehler hören, nur die Sachen, die ich hätte anders machen sollen. Also ist das schon schwer, meine eigene Musik zu hören und auch noch zu geniessen. Aber ich mochte es, sie live zu spielen und ich mochte den Prozess des Aufnehmens sehr.

Doch nur die Platten zu hören…, ich würde dasitzen, viele Zigaretten rauchen, nein, das wäre kein Spass… Vielleicht macht es anderen Leuten mehr Spass. Das war die Vergangenheit und ich lebe in der Zukunft, von daher… Du kannst niemals zurückgehen. (lauter) „Schaut nicht zurück“, wie jemand mal gesagt hat.

Wie ist überhaupt Dein Leben nach dem 11.September. Bist Du der Aufforderung Eures Ex-Bürgermeisters gefolgt und wieder shoppen gegangen?

Tod: (lacht) Nein, aber hätte ich das Geld, täte ich es bestimmt. Aber ernsthaft ist das Jetset-Büro sechs Blocks enfernt vom World Trade Center, von dem, was das WTC einmal war, meine ich, und wir waren hier, alle waren am Arbeiten als es passierte, als das erste Flugzeug einschlug. Wir liefen aus dem Büro heraus über die Strasse und wir sahen das zweite Flugzeug in das Gebäude einschlagen.

Wir sahen das Ganze aus einer Entfernung von ungefähr einer Viertelmeile. Das war eine der surrealsten Sachen, die ich je gesehen habe und ich hoffe, etwas ähnliches nie wieder zu sehen. Ich meine, wir sahen Leute aus dem Gebäude springen, hunderte, von der Spitze des Gebäudes. Es war schrecklich, wirklich schrecklich. Wir sprachen mit den Leuten, die gerade noch entkommen konnten, das war… aah. Und dann wurde die ganze Gegend von der Polizei für ungefähr eineinhalb Monate abgesperrt, also mussten wir zu den Kontrollpunkten der Polizei, jedes Mal, wenn wir zur Arbeit gehen wollten. Da war eine Menge Gängelei, aber ich meine, das Alles, diesen Eindruck werde ich nie vergessen.

Danke für das Gespräch, Tod.

***

Interview: Tom Dreyer

FIREWATER-Diskographie:
„Get Off The Cross We Need The Wood For Fire“ (`96)
„The Ponzi Scheme“ (`98)
„Psychopharmacology“ (`01)

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