September 23rd, 2009

FEAR OF GOD (#129, 02-2008)

Posted in interview by jörg

„HC is over. Now go home“

Fear of God war eine Schweizer Noise-Band, die es in den 80igern gab. Die Band wurde trotz ihres übersichtlichen musikalischen Outputs sehr oft gebootlegt. 2003 fand eine kurze Reunion satt, bei der es Auftritte in Deutschland, der Schweiz, Belgien und Italien gab. Sänger der Band war Erich Keller, der damals auch das Label Off the Disk Records machte, das Fanzine Megawimp herausgab und umtriebiger Aktivist war.

Heute betreibt Erich einen tollen Blog namens goodbadmusic.com, wo er seltene Tape- und Vinyl-Veröffentlichungen zum kostenlosen Download zur Verfügung stellt und dabei Anekdoten zu den Bands von „damals einfliessen lässt. Schaut es euch an, es lohnt sich! Kontakt zu Erich Keller ist über diesen Blog möglich, dort gibt es auch eine Verlinkung zu einer mexikanischen MySpace-Tribute Seite seiner alten Band.

Gründe für dieses Interview waren zu einem der geplante Re-Release seiner alten Band Fear of God (deren Doppel-LP „Zeitgeist soll 2008 auf CD wiederveröffentlicht werden), zum anderen ein grundlegendes Interesse von mir an einigen von Erichs Positionen in dem umfangreichen und von ihm selber verfassten Beiheft zu der „Zeitgeist Platte.

Z.B. sagte Erich dort: „Nur schon die Sache mit den Splatterfilmen, die damals noch ein Schattendasein fristeten und gerade in der Noisecore-Szene starken Anklang fanden (inzwischen ist auch ihre ästhetik bis nach Hollywood vorgedrungen). Das modernekritische, sozialrevolutionäre Element von „Night of the living Dead, die existenzialistische Gedärmeerfahrung („Man Eater) oder der Angriff auf den kapitalistischen Konsumkonsens in „Dawn of the Dead: nichts davon spiegelte sich in den Rezeptionen der Bands wieder, die einzig die derbe Form dieser Filme aufnahmen – Carcass und Konsorten blieben artige äffchen, die nachzumalen versuchten, was ihnen der Laborateur vorgesetzt hatte.

So ergötzten sich also auch VegetarierInnen und Vegane an Splatterfilmen: man wollte im täglichen Leben zwar Lederschuhe nicht mal anfassen, fand es aber toll, wenn die Innereien auf der Leinwand noch dampfend verzehrt wurden. Auch hier wurde schnell klar, welche Lesart sich durchsetzen würde. Der Beliebigkeitswahn natürlich, die Angewohnheit, von allem nur noch die Oberfläche wahrzunehmen und ihre Erscheinungen wild durcheinander zu bringen. … Wir blieben Idioten. Wir richteten uns ein in unserer Szene, verzichteten für ein, zwei Jahre auf den Mehrwert, bis die ersten Aufstandsverwalter den neuen, lukrativen Fischteich gesichtet hatten. Aus den Idioten wurden so Dummköpfe.“

Kann man da nicht plump zurück fragen: die Kulturindustrie reagiert schnell auf Subkulturen und entnimmt die Oberflächlichkeiten – deshalb kann es dann doch eigentlich egal sein, denn unsere Inhalte kriegen und wollen sie eh nie? Das Interview wurde von mir mit Erich an einem Samstagnachmittag Ende Januar 2008 in einem Auto auf einem Parkplatz in Darmstadt geführt.

***

Ja, hallo Erich.

Erich: Ja, hallo Jan!

äh, ist da was dran, dass die „Zeitgeist“ als CD- Re-Release auf dem Mike Patton Label Icepac Records rauskommen wird?

Erich: Nee nee, das hat sich längst erledigt, es war mal geplant, bei Icepac, das ist aber nix draus geworden. Vor allen wegen mir zuletzt, weil ich das verbummelt habe, aber auch, weil das Interesse beiderseits nicht mehr richtig gross war, nachdem wir 2003 zusammen aufgetreten sind. Das war etwas, haha, seltsam.

Habt ihr bei denen angefragt oder kamen die auf euch zu?

Erich: Nee, das war schon von denen, als Mike Patton noch bei Faith No More war, also was ich so hörte, die haben in Zürich im Hallenstadion gespielt, und er muss von der Bühne runter nach Fear of God gefragt haben.

Echt, geil!

Erich: Ja, was im Publikum zu ziemlicher Konsternation geführt haben muss, die kannte natürlich niemand. Und ich habe halt immer wieder gehört, dass er sich für die Band ziemlich interessiert. Dazu kam, dass er irgendwann Dave angeschrieben hat und…

Ah, Dave Philips von Fear of God?

Erich: Ja genau, Dave macht ja so Experimental-Musik und Mike Patton ja auch, die haben sich dann gekannt. Was letztendlich übrig geblieben ist, also, die CD ist nie erschienen, aber was sich aber doch noch ergeben hat, war, das Mike Patton Fear of God gecovert hat für so eine Tribute CD.

Der Tribute Sampler an Fear of God, wo auch z.B. Saalschutz euren Song „Pelzfotze“ gecovert haben?

Erich: Ja genau.

Die Version des Songs soll ja ziemlich ungewöhnlich sein, aber ich habe leider den Sampler noch nie gehört?

Erich: Ziemlich klasse ist der geworden, da sind 80 verschiedene Künstler drauf, also Künstler muss man die ja nennen, das sind ja keine Bands, und die covern halt 80 Stücke.

Also auch in deren jeweils eigenen Stil?

Erich: Absolut, da ist alles dabei, von Piano-Musik bis hin zu irgendwelchem Getöse.

Wann ist denn der raus gekommen?

Erich: 2003 oder 2004, dass weiss ich jetzt nicht mehr, aber das kann man raus finden.

Sag mal, und mit Relapse Records, ist das noch in der Warteschleife, dass Relapse die CD von euch herausbringen bzw. parallel mit Icepac?

Erich: Nee, Relapse haben später angeklopft, übrigens auch Nuclear Blast. Also z.T. hatte es mit einem Desinteresse unsererseits zu tun, dass wir das nie weiter verfolgt haben, z.T. waren aber auch einfach falsche Erwartungen mit im Spiel. Und wie gesagt, du bist da nicht auf dem Laufenden bezgl. Ipecac.

Von denen oder von euch?

Erich: Von beiden Seiten, also ich denke, es gibt Bands, da ist der Name grösser als dass, was wir effektiv verkaufen. Und bei Fear of God ist das der Fall. Ich denke nicht, dass wenn man das heute noch mal herausbringen würde, dass ist sowenig an Material…also, ich meine, wir waren ja nur 1x im Studio damals…

Dafür gibt`s ja aber jede Menge Platten von euch..

Erich: Ja, gibt`s, jeder Furz ist irgendwann mal gebootlegt worden oder von uns als live-Aufnahmen herausgekommen, es gibt glaube ich 2 offizielle live-Platten, die wir veröffentlich haben, und da gibt`s halt dann jede Menge Bootlegs, das steht alles in einem krassen Missverhältnis, die offiziellen Releases im Vergleich zu den Bootlegs, das ist irgendwie schon ein bisschen der Hammer.

Die Label-Macher denken sich dann ja wahrscheinlich, wow, Fear of God (FOG) ist so oft gebootlegt worden, das ist fast so krass wie bei den Misifts, da ist Potential, mit denen müssen wir was machen. Jetzt sind aber Relapse oder Icepac schon professionelle Indie-Labels. Und Fear of God bzw. du haben ja durchaus ihre Wurzeln im D.I.Y.-Punk. Ist mit dem Ideal nicht schon ein Scheitern im Metal-Business vorprogrammiert?

Erich: Mich hat das immer erstaunt; dass Musiker immer was in FOG gesehen oder gehört haben, was ich selber gar nicht höre und da sind dann auch viele Fans… Es gab ja auch von Free-Jazzern Angebote, FOG-Projekte zu machen, das ist auch mal was angelaufen, das war schon 1990, das waren so Free-Jazzer aus der Schweiz, die mich auch eingeladen haben für so ein Projekt, da ist aber auch nichts draus geworden. Letztendlich ist das Meiste daran gescheitert, glaube ich, dass wir uns nicht wirklich um das gekümmert haben.

Guido Lohm, Sänger bei der Kölner Grindcore-Band World Downfall, hat mir mal erzählt, dass er Anal Cunt und Fear of God in Leipzig 1990 gesehen hat und dass da 500 Leute waren, und in Sprechchören „Erich Keller gerufen haben, kannst du dich daran erinnern? Hat das eventuell auch mit einem gewissen Nachholbedarf des Ostblocks zu tun, dass da so viele Besucher waren?

Erich: Ja, erinnern tue ich mich daran, dass da halt super viele Leute waren, ja. Das war auch das einzige Konzert, bei dem ich mitgewirkt habe, wo ich mich nicht hab draussen blicken lassen können, weil ich dauernd belästigt worden bin. Die wollten Autogramme und so…

Echt, Autogramme, Wahnsinn?!

Erich: Ja wirklich, und mir war das sehr unangenehm, weil ich ja aus Prinzip keine Autogramme gegeben habe, und das haben die nicht verstanden, die meinten, das wäre ne arrogante Haltung von mir, dabei war ja eigentlich genau das Gegenteil intendiert. Daran erinnere ich mich, ich hab dann gesagt, Ja, ich gebe dir ein Autogramm, wenn du mir auch eines gibst von dir.

Ha ha, super, und, hat der das dann gemacht?

Erich: Ach, ich hab dann irgendwann aufgehört damit, ja, die haben das gemacht, aber mir ist all diese Art von Fan-Unterwürfigkeit zuwider, ja, das war ganz komisch. Aber der Grund, warum so viele Leute da waren, das war wirklich Nachholbedarf, das war unmittelbar nach dem Mauerfall. Es gab ja auch in der DDR einen ganz bekannten Radio-Sender, DT 64 oder so, und die müssen ganz massiv Fear of God gespielt haben.

Zu DDR-Zeiten habe ich auch schon Fanpost bekommen, die ist immer geöffnet bei mir angekommen, die wurde immer aufgemacht. Und es gibt auch Geschichten, z.B. ölaf, der Sänger von Flächenbrand, der ist ja in den Westen geflüchtet und hatte ein Tape von Fear of God auf der Flucht dabei und ja, es gab halt einfach Leute, die waren total verrückt drauf und das war ihnen wirklich wichtig, und so hat die Band auch eine riesige Verbreitung gehabt, vor allem in diesen Ostblockländern bzw. ganz am Ende der Ostblockzeit hatten solche Tapes eine ungeheure Verbreitung erfahren.

Das betrifft natürlich auch ganz viele andere Bands, Fear of God ist nur eine dieser Bands. Fear of GOD (FOG) hat wahrscheinlich damals auch als Projektionsfläche optimal funktioniert, ich meine, das ist ja bis heute so, dass die Band unheimlich offen für Interpretationen ist. Es gibt ja auch Geschichten, dass bei den Pogromen in Hoyerswerda und Rostock die Faschos FOG gehört haben in den Autos, das kenne ich von Augenzeugenberichten…

Ui! Das ist ja ziemlich…irritierend…

Erich: Ja, das ist irritierend. Mir wurde auch der Vorwurf gemacht, dass auf der offiziellen live-Platte, die wir gemacht haben…also, da ist so ein umgedrehtes Kreuz drauf, mit einem Kreis drum herum und….

Oh nee, ein Hakenkreuz Vorwurf?

Erich: Nee nee, um den Kreis ist so ein Bild von Jesus und Judas; mit ein bisschen Fantasie könnte man da nun ein Keltenkreuz drin sehen, was natürlich totaler Schwachsinn ist.

Man sieht, es ist offen für Interpretationen, das ganze. Aber mir ist das rätselhaft, wir waren politisch immer ganz eindeutig positioniert, aber ich meine, so ist das halt, die Leute sehen das, was sie sehen wollen.

Würdest du sagen, man kann allgemein von drei Epochen bei FOG sprechen, eurer aktiven Zeit in den 80igern, dann die Bootleger-Zeit in den 90igern und dann die Reunion 2003?

Erich: Hmh, wobei, da gab es dazwischen auch noch Zeiten, wo FOG noch mal zusammengekommen ist, in den 90igern, da gibt auch Tapes, die aber nie veröffentlich wurden, das war alles ganz schlecht.

Ich würde sagen, es gab eine FOG-Zeit und das war die Zeit bis 1988. Dort hat es funktioniert, dort hat es in die Zeit reingepasst und die Sache 2003, das war ein grosser Fehler.

Oh, das würdest sagen, dass die Reunion ein grosser Fehler war?

Erich: Ja, definitiv.

Wenn wir mal gerade einen Break machen, wir sitzen ja hier in einem Auto in Darmstadt…

Erich: Ja, und es qualmt hier drinnen auch ganz schön, machen wir mal ein bisschen frische Luft rein.

äh, tut mir Leid… Also Darmstadt 2003, da war bzw. solltet ihr hier spielen, da gibt`s ne ganz lange Indymedia-Seite dazu, warum habt ihr dann doch nicht hier gespielt, würdest du sagen, das war auch so eines der Konzerte, die zu deiner Auffassung beigetragen haben, dass die ganze Reunion ein Fehler war?

Erich: Nee, das würde nicht sagen.

Oder vielleicht auch verschiedene Erwartungen von beiden Seiten, vielleicht, dass ihr dachtet, da kommt durch die ganzen Bootlegs ein grosses Interesse auf euch zu und das war dann gar nicht so?

Erich: Ja, das war bestimmt ein Teil davon, dass man das wirklich überschätzt hat, halt wie ich das eben schon gesagt habe, der Name der Band oder… Man muss es so sagen: der Name der Band, der schwingt in so einer Szene oder Generation mit, die nicht mehr die Leute sind, die heute wirklich auf Konzerte gehen. Die Leute, die auf Konzerte gehen, interessieren sich nicht für diese alten Bands. Das ist eigentlich auch richtig, wir haben uns damals auch nicht für diese alten Bands interessiert.

Ha ha!

Erich: Und diese Sache in Darmstadt, dass kann man, glaube ich, im Internet nachlesen, das war eine absolute banale Auseinandersetzung, die dann aufgebauscht worden ist, aber ich würde das jederzeit genauso machen, wie ich das damals gemacht habe.

Ihr habt doch dann noch in Italien gespielt und in Belgien auf einem Festival?

Erich: Ja genau, also einmal mit Melvins und Tomahawk in Zürich und dann in Belgien auf einem Festival, das war das Schlimmste.

Wieso?

Erich: Ganz katastrophal, da waren halt diese Metal-Core-Leute da, und die wussten überhaupt nicht… also, das war auch so ne Geschichte, der Veranstalter lädt uns ein als Headliner oder als co-Headliner, wir haben dann da am Schluss gespielt, weil der halt die Band von früher kannte, aber das ganze Publikum kannte uns gar nicht, und wir waren halt wirklich die einzige Band, die da gespielt hat, die auf keinerlei Publikumsresonanz gestossen ist… das war schon irritierend.

In Italien war das dann anders? Hast du dann da deine alten Kontakte aktiviert, also in Italien lief das doch über den Cripple Bastards Typ?

Erich: Nein, das sind neue Kontakte, wir hatten früher zu diesen Leuten keinen Kontakt, das auch aus politischen Gründen, das sind halt Leute, die nicht unbedingt so denken wie wir.

Ich hab mich gewundert, ich kenne eure erste Single als Repress auf dem Label von dem Sänger von den Cripple Bastards, dieses EU 91 Serbian League Label und….

Erich: Ja eben das war der Kompromiss, dass da eben nicht Serbian League drauf stehen durfte, d.h. das ist ohne diese Serbian League.

Weil, ich weiss nicht, ich habe mal einen neueren Tourbericht von den Cripple Bastards über deren Ami-Ostküstentour 2003 gelesen und irgendwie hauen die ja schon diverse stolze nationalistische Töne raus, das passt alles irgendwie nicht zum Gesamtbild.

Erich: Hmh, ja, das ist so, aber weisst du, wenn man als Band ne Platte bei einem Label herausbringt, dann kann einem das ja letztendlich scheissegal sein, was der Typ von dem Label so denkt. Ich finde eigentlich, dass sollte man so handhaben, ich meine, natürlich, es fällt immer etwas auf die Band zurück und ja, dass muss man sich im Vorneherein überlegen, ob man damit leben will und wir haben darüber auch gesprochen und uns ist das eigentlich total wurscht, weil die einzige Art, in der man wirklich was herausbringen kann, wo man 100 % dahinter stehen kann, ist, es selber herauszubringen und wenn wir es selber nicht herausbringen und es dann nicht gerade Rock`o`Rama ist, dann ist das eigentlich wurscht, was für ein Label das ist. Und drum haben wir das dann auch gemacht. Und Guilo war total interessiert, und hat gepuscht und so…

Stimmt, der hat euch ja dann auch interviewt für sein Label-Seite?

Erich: Ja genau, dass war auch kein schlechtes Interview.

Stimmt, es ist ein sehr gutes Interview.

Erich: Na ja, und wir haben dann so gedacht, wir waren ja auch wieder neu in dem Ganzen drin, wir hatten auch gar keine Alternativen gehabt, hätte es die gegeben, dann hätten wir auch eventuell was anderes gemacht.

Du hast ja schon in den 80iger Jahren Fanpost bezüglich FOG bekommen; steckte nicht dann doch bei der Reunion ein wenig der Gedanke in Sachen „finanzielle Erwartungen und Lebensunterhalt verdienen dahinter?

Erich: Also für mich was das klar, dass das nicht so wird, aber es stimmt, da gab es auch andere Erwartungen innerhalb der Band, die darauf auch vielleicht gehofft haben, das war auch schon früher in den 80igern so. Aber in den 80iger Jahren haben wir uns ja aufgelöst, weil der Erfolg sich eingestellt hat und man könnte sagen, dass 2003 ein grosser Teil des Klimas innerhalb der Band genau dem gegenteiligen Effekt geschuldet war, nämlich, dass dieser Erfolg sich nicht so unmittelbar schnell eingestellt hat. Ich meine, eigentlich war das Ganze schnell vorbei, das war ja höchstens nen halbes Jahr und es gibt ja kaum Bands, die innerhalb eines halben Jahres so eine Aufmerksamkeit erregen.

War denn FOG 2003 besser als in den 80igern?

Erich: Nein nein, weit davon entfernt!

Weil es dann irgendwie professioneller war?

Erich: Nein nein, das hängt überhaupt nicht zusammen, also ich kann mir die Aufnahmen nicht anhören, ich schäme mich für die neuen Aufnahmen!

Weil ihr dann da einen professionellen Trommler gehabt habt?

Erich: Nee, also, die Band hat überhaupt nicht zusammengespielt, ich meine, in den 80igern war niemand technisch gut, aber es hat als Band irgendwie funktioniert. Und es gibt Bands, die können nicht gut spielen, aber zusammen kriegen sie eine Wucht hin. So war das in den 80igern. Und 2003, also okay, es war schon brutal… also in Italien z.B., da sind die Leute wirklich aus der Halle raus… das war so brutal, vor allem auch mit dieser Verweigerungshaltung, das war früher auch schon…

Die Leute waren einfach überfordert, und auf die ganzen Rituale haben wir konsequent verzichtet, also kein Gespräch mit dem Publikum, nix, einfach diese Walze über das Publikum, und der Sound war einfach extrem. Also, das ist ein Tape, was noch hörbar ist. Aber trotzdem….

Das ist ja schon skurril, da fährt man nach Italien zu den Fan-Nerds und kommt dann nicht an?

Erich: Na ja, es gibt ja auch immer die paar Unentwegten, und vielleicht macht man es halt dann für die, die waren auch aus dem Häuschen und haben sich unwahrscheinlich bedankt, da sind auch Kontakte entstanden, die bis heute anhalten, aber die Masse der Leute wollte halt diesen Kindergarten-HC, wo man mitsingen kann und wo der Sänger das Mikro ins Publikum hält… Ich meine, dass ist das Absurde an der Band, wir wollten uns auch früher nie mit dem Publikum gemein machen.

Apropos Kindergarten-HC, auf der Amebix „Arise gibt es einen Song namens „Fear of God und in den Linernotes zu der CD auf Alternative Tentacles steht sinngemäss, dass die Band von Erich Keller mit dem gleichen Namen mehr Platten als Amebix verkauft hat, „so be it“… der Bandname kommt dann von diesem Amebix-Song?

Erich: Nee, das war anders, wir hiessen ja vorher „Bunch of lies und ich kann irgendwann an und meinte, lasst uns doch FOG nennen und hinterher fiel mir der Song ein….

Amebix ist aber schon eine Lieblingsband von dir oder?

Erich: Ja auf jeden Fall, dass war damals wirklich spektakulär, das muss man wirklich sagen, wenn man die live erlebt hat.

Du hast ja auch Kontakt zu denen?

Erich: Ja, durch Besuche und so, Rob ist ja jetzt Schwertschmied…

Ach, der Keyboarder?

Erich: Nee, der Bassist und Sänger… wir haben dann ja auch 1986 in Basel ein Konzert für die organisiert… stell dir das mal vor, wenn die heute spielen würden, damals waren da ca. 40 Leute, ja, und da hat sich dieser Kontakt immer weiter verfestigt, ich habe sie ja auch interviewt für mein Fanzine 1985.

Stimmt, du warst ja damals auch als Konzert-Veranstalter aktiv… auf deinem Blog erzählst du auch von einem Konzert, was ihr mit Heresey und Concrete Sox 1986 gemacht habt. Die damaligen Bands sind ja heute allesamt Klassiker, wenn man die heute veranstalten würde, dann muss man ja mindestens eine Null bei den Besucherzahlen dran hängen… wie war das denn damals?

Erich: Heresey und Concrete Sox haben vor maximal 20 zahlenden Leuten gespielt… so war das damals, das war total neu. Man hatte auch noch keine Bezeichnung für die Musik, z.B. nannte man das damals ja auch noch Speedcore, weil es einfach unklar war, wie man das jetzt nennen soll. Plötzlich war da eine Form von Musik oder eine alte Form, aber völlig verschärft…Und die Grenzlinie zwischen Punk und Metal war selten so unklar wie da.

Vielleicht bin ich zu jung, als ich 1991 / 92 mit der Musik in Kontakt kam, da gab`s auf jeden Fall schon die Grenzlinien, die 2 Lager, Punk vs. Metal… vielleicht gab`s das damals nicht, ich weiss es nicht.

Erich: Also, es waren schon Gegensätze, ich meine mehr, es hätten keine seien müssen, musikalisch hat sich viel gekreuzt, ja, aber das Publikum war strikt getrennt.

Irgendwie stehen da doch auch 2 verschiedene Haltungen gegenüber, Punk als die Amateure, die Metaller als die Techniker, ich gebe ganz offen zu, ich weiss es nicht… aber mir kommt es vor, dass die einen es nicht konnten, aber es trotzdem machten, die anderen konnten es und machten es natürlich auch, ha ha…

Erich: Es ist nicht immer so gewesen.

Wie gesagt, mir kommt es so vor…

Erich: Na ja, weil du es nicht kennst.

Deshalb frage ich ja, ha.

Erich: Eben, also, man sagt ja, dass Punk die Reaktion auf die Rock-Dinosaurier war und so kann man sagen, dass diese New Wave of British Heavy Metal die Erneuerungsbewegung im Metal war, die den Punk aufgenommen hat, mit einer kurzen Verzögerung. Das sind teilweise die gleichen Leute, einige der NWOBHM-Bands waren vorher in Punkbands… und wenn du dir das anhörst, der heutige Metalsound hat dort die Form bekommen, die er eben heute hat. 1980 kam die erste Iron Maiden raus, dass wurde als Punk beworben, 1977 die AC/DC Single, das nannte man Punkrock…

Ja gut, aber eventuell dann doch nur als Marketing-Strategie, weil das damals dann der neue Trend war?

Erich: Ja natürlich als Marketing-Strategie, aber wenn es nicht irgendwie gestimmt hätte, hätte man es nicht machen können.

Iron Maiden fallen mir zu NWOBHM auch als erstes ein, aber von denen zu Circle Jerks z.B. sehe ich da irgendwie keine Verbindung?

Erich: Na ja, das liegt aber glaube ich daran, dass du diesen selektiven Blick hast, guck dir z.B. das Deep Wound Foto an von 1982, wo sie mit dem Venom Black Metal T-Shirt rum posen. Und frag mal die Bands von früher, was die für Musik gehört haben, die haben alle das gehört. Oder das erste Minor Threat-Video, wenn du da genau hinschaust, siehst du super viele langhaarige Metal Fans…

Ok…. wobei, es ist ja auch ganz interessant, du sagt ja in eurem „Zeigeist-Booklet, dass eure Musik Noise und nicht Grind ist.

Erich: Genau, der Begriff Grind ist dann aufgekommen, als wir uns aufgelöst haben, aber wir haben den immer abgelehnt.

Was heisst denn dann Noise, also so Richtung „7 Minues of Nausea? Die Band „Genocide Association aus Florida erwähnst du ja auch als Vorbild, total geile Beschreibung, „Musik, die sich selber auffrist. Die kennt ja heute keine Sau mehr.

Erich: Ja, wie man heute weiss, war diese Band nicht aus Florida, sondern ein Projekt von Digby von Earache Records aus Birmingham, das hat man aber damals nicht gewusst, dass war so ein Witzprojekt, Kalv von Heresey machte da noch mit, glaube ich… Die haben das ja wiederholt gemacht, z.B. eine japanische Band ganz schlecht aufgenommen und als eigene Band verkauft. Ich habe damals ja auch so eine Phantasie-Band gehabt, bevor es Fear of God hab, und zwar ATTA…

Ach, die eine Split mit Patereni gemacht haben?

Erich: Ja, beim Label vom Matthias Weigand. Das Wesentliche in der Zeit war, das es plötzlich nicht nötig war, ein Instrument zu können für ne Band. Berühmt in der Zeit war auch das Metal-Zine „Metal Prophecy, der Herausgeber nahm einfach die Discharge-Platte auf 45 rpm auf, machte dazu ein Democover und schickte das an die Zines und bekam überall gute Kritiken. Damals waren die Ohren halt einfach noch nicht gespitzt, man hat noch nicht verstanden, was man gehört hat.

Auf deinem „Good Music for bad, bad Times-Blog tummeln sich ja teilweise ganz illustre Leute wie Vic Bondi und Steve Albini….siehst du deinen Blog als so eine Art Ersatz zu deinem damaligen Megawimp-Zine?

Erich: Nein, nicht in Zusammenhang mit dem Fanzine, der Blog ist was anderes, da kann man ja direkt antworten und kommentieren. Am Anfang habe ich mir das ein wenig selbstironisch so vorgestellt „Jetzt guckt mal alle, was es für Musik gibt, von der ihr keine Ahnung habt. Mittlerweile ist der Blog recht gross geworden und er ist ein schönes Tummelfeld, wo sich die Generationen überkreuzen.

Bei mir ist das ja so, ich laufe ja nicht permanent mit dem ganzen Gedächtnis an früher herum, dass muss ja aktiviert werden, und durch die Musik kommen ja aktive Erinnerungen und die ganzen Geschichten hoch, pathetisch gesagt kämpfe ich gegen das Vergessen an.

Das Fanzine und das Label hast du doch mit dem Thomas Mölch zusammen gemacht?

Erich: Ja beides, Label und das Fanzine.

Seid ihr heute noch befreundet?

Erich: Nein, Thomas Mölch ist ein Riesenarschloch, das kannst du auch ruhig so abdrucken. Er hatte kürzlich über ebay versucht, Mastertapes von Fear of God zu verkaufen, das ist jetzt eine Woche her, und wir haben die Tapes jetzt wieder, nur weiss er noch gar nicht, dass wir die haben.

Und wie war das bei eurem Label „Off the disk?

Erich: Er war der lethargische und unkreative, hatte allerdings das Geld, und ich hatte die Connections. Die guten Bands hab auch ich an Land gezogen bzw. habe das Wissen gehabt, um z.B. das Infest-Mastertaoe so gut wie es jetzt klingt, verbessern zu können.

Eure Diskografie ist ja echt der Hammer, Sticky, die Infest – Slave, Morbid Angel, Rupture, Siege… Wahnsinn, warum habt ihr aufgehört?

Erich: Thomas wollte es professionalisieren, während ich mehr und mehr in die linke Szene abgerutscht bin. Ganz am Schluss sind dann die Platten herausgekommen, die er machen wollte, diese ganz schlechten Sachen wie Red Fisher und so.

Die Band Siege wird ja immer hoch gelobt, ich finde das immer skurril, von denen ist ja ausser einem Demo-Tape fast nix raus gekommen, ich habe dieses Lost and Found- Teil, ja, ist schon geil aber… Wie kann man Jüngeren erklären, warum gerade Siege so Kult geworden sind?

Erich: Die einzige Vinyl-Veröffentlichung von Siege waren die Songs auf dem „Cleanse the bacteria-Sampler von Pushead, aber das dauerte so lange mit der Platte, da war die Band schon aufgelöst, als die herauskam. Siege waren und sind bis heute die Band, die einfach besser, schneller und tighter waren….

Ich weiss von Leuten, die damals in Boston waren, dass die sich das auch nicht erklären konnten. Ich meine, ich versteh auch nicht, warum die Leute Fear of God Kult finden, ich kann auch heutige Kult-Bands nicht verstehen, ist alles ne Geschmacksfrage.

Du hattest dann ja Kontakt zur autonomen Szene und hast dich irgendwann aus den Zusammenhängen gelöst, siehst du dich denn heute noch als politischer Mensch?

Erich: Was heisst das, ein politischer Mensch?

Hm, vielleicht in der Mindestfassung, dass man kritisch das Zeitgeschehen verfolgt, maximal wahrscheinlich, dass man aktiv an gesellschaftskritischen Aktionen beteiligt ist?

Erich: Das mache ich aber nicht.

Aber damals schon?

Erich: Ja.

Aber das versteh ich immer nicht, die Leute haben die Schnauze voll vom Mainstream und gehen in den Underground, stellen dort dann fest, dass da auch konservative Arschlöcher genauso wie im Mainsteam vorhanden sind, deshalb ist der Untergrund dann genauso Scheisse wie der Mainstream und man geht dann raus und dann?

Erich: Hmh, nee, bei den wenigsten Menschen ist das doch so, ich meine, man hat doch nicht zuerst ein Konzept im Kopf und dann kommt das in ein Gefäss, dass läuft doch meistens andersherum. Man wird von irgendwas angezogen, vielleicht von einer Frau, die man gesehen hat, die einem gefällt, oder von einem Mann, von irgendwas wird man wie von einem grossen Magnet angezogen.

Dann verändert man sich, aber man verändert auch die Strukturen, in denen man sich bewegt… das ist alles bis zu einem gewissem Punkt sehr offen, bis halt irgendwann ideologische Verkrustungen eintreten, die alles starr machen…

Du meinst „politische Correctness?

Erich: Wenn man das so sagen will, von mir aus PC, oder diese ganzen Polit-Phantasmagorien, wie die Anti-Deutschen, dieser Schlagschatten der Antiimps, usw. Alle diese degoutanten Sekten.

Aber das gab`s doch damals noch nicht?

Erich: Stimmt, aber als das aufgekommen ist, das war für mich das Ende und der Zeitpunkt, an dem ich mich endgültig abgewendet habe, um da mal das Bonmot von Karl Marx zu zitieren, da ist die Geschichte wirklich zweimal wieder gekommen und zwar zum zweiten Mal als Komödie, und das interessiert mich bis heute nicht, dieses Komödiantenstadel.

Wie kann man sich denn Erich Keller in den 90iger Jahren vorstellen, nachdem du mit der autonomen Szene gebrochen hast?

Erich: Ach, gebrochen, das ist so ein hartes Wort, das hört sich immer so an, als ob man seinen Parteiausweis zerrissen hat oder so. Ich war einfach raus aus ganzen Sache, in der zweiten Hälfte der 90iger Jahre habe ich mich mehr und mehr von dem Ganzen entfremdet. Es sind schlimme Dinge passiert, mit mir und mit anderen, wir haben uns verrannt in etwas. 1998 habe ich mit 30 dann auf dem zweiten Bildungsweg meine Matura nachgeholt (Anm: das Abi), dann hab ich Geschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Germanistik studiert und arbeite heute als Historiker.

Du magst ja diese Aussage der Circle Jerks in dem Film „American HC sehr, also dieser letzte Kommentar am Ende: „HC is over. Now go home. Was findest du daran so erfrischend?

Erich: Erfrischend find ich daran nichts; es bringt halt auf den Punkt, wie ich das selber sehe. Niemand hätte das damals so gesagt, da sich eine schleichende Transformation ereignete, es war nicht alles von heute auf morgen anders.

Glaubst du, es ist bei Musik möglich, diese auch gut zu finden, weil man die Texte gut findet oder hört sich das in deinen Ohren befremdlich an? Es ist ja der alte Widerspruch der HC-Bewegung, dass über das Medium Musik transportiert werden soll, dass alles viel mehr als nur Musik sein soll…. sicher, man wird von der Musik angezogen, aber kann man nicht sagen, wenn man Musik genauso wie Malerei, Literatur oder Theater als Kunst (schlimmes Wort, ich weiss) ansieht, dass Kunst immer ein „Freiheitsversprechen beinhaltet und insofern findet man doch in der geilen Musik von AC/DC auch immer dieser „Fuck you all  wieder? Oder ist alles letztendlich nur Musik der weissen gehobenen Mittelschicht?

Erich: Natürlich gibt es das, das man sich von Texten, manchmal gar bloss von Textzeilen angezogen fühlt und sich dadurch die Musik auflädt, dass sie dadurch eine Aura bekommt. Meine Erfahrung ist die, dass gerade diese Musik aber den unsichersten Platz in der persönlichen Geschmacksgeschichte hat, während bei mir Musik, die sich mir nicht primär über Texte vermittelt hat, von grösserer Dauer ist.

Ich denke nicht, dass dies ein Widerspruch ist, es ist viel eher eine Programmatik, oftmals auch ein Betrug. Vieles davon hat zu tun mit Phantasien von Macht und Kontrolle, mit einer Sehnsucht nach einem „Authentischen“, einem „Ganzen“; siehe die Politsekten von links bis rechts. Der überrationale Einschuss an Phantasie, an Projektion und Hoffnung, der da geschieht, dieses Injizieren von „Bedeutung“, verpufft früher oder später.

Die meisten Leute richten sich dann damit ein, werden zynisch, verharren in einer musealen Einstellung zur Musik ihrer Adoleszenz („früher war alles besser“; 40 jährige in Hellhammer-Shirts), andere wenden sich total ab (manchmal die interessanteren Köpfe). Ich denke, ich hab für mich einen Umgang gefunden, der mit dem Begriff der Ironie zu beschreiben sein könnte. Nicht „it`s only Rock`n`Roll but I like it“, sondern „it`s only Rock`n`Roll but it likes me“, ha ha.

Du nennst es Freiheitsversprechen, ich sehe es eher von der dunklen Seite des Freiheitsbegriffs her. Die Vorstellung davon, was Freiheit (als Entkoppelung von Disziplinierung, direkt erfahrener Macht und Willkür, von Kleinheit und Hilflosigkeit) ist, verändert sich – eine Tatsache, die gerade Linke in ihrer linkischen Art nicht sehen und ein religiöses Verständnis von Freiheit entwickelt haben (Freiheit als Ende der Geschichte, um auf Foucault anzuspielen).

So kommt es, dass die Rebellion dieser Musik sich in stets wandelnden Zeichen ausdrückt: von der Freiheit auf dem Mofa, der Freiheit in den Mollakkorden bei Black Sabbath, der Freiheit der Körper im Hardcore bis hin zur Freiheit des Konsums, der Intimrasur und der veganen Heilsversprechen. Man kann das alles schaurig ernst nehmen, wenn man möchte. Ich glaube nicht, dass dies an sich klassenspezifisch ist und mit Hautfarben, resp. deren Wahrnehmung, dürfte es auch kaum etwas zu tun haben.

***

Interview. Jan Röhlk

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