September 7th, 2008

Kolumnen Todd Taylor, Axel Klingenberg, Christian Kruse, Wildcat (#126, 10-2007)

Posted in kolumne by jörg

Hocherfreut war ich über die (angefragte) Einsendung des schönen Textes von Todd Taylor aus Los Angeles, der uns exklusiv über eine Erfahrungen mit Lohnarbeit in dem non-Profit-Punk-Fanzine RAZORCAKE berichtet. Wahrscheinlich der Text, der am ehesten alle Aspekte des Titels dieser Schwerpunktausgabe thematisiert: Arbeit (in einem Fanzine), Macht (indirekt, denn man kann an jede Band herankommen – wenn man dazu Lust hat) und Freizeit (die Arbeit in einem Fanzine – die meisten Fanzines in Deutschland werden als Hobby hergestellt und als Freizeit-Hobby wählt man sich doch meistens eine sinnstiftende, kreative, einen selbst erfüllende Tätigkeit aus).

Todd ist Anfang 40, arbeitete jahrelang als Chef-Koordinator für das Flipside Fanzine und gründete nach deren Bankrott das Razorcake Magazine. Das Heft kommt alle zwei Monate raus und ist in Deutschland über diverse Mailorder zu beziehen.. Todd hatte ich zusammen mit Lisa vom Heartattack Fanzine vor zwei Jahren für das TRUST interviewt. Den hier erscheinenden Text „Zu deinem verhassten Job eine Art Stockholm-Syndrom aufbauen“ habe ich übersetzt. Er wird Anfang November 2007 im englischen Original auf der Razorcake-Seite veröffentlicht (www.razorcake.org). (jan)

Zu deinem verhassten Job eine Art Stockholm-Syndrom aufbauen

Ich habe nichts gegen Arbeit. Mein Gott, ich habe auch nichts dagegen, für andere Leute zu arbeiten, so lange ich fair behandelt werde. Mein Name ist Todd. Ich halte den Laden Razorcake am Laufen: das einzige offizielle non-Profit Zine in den USA „primarily dedicated to supporting independent music culture“. Seit sechs einhalb Jahren ist das mein Vollzeit-Job. Davor habe ich für fünf Jahre beim Flipside Fanzine gearbeitet. Seitdem ich 13 bin, arbeitete ich durchgehend: Rasen mähen, Kurierdienste, Aufbau von Theaterkulissen, Kaffe rösten und unterrichten.

Während meiner College-Zeit nahm ich keinen Kredit auf, sondern habe die ganze Zeit Jobs angenommen, um mich zu finanzieren. Manche Chefs waren mir egal, aber grösstenteils wurde ich allein gelassen, da ich ein guter und selbstständiger Arbeiter bin. Ich halte meinen Mund, lerne neue Sachen recht schnell, erledige, was zu tun ist, gebe zu, wenn ich Fehler gemachte habe und verpiss mich, wenn die Arbeit zu Ende bist. Ich bin ein guter Roboter. Zurückschauend war sehr viel Mist und überflüssiges dabei.

Ich wusste ziemlich genau, was ich nicht wollte: unterbezahlte Gehirn-abtötende Arbeit, „feeling my spirit getting crushed into dust“. Das übliche halt. Ich meine, es heisst Arbeit und nicht Party aus einem bestimmten Grund. Die wirkliche Herausforderung bestand darin, etwas zu finden, worin ich gut bin, das ich mag und das ich steuern kann. Es ist sehr viel einfacher, zu deinem verhassten Job eine Art Stockholm-Syndrom aufzubauen, als eine Lösung zu finden. Glücklicherweise habe ich mit der Zeit einige gute Eigenschaften gelernt.

Ich habe so viel Geld, wie ich konnte, gespart und so getan, als ich ob keine Ersparnisse hatte. Kreditkarten habe ich wie Bargeld behandelt. Ich habe nie einen einzigen Cent in Aktien investiert. Und ein sehr un-amerikanisches Verhalten an den Tag gelegt: Wenn ich keine Kohle habe, dann kaufe ich Sachen nicht. Nach dem College-Abschluss habe ich mich gegen die Promotion zu einem Dr. in Literaturwissenschaften entschieden, obwohl ich ein Angebot hatte.

Ich war gut in der Schule, aber nun empfand ich, dass die eigentlich gute Eigenschaft von mir – mich auf Sachen so gut fokussieren zu können – mich mental fertig machte. Dann geschah eine Reihe von seltsamen Sachen. Meine Grossmutter wurde sehr krank, ich zog zu ihr nach Kalifornien, um bei ihr zu wohnen. Ein Jahr später zog ich nach Los Angeles, röstete früh morgens Kaffe und habe mich beim Flipside Fanzine initiativ telefonisch beworben.

Sie meldeten sich sechs Monate nicht. Und als sie dann reagierten, schien es, dass sie am meisten von den Tatsachen beeindruckt waren, dass ich einen gültigen Führerschein hatte und Post abholen konnte. Letztendlich fand ich mich wieder in einem schlecht-bezahltem Job wieder, aber er war direkt im Zentrum des damals längst-existierendem Punkrock Zines und ich liebte es. Mit 13 wollte ich einfach, dass mein Leben los ging. Ich war die ganze Zeit frustriert und las sehr viel über das Leben gestorbener Menschen.

Mit 23 fühlte ich, dass mein kreatives Leben und mein Job zu einer Einheit geworden sind. Ich fühlte mich am Leben. In den fünf Jahren Flipside passierte eine Menge Mist, der ausser meiner Kontrolle lag und das Heft ging pleite. Völlig ohne Ahnung, was nun los war, realisierte ich, dass es jetzt Zeit wurde, all meine Ersparnisse zu nehmen und anstelle eines fremden Systems nun mein Eigenes aufzubauen: ein Besseres. Jetzt werde ich noch schlechter bezahlt, seitdem ich mich selbständig gemacht habe, aber ich bin auch jeden Fall mehr zufrieden.

Meine work-for-myself-Philosophie ist einfach: „be fair and try not to go out of business. Sustainable yield. Keep risks small.“ Wenn ich Leuten erzähle, dass ich selbstständig bin, kommt oft die Antwort „Oh Mann, du musst echt glücklich sein“. Klar, ich kann den ganzen Tag Musik hören, meine Lieblingsmusik. Ich mag mich selber, deshalb hasse ich meinen Boss nicht. My commute is great. Ich lebe in einer zwei-Zimmer-Wohnung. In dem einem Zimmer schlafe ich, in dem anderen arbeite ich für Razorcake. Ich spare sehr viel Benzin.

Ich kann mir aussuchen, was ich jeden Tag machen will. Ich kann meine Wäsche mittags machen. Wenn ich es plane, kann ich mir jeden erdenklichen Tag frei nehmen. Ich kann jede Band interviewen, auf die ich Lust habe. Aber es ist nicht alles super. Die Wochenenden bedeuten wenig, wenn du die ganze Zeit durcharbeitest. Seitdem es Razorcake gibt, arbeite ich durchschnittlich 70 Stunden pro Woche. Wenn ich einen Tag frei nehme, muss ich den Tag davor und den Tag danach um so härter arbeiten „just to stay on schedule“. Die meisten Leute wollen das nicht hören, aber es ist wahr: Ideale bedeuten einen Scheiss ohne die Fähigkeit, sich selber auf lange Sicht disziplinieren zu können.

In einer Utopie muss keiner Rechnungen zahlen, no one breaks a bone, there are no termite invasions, there`s a cold beer fountain in the front room that never goes dry. Wenn ich meinen Job nicht erledige, dann ist er nicht fertig: es gibt keinen, denn ich dafür schuldig machen kann ausser mir selbst. Aktuell haben wir 40 Ausgaben in 80 Monaten herausgebracht, die alle pünktlich erschienen sind. Es gibt keinen „goldenen Knopf“.

Kein „jemand anderes wird es reparieren“. Unternehmen können effizient arbeiten, weil die Arbeit geteilt ist. Die Leute in der Lohnbuchhaltung müssen sich nicht darum kümmern, wie man Post verschickt oder wie man einen PC oder eine Toilette repariert. Sie rufen einfach jemanden an und irgendjemand repariert es. Selbstständig, DIY und nicht pleite gehen bedeutet, eine Menge Sachen zu lernen, an denen ich kein echtes Interesse habe, denn es raubt mit die Zeit für die ursprünglichen Beweggründe, warum ich ein Zine gegründet habe – Zeit für das Schreiben, Fotos machen, editieren und layouten.

Jetzt weiss ich, wie man eine Non-Profit Organisation gründet, ein Budget aufstellt, wie die verschiedenen postalischen Bestimmungen aussehen und wie ich auf die unterschiedlichsten Schreiben reagieren muss, die reinkommen, z.B. wenn irgendeine staatliche Abteilung von uns bei Androhung von Strafen bestimmte Zahlen in der und der Frist fordert. Ich kann nicht sagen, dass ich sehr glücklich darüber bin.

Es ist eine komische Existenz: man muss sehr hart dafür zahlen, dass man nicht der Vision eines anderen folgen muss. Das der Spass und die Arbeit manchmal untrennbar zusammenhängen. To not be able to separate the monkey and robot parts of my brain all of the time. Und dasn ich trotz 10 Jahren harter Arbeit immer noch darüber nachdenken muss, dass ich mir die und die Platte oder das und das Konzert nicht leisten kann, aber trotzdem wie ein Baby schlafe und am nächsten Tag aufwache, und noch mehr geben will.

Wenn ich jedoch über eine Alternative nachdenke, wenn ich darüber nachdenke, einfach wegzugehen von dem bereits erschaffenem, dann sehe ich nur ein schwarzes Loch: a tremendous force sucking all light from around it. Ich kann einfach nicht über diese Dunkelheit hinaus in die Zukunft sehen und das bedeutet für mich, dass ich gerade das exakt Richtige für mich mache. Egal, wie schwer es wird, weiterzumachen.

Todd Taylor (www.razorcake.org)

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Axel Klingenberg (www.axel-klingenberg.de) hat diesen sehr netten Text „Beim Single-Abend“ auf TRUST-Anfrage exklusiv für diese Ausgabe geschrieben, danke dafür! Die Kurzgeschichte ist ein schönes Bindeglied zwischen der letzten „Sex and Music“ und zu der aktuellen „Arbeit Macht Freizeit“-Ausgabe. War es nicht der französische Philosoph Jean-Paul Sartre, der darauf aufmerksam machte, dass Fabrik-Arbeiterinnen am Fliessband erotische Vorstellungen mit ihrer Fliessband-Arbeit verknüpfen?

Und hat diese Steilvorlage der nette Autor aus Braunschweig, der auch schon früher mal Texte für das TRUST verfasste und Herausgeber des Punchliners und Slam-Poetry-Chef ist, nicht sauber verwandelt, in dem er Parallelen zwischen dem dominanten Auftritt der typischen Cheffigur in der Arbeitswelt und dem unterwürfigen Sexual-Verhalten derselben Person im Swinger-Club zieht?

Auch der zweite, ebenfalls exklusive, Text „Im Vorstellungsgespräch“ gefällt mir sehr: zwar zeigt der Film „Trainspotting“ die bisher immer noch beste Vorstellungsgesprächsszene ever mit dem völlig zugedrogten Typ, der nix rafft und als alleinige Schwäche seinen „Perfektionismus“ angibt; trotz alledem wird hier gekonnt gezeigt, wie schwachsinnig das Muster der Vorstellungsgespräche ist: wie beliebig die Qualifikationen für einen Job sind und wieso sich der ganze absurde Wahnsinn in Zeiten von neuem Arbeitslosengeld II noch mal potenziert. (jan)

Beim Single-Abend

Ich war das erste Mal hier und daher noch etwas unsicher. Was waren das für Leute, die hierher kamen? Würden sie mich mögen? Gleich links im Eingangsbereich befand sich die Bar. Ich bedauerte wieder einmal, nicht zu rauchen. Dann hatte man wenigstens etwas in der Hand und war beschäftigt. Also erst mal hinsetzen und etwas trinken. Die meisten Barhocker waren noch frei, nur ganz aussen, rechts in der Ecke, sass schon jemand. Er sah traurig aus, wie er sich da über sein Bier beugte. Sein Bauch hing… nein, natürlich nicht über der Hose, eine solche hatte er ja nicht an. Er hing eben einfach in der Luft oder schwabbelte vielmehr.

Darunter waren seine Geschlechtsteile zu vermuten. Immerhin war er so gesehen nicht ganz nackt. Im Gegensatz zu mir. Ich hatte nichts, um meine Blösse zu bedecken. So sass ich also da, sicherheitshalber einige Plätze von ihm entfernt, und eifrig damit beschäftigt, Blickkontakt zu vermeiden. „Hallo Süsser!“, hörte ich plötzlich eine weibliche Stimme, die wahrscheinlich erotisch klingen sollte, stattdessen aber einen etwas alkoholisierten Charme versprühte, der mich an meine Mathelehrerin aus der Realschule erinnerte.

Vielleicht hätte ich mich, falls sie es tatsächlich gewesen wäre, in die Ecke stellen und die Reststrafe dort verbringen müssen, weil wir doch damals zu fünft auf Kommando mit unseren Stühlen umgekippt sind und keine Ecke mehr frei gewesen war für mich. Es war aber nicht meine Mathelehrerin sondern ihre Tochter, Martha Hackenbrot. Ich hatte bei den letzten Kirchenkreiswahlen gegen sie gestimmt, ohne sie überhaupt zu kennen. Sippenhaft sozusagen.

„Darf ich dir etwas zu trinken bringen?“ fragte sie und zwinkerte vertraulich mit den Augen. Sie hatte mich also auch erkannt.

„öh“, antwortete ich etwas unbestimmt. Was wollte ich eigentlich hier? Ausser Sex, meine ich. „Gin!“ sagte ich schliesslich. „Und Tonic. Gin Tonic!“

„Kommt sofort!“ Sie versuchte mit ihrem Gesicht so etwas ähnliches zu machen, wie zu lächeln. Ich blickte ihr hinterher, wie sie da Powackelnd davonstapfte in ihren Strapsen und Stiefeln. Nackt war sie also nicht, angezogen sieht aber auch anders aus.

„Na, das erste Mal hier?“ raunte mir plötzlich eine Stimme von der anderen Seite ins Ohr. Vor Schreck wäre ich fast vom Stuhl gefallen.
„Nein!“ sagte ich instinktiv. Dann korrigierte ich mich: „äh, ja, natürlich!“

„Herzlich willkommen! Wir freuen uns über jeden Neuen in Manni`s Swingerclub!“ erwiderte die ältere Dame. Zumindest hätte ich sie wahrscheinlich so bezeichnet, wenn ich sie auf der Strasse gesehen hätte. über ihrem wogenden Busen baumelte eine Perlenkette. Das war auch das einzige, was sie an hatte. „Beim Single-Abend sieht man immer viele neue Gesichter!“ erklärte sie.

Konversation, dachte ich, wie ich da so auf meinem Barhocker sass, Zeit für Konversation. Leider gingen mir jedoch schon jetzt die Gesprächsthemen aus. „ähm, ich bin das erste Mal hier!“ sagte ich deshalb und noch während des Sprechens fiel mir auf, dass das eigentlich schon geklärt war.

„Na, Kleiner, noch ein bisschen aufgeregt was?“ lachte sie und klopfte mir aufmunternd auf den Oberschenkel.

Kleiner? War das eine Anspielung auf meinen…? Nein, bestimmt nicht. Darüber hatte sich noch keine beschwert. Hatte ja auch noch niemand Gelegenheit dazu gehabt. Ich nickte.

„Oder bist du vielleicht… Harald, komm doch mal her“, rief sie plötzlich und winkte jemandem im Halbdunkel hinter mir zu. Als ich Harald vor mir stehen sah, erstarrte ich noch mehr, als ich es ohnehin schon war.

„Darf ich Euch vorstellen? Das ist Harald.“ Ich nickte und streckte ihm vorsichtig meine Hand entgegen. „Und das ist… Wie heisst du eigentlich?“

Bevor ich antworten konnte, sagte Harald: „Wir kennen uns. Wir kennen uns gut. Er arbeitet in meiner Abteilung.“
„Das ist ja schön! Es fickt sich ja gleich viel besser, wenn man miteinander vertraut ist.“

„Da hast du Recht, Helga“, erwiderte Harald und grinste. Ihm schien diese so überaus peinliche Situation zu gefallen.
Dann erblickte Helga jemanden, der gerade hereinkam, säuselte „Entschuldigt mich“ und verschwand Richtung Eingangstür. Harald gab mir einige Gin Tonic aus und wir unterhielten uns sehr gut, vermieden jedoch das Thema Arbeit. Am Tag zuvor hatte Harald bzw. Herr Rampner, mir noch einen Vortrag gehalten – bzw. „einen Einlauf verpasst“, wie er es nannte – über Pünktlichkeit, Sauberkeit und Effektivität am Arbeitsplatz.

Nun, um es kurz zu machen und allzu intime Details zu vermeiden: Der Abend wurde noch sehr fröhlich. Nach ich-weiss-nicht-wieviel ginhaltigen Getränken ging ich mit Harald bzw. Harry in einen der Nebenräume und stellte zu meinem Erstaunen fest, dass homosexuelle Praktiken durchaus ihren Reiz haben können. Mein Chef verzichtete grosszügig auf seine übergeordnete Stellung und zeigte ganz im Gegenteil deutliche Vorlieben für ans Masochistische grenzende devote Verhaltensweisen. Ich tat Harry bzw. „Sklave“ den Gefallen und spielte mit. Zumal ich ihm nun endlich sein despotisches Verhalten in der Firma heimzahlen konnte.

Als der Morgen graute, verabschiedeten wir uns: „Bis Montag!“ Ich liess ihn noch ein letztes Mal meine Füsse küssen. Der dicke Mann sass immer noch an der Bar, mittlerweile schnarchend. Sein Kopf war auf den Tresen gesunken. Am Montagmorgen betrat ich kurz nach acht das Büro – der Bus hatte sich im Schneetreiben etwas verspätet. Sklave bzw. Harry bzw. Harald bzw. Herr Rampner wartete schon auf mich. „Was fällt Ihnen ein?“ brüllte er, während er wild auf seine Armbanduhr klopfte. „Zu SPäT. Sie sind schon wieder zehn Minuten zu S P ä T.“ Speicheltropfen flogen mir entgegen. „Wenn das noch mal vorkommt gibt es eine offizielle Abmahnung! Und da hilft auch kein verdammter Betriebsrat!“

„Ich…“ Mein Versuch eine längere Verteidigungsrede zu halten, wurde im Keim erstickt. „Davon will ich nichts hören!“ schrie es mir entgegen. Dann kam Herr Rampner bzw. Harry ganz dicht zu mir heran und flüsterte mir zärtlich ins Ohr: „Es war sehr schön mit dir. Kommt doch heute nach Dienstschluss in mein Büro. Ich hab da noch ein paar… Zusatzaufgaben für dich.“

„UND JETZT AB AN IHREN SCHREIBTISCH, brüllte er dann plötzlich los, so dass ich einen Satz zurück machte und mit dem Rücken gegen die Wand stiess. Ich setzte mich an meinen Platz und begann ein Schreiben aufzusetzen. „K ü n d i g u n g“, tippte ich in die Betreffzeile.

***

Im Vorstellungsgespräch

Ich war natürlich nicht der einzige, der zum Vorstellungsgespräch geladen worden war. Zusammen mit mir warteten noch elf andere auf ihre Chance, den Posten als Sportjournalist zu ergattern. Unsere bisherigen Erfahrungen an diesem Vormittag hatten gezeigt, dass ein durchschnittliches Gespräch ca. 45 Minuten dauerte. Wobei der Schnitt durch Klaus herabgedrückt worden war, der schon nach fünf Minuten wieder heraus kam. „Die Sekretärin hatte sich vertan. Die Fahrer für die Zeitschriftenverteilung sollen sich erst nächste Woche vorstellen“, erklärte er uns und fügte hinzu: „Ausserdem habe ich keinen eigenen Wagen. Damit bin ich eh schon raus.“

Er schien nicht allzu unglücklich damit zu sein: „Wenigstens habe ich nun einen Stempel für die ARGE. Ich muss doch fünfzig Bewerbungen pro Monat schreiben. So leicht wird man nicht immer abgelehnt.“ Also mit Ablehnungen hatte ich in der letzten Zeit keine Probleme, dachte ich, behielt diesen Gedanken aber für mich. Die nächste Bewerberin wurde hereingerufen. Ausser einer dicken Bewerbungsmappe trug sie fast nichts.

Nach anderthalb Stunden kam sie wieder heraus. „Wenn sie ihre Berichterstattung über Mode und Kosmetik intensivieren, werden sie sich noch mal bei mir melden“, sagte sie und guckte verwirrt: „Das sie eigentlich einen Sportjournalisten suchen, hätten sie mir aber auch gleich sagen können. Jetzt muss ich meinen Hairstylisten-Termin verschieben.“ Wir nickten bedauernd. Ich war als nächster dran.

„Hallo Sportsfreund!“ scholl es mir entgegen, als ich den Raum betrat. Sieben Leute sassen mir gegenüber. Nur ich musste stehen. So ein Quatsch, dachte ich, und sah mich nach einem Stuhl um. In der Ecke stand einer. Als ich mich setzen wollte, stellte ich fest, dass er kippelte. „Kann ich vielleicht einen richtigen Stuhl haben?“ fragte ich, denn ich kannte diesen billigen Bewerbungsgesprächstrick mit dem unpassenden Stuhl schon. „Natürlich. Endlich fragt mal jemand“, antwortete der, auf dessen Namensschild „Dieter“ stand. „Ich hol dir einen!“ Er ging in den Nebenraum, kam mit einem Drehstuhl zurück und stellte ihn mitten in den Raum. Die sieben Befrager hatten sich sicher hinter ihren Tischen verschanzt. Ich sah sie erwartungsvoll an.

Sie guckten betont desinteressiert. Dann begriff ich und begann mich vorzustellen: „Mein Name ist… Ich habe von … bis … ein Jahr Auslandsaufenthalt … Praktikum bei … freier Mitarbeiter seit … Veröffentlichungen … Praktikum bei … ständiger Mitarbeiter der … Praktikum …“ Nach einer viertel Stunde war ich fertig.

„Was ist denn deine Lieblingsmannschaft?“ fragte mich Dieter, während er sich eine Zigarette anzündete. Dieter! Na klar, jetzt begriff ich, das war Dieter Rammler, der Sportredakteur. Sollte ich ehrlich sagen, dass mich Sport eigentlich gar nicht so interessierte, sie aber leider keinen Literaturkritiker suchten? Wohl kaum.

Was war also die richtige Antwort? Eintracht Braunschweig? Das war zu naheliegend und irgendwie auch zu anbiedernd. Hannover 96? Zu provokant. „St. Pauli“, antwortete ich deshalb, denn da waren mir zumindest die Fans am sympathischsten.

„St. Pauli ist scheisse“, sagte Dieter. „Kann man nur als Hamburger gut finden. Oder wenn man grüne Haare hat.“ „Aber…“, wollte ich antworten, wurde aber gleich unterbrochen. „Welche Mannschaft führte die Trikotwerbung im deutschen Fussball ein?“ mischte sich nun jemand ein, auf dessen Namensschild Assmann stand. Er war der Herausgeber der Zeitschrift. Das war leicht. „Eintracht Braunschweig, aber du…“

„Wir duzen uns hier nicht. Wer schoss in der Eintracht-Vereinsgeschichte die meisten Tore?“ „äh, da müsste ich erst recherchieren …“
„Wann wurde die Eintracht zuletzt Deutscher Meister?“, fragte Assmann weiter.
„1967. übrigens auch zum einzigen Mal …“
„Wann wird die Aantracht das nächste Mal Deutscher Meister sein?“ schaltete sich nun auch Dieter wieder in das Gespräch ein.

„Wenn Hannover 96 in der Oberliga Nord gegen den VfL Wolfsburg null zu sieben verliert“, antwortete ich genervt.
Alle verstummten. Dieter zog an seiner Zigarette und blies mir den Rauch entgegen. Er führte einen Schwall Schnapsgeruch mit sich. Eine Mischung aus Jägermeister und Wolters wahrscheinlich.

„Ich denke, Sie bringen alle nötigen Qualifikationen mit. Das richtige Studium in der richtigen Zeit, die richtigen beruflichen Erfahrungen, das richtige Alter. Und auf den Mund gefallen sind Sie auch nicht“, ergriff Assmann nach einer Schweigeminute das Wort. „Nur der Verein stimmt nicht, aber das sorgt sicherlich für die nötige kritische Distanz.“ Dieter verdrehte die Augen, ich atmete auf.

„Aber um zu sehen, ob sie tatsächlich in unser Team passen, möchte ich Sie noch zu unserem eigentlichen Assessmentcenter einladen“, fuhr Assmann fort. Das Assessmentcenter dauerte ein ganzes Wochenende. Ich musste mich gegen vier Mitbewerber durchsetzen. Doch am Ende hatte ich es geschafft und mich gegen Franz (den vierfachen Familienvater und ehemaligen Angestellten einer Regionalzeitung), gegen Elke (die einzige von uns, die wirklich Ahnung von Sport hatte), gegen Bruno (den fanatischen Eintracht-, Lions- und Phantoms-Fan) sowie gegen Simon (den ehemaligen Chefredakteur einer führenden ostdeutschen Sportzeitschrift) durchgesetzt.

„Ja, Sie können dann morgen bei uns anfangen. Bis dann hätten wir gerne einen kleinen Saisonrückblick über die bisherigen Eintracht-Spiele. Nur so im Überblick, mit den einzelnen Spielbeschreibungen, einer kleinen Statistik und einer persönlichen Stammspielerbewertung. Also, nur das wichtigste. Und ein Ausblick auf die nächste Saison wäre schön.“

„äh, ja, das ist vielleicht ein bisschen kurzfristig…“
Die Redakteure und Herausgeber sahen mich verständnislos an.

„Aber, nee, das ist gar kein Problem“, korrigierte ich mich, „Ich bring dann morgen auch gleich meine Unterlagen mit. Und die Bankverbindung. Da hätte ich auch noch eine kleine Frage …“

„Also die Bankverbindung brauchen wir ja erst mal nicht. Hat Ihnen das denn keiner gesagt? Wir mussten ja die Halbtagsredakteursstelle zu einem Vollzeitvolontariat machen. Unsere finanzielle Lage lässt derzeit ja nichts anderes zu. Die Anzeigenkunden! Aber so haben Sie in den nächsten zwei Jahren wenigstens was Festes. Und danach besteht ja durchaus die Aussicht, dass Sie als freier Mitarbeiter bei uns bleiben können!“

Ich schwor daraufhin dem Sport entgültig und meinem Beruf vorerst ab. Alles was ich wollte war ein Job, der mir das Anrecht auf ALG II sicherte. Für die nötigen Absagen würde ich dann schon sorgen. In der nächsten Ausgabe des Stadtmagazins las ich dann eine neue Fussballkolumne. Klaus, der keinen eigenen Wagen besass, hatte sie geschrieben.

Axel Klingenberg (www.axel-klingenberg.de)

***

Schön, dass Christian Kruse aus Achim uns einen Gastbeitrag zum Thema Arbeit geschickt hat. Er hatte schon bei der Trust # 116-Ausgabe mitgemacht und behandelt hier in diesem netten Abriss u.a. die Möglichkeit des terroristischen Ausweges aus der Arbeitsscheisse. Christian ist neben seiner Tätigkeit als Verfasser von Geschichten und Artikel noch Radiomacher.

Mehr (und Kontaktmöglichkeiten):

http://www.alternative-art.de/ueberuns/index.php

http://www.hemmen.de/stattradio/sendungen/factory27.html

(jan)

 

ARBEIT IST SCHEIssE

„Dies ist Deine letzte Chance.. Danach gibt es kein Zurück. Schluckst Du die blaue Kapsel, ist alles aus und Du wachst in Deiner Welt auf und glaubst was Du glauben willst.

Schluckst Du die rote Kapsel, bleibst Du im Wunderland, und ich führe Dich in die tiefsten Tiefen des Kaninchenbaus…“

Im Film Matrix greift der Protagonist Neo zur roten Kapsel und wacht etwas später auf in der alptraumhaften Wirklichkeit. Im wahren Leben ist es so, dass viele Menschen nicht aufwachen wollen, oder es auch nicht mehr können. Und stattdessen in ihrer mühselig erschaffenen Ersatzbefriedigungswelt verharren, versklavt durch den Zinsdruck leicht zu bekommender Kredite, die sie aufgenommen haben, um sich das zu besorgen, was unter der Formel „Lebensstandard“ firmiert: das eigene Heim, das schöne Auto, der Skiurlaub… und alles bitteschön jetzt und auf einmal. Auf Dinge sparen ist uncool, Wünsche zurückstecken gilt als undenkbar.

Wer bei diesem „Spiel“ nicht mehr mithalten kann, scheidet aus, erfährt soziale Ausgrenzung. Es geht los beim Besitz von Handys und Gamecubes, setzt sich fort über Markenklamotten, die noble Klassenfahrt, der leistungsstärkere PC… Dieses Denken haben die meisten Bürger, ewig ausgesetzt den Gebetsmühlen der Werbemedien, bereits so verinnerlicht, dass sie den Druck wie selbstverständlich auf andere, und, getrieben durch diffuse Angstmechanismen, auch und vor allen Dingen auf sich selber ausüben.

Wer vermag in diesem hochkomplizierten System noch zu wissen, wo der Beginn, wo die Ursache liegt? Die Folgen dagegen sind klar zu erkennen. Um den oben genannten „Standard“ (auch: kleiner Luxus, bescheidener Wohlstand) zu halten, nehmen die meisten in diesem System aufgewachsenen Menschen immer schlechter werdende Arbeitsbedingungen für sich in Kauf. (Mehrarbeitszeit, erhöhten Leistungsdruck, etc.)

Selbst in beispielsweise durch einen Betriebsrat gewerkschaftlich gestützten Betrieben ist dies gang und gebe. Gewerkschaften fordern dafür Lohnausgleichungen, verlieren aber dabei immer öfter ein anderes, viel wichtigeres Ziel aus den Augen: nämlich sich für humanere Arbeit einzusetzen, oder das mehr Menschen in einem Betrieb eingestellt werden. Stattdessen wird Arbeit auf immer weniger Leute umverteilt, welche dann mit der Drohung „zeige Leistung, oder die landest (auch) auf der Strasse“ mundtot gemacht werden.

„Ich lasse mein Geld arbeiten“, höre ich da den noch bei Mami und Papi wohnenden `After-work-party`-Geher schlau daherreden, und mit seinem Kleinaktionärsgetue zieht auch er a bisserl mit am Globalisierungsgalgen. Nein, Geld arbeitet nicht, das sollte mittlerweile endlich auch der letzte Berufsschul-BWLer mitbekommen haben.
Jedoch, die Auswirkungen sogenannter Börsengänge haben sich ins Extreme verschoben. Einstmals wurden dadurch „lediglich“ die Drittländer ausgesaugt; nun werden zur Rentabilitätssteigerung von Aktienbetrieben und Konzernen tausende von Arbeitern entlassen – in den G8-Staaten, hier, bei uns. Wer hat bei solchen Verhältnissen noch Bock, für Afrika zu spenden, hm?

„Arbeit ist Scheisse !“ ruft der Young-Punk, lieber sozial-politisch ehrenamtlich tätig. Mit dieser Einstellung befindet er sich in guter Gesellschaft, nämlich bei den alten Griechen, bei denen körperliche Arbeit verpönt war, jedoch das Philosophieren hoch geschätzt. Einziger Knackpunkt dieser Lebenseinstellung: um ihren intellektuellen Müssiggang frönen zu können, hielten die Griechen sich Sklaven, welche jene als minderwertig angesehene Arbeit verrichteten. Freizeit schafft Arbeit – wie edel !

Und in dem Machtspiel mischen nach wie vor die ultrarechten Nationalgesinnten mit, die mit ihren ewig-gleichen Scheisshausparolen uns immer noch weismachen wollen, das „die Ausländer uns die Arbeit wegnehmen“ oder „allein der Jude die Geldgeschäfte der Welt beherrscht“. An Realsatire grenzt da schon, dass Protagonisten aus ihren Reihen selbst durch fragwürdige Geschäfte zu Geld und Macht gekommen sind. (so der Bremer Altnazi Wilhelm Tietjen, der sein durch Aktienspekulationen angehäuftes Vermögen dem aktiven Neonazi Jürgen Rieger überschrieb.) Jedoch die Welt in solche Strukturen einzuteilen vereinfacht das Leben ungemein. Und noch einfacher ist es, auf die zu zeigen, die sich eh nicht wehren können.

Faschismus macht sich breit, latent und alltäglich. Er benötigt aber keine Partei mehr, keinen brüllenden Diktator. Das Volk teilt sich in zwei Kategorien: Einmal in Hyänen, die mit den Wölfen jaulen und hoffen, dass diese ihnen genug Aas überlassen. Zum anderen in Schafe, die zitternd in den Pferchen stehen und beten, dass die Wölfe sie nicht erblicken…

Wenn ich aber anfange, so nach dem dritten Bier, auf die Wölfe zu zeigen, die Drahtzieher, und sage, dass ich ihnen gerne das Fell über die Ohren ziehen würde, dann höre ich sie plötzlich blöken, die Schafe: so ginge es ja nicht, da würde man sich doch auf eine Stufe stellen…Also dann, halte inne, überdenke Dein Leben, mache einfach nicht mehr mit, erziehe Deine Kinder dazu, nein zu sagen !

Du meinst, dazu ist es ist eh zu spät, Du bist zu schwach, allein kannst Du nichts ausrichten ? Es bleibt als radikale Möglichkeit noch der Terrorismus, der ist eine Form von ehrlicher Arbeit, die macht man auch gerne in seiner Freizeit… Jetzt wird es Dir zu heftig ? Dann nimm doch lieber die blaue Kapsel…

Christian C. Kruse

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Die Zeitschrift Wildcat ist eine linksradikale Print-Publikation seit 1983, ausgewählte Artikel und Kontaktinformationen finden sich auf http://www.wildcat-www.de . Die Zeitschrift ist derzeit eine der besten Polit-Zeitschriften in der BRD und setzt sich Ausgabe für Ausgabe mit diversen Schwerpunkten auseinander, oft mit einer sehr internationalen Ausrichtung, wie z.B. Arbeitskämpfe in Lateinamerkia. Bei unseren überlegungen zu dieser Ausgabe, waren wir uns sehr schnell einig, das Wildcat für einen Gastbeitrag einzuladen. Und siehe! Hier ist er. Unterstützt die Wildcat!

ARBEIT – MACHT – FREIZEIT

Ich brauch neue platten, deshalb muss ich arbeiten! „I was a punk before you were!“, deshalb hab ich macht. freizeit (morgen hab ich frei, heute geh ich zum konzert). Der Wecker klingelt mitten in der Nacht – er klingelt immer mitten in der Nacht!: aufstehen, Arbeit! Nach sechs, acht, zehn oder sogar zwölf Stunden schleppst du dich nachhause in die „Freizeit“, leer, ausgepumpt. Immer mehr Leute halten die Arbeit nur noch mit Drogen aus. Die seit Jahren am stärksten steigenden Krankheiten durch Arbeit sind Depressionen. Arbeit ist einfach verlorene Lebenszeit! Wir werden gleich behaupten, dass gerade daraus die Macht kommt, die ganze Scheisse hier umzustürzen. Irre, gell? Lest selber!

Arbeit gibt es nicht schon immer und wird es nicht ewig geben. Nicht jede menschliche Tätigkeit ist Arbeit. Der Begriff bedeutete ursprünglich die auf dem Knecht lastende Mühe, vor allem die Feldbestellung. Allmählich wurden dann auch die Tätigkeiten, die von sogenannten Handwerkern verrichtet wurden, Arbeit genannt (ursprünglich hiessen diese Werk). Bis ins Neuhochdeutsch hinein bedeutet Arbeit „Mühsal, Plage, unwürdige Tätigkeit“.

Die Bürgerlichen erklären einfach jede zielgerichtete menschliche Tätigkeit zu Arbeit. In einem undifferenzierten Brei menschlicher Tätigkeit, wo sich Klavierspielen mit Wäsche waschen und Fliessbandproduktion mit Sex vermischt, ist Arbeit dann der Knast, in dem wir alle und ewig sitzen. Um den Ausbruch zu planen, müssen wir unterscheiden: Arbeit ist das, was ich tun muss, also jede Tätigkeit, mit der ich Geld verdienen kann oder Geld ausgeben vermeiden kann. Es geht um Arbeit und nicht nur um Lohnarbeit, denn z.B. unentlohnte Hausarbeit ist genauso scheisse! Alles andere (Briefmarken sammeln, tanzen und dergleichen) ist „menschliche Tätigkeit“.

Der Kapitalismus unterscheidet sich von vorherigen Gesellschaftssystem nicht dadurch, dass der Reichtum ungerecht verteilt ist oder dass es überhaupt „Privateigentum“ gibt, das gab es schon vorher. Das Hauptmerkmal des Kapitalismus ist die Trennung des Arbeiters von der Arbeit. Wir können nicht entscheiden, was wir herstellen, wie wir es herstellen; in der Lohnarbeit verrichten wir abstrakte Arbeit. Diese aufgezwungene gesellschaftliche Arbeit(steilung) hat sich als so produktiv erwiesen, dass die Menschen zum ersten Mal in ihrer Geschichte nicht mehr verhungern müssten. Aber in Teilen der Erde kommt es trotzdem immer wieder zu Hungerkatastrophen.

Zum ersten Mal tritt den Menschen der Reichtum, den sie produzieren, als Problem gegenüber, es kommt zu „überproduktionskrisen“. Wenn Lebensmittel in industriellem Massstab vernichtet werden, während Menschen hungern, zeigt das handgreiflich, dass kapitalistische Vermehrung von „Wert“ und menschliche Bedürfnisse zwei unterschiedliche Sphären sind. Trotzdem wird der Kapitalismus nicht automatisch in seinen Krisen zusammenbrechen. Das müssen wir schon selber besorgen! Wie? Unerasable slayer of capital…

Im Arbeitsprozess liegt der unauslöschbare Todbringer des Kapitalismus

über Arbeit werden wir zwangsweise vergesellschaftet – wir vergesellschaften uns aber auch selber dabei (s.u.). Für die Arbeit kriegen wir Geld; es ist die andere Form kapitalistischer Gesellschaftlichkeit: für Geld kannst du überall auf der Welt Lebensmittel kaufen. Aufs Geld werden wir im Artikel nicht weiter eingehen, nur soviel: eine gesellschaftliche Utopie, die das Geld abschaffen und die Arbeit beibehalten will, ist keine Perspektive von Befreiung! Sie nimmt uns das einzige „Gute“ am Kapitalismus und lässt uns die Scheisse.

Obwohl uns die Arbeit so dermassen auf die Nerven geht; obwohl sie der unauslöschliche Widerspruch im Kapitalismus ist… haben sich die ganzen „Sozialisten“ und „Marxisten“, die angeblich den Kapitalismus abschaffen wollen, nie besonders um den Arbeitsprozess gekümmert. Die meisten Sozialismus-Vorstellungen des 19. Jahrhunderts knüpften am scheinbaren Widerspruch zwischen „despotischer Fabrikplanung“ und „anarchischer Marktkonkurrenz“ an, Sozialismus wäre die Ausweitung dieser Planung in die Gesellschaft – hier waren sich Sozialdemokraten und Lenin immer einig, ebenso in ihrer Begeisterung für die „wissenschaftliche Betriebsführung“ – sprich Taylorismus.

Sozialismus stell(t)en sie sich so vor, dass wir weiter arbeiten und sie die Gesellschaft leiten (DDR, VR Albanien usw.). So weit so klar. Aber auch die „revolutionären Marxisten“ und die Anarchisten haben bis auf wenige Ausnahmen den Arbeitsprozess nie kritisch analysiert. Stattdessen wird vom „Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen“ und von der „Aneignung der Produktionsmittel“ geredet. Aber die Produktionsverhältnisse stecken in den Produktivkräften unauslöschlich drin! In den Maschinen, in uns, in der Art, wie wir unser Leben organisieren…

Die in der sogenannten radikalen Linken heute gängige und schwer nach „Marxismus“ riechende Behauptung, die Arbeitskraft sei eine Ware wie jede andere, ruht auf denselben Fundamenten. Die Behauptung ist falsch: Im Unterschied zu allen anderen Waren ist der „Konsum“ der Ware Arbeitskraft (also die Verausgabung von Arbeit) umkämpft. Die ArbeiterInnen lassen sich eine ganze Menge einfallen, um so wenig wie möglich zu arbeiten – und die UnternehmerInnen müssen sich eine Menge einfallen lassen, um sie zur Arbeit anzutreiben.

Der einzelne Unternehmer kann nie im Voraus sicher sein, ob die Arbeitskraft, für deren „Gebrauch“ er bezahlt hat, ihm auch einen Mehrwert produziert. Die Verausgabung der Arbeitskraft wird umkämpft bleiben, solange es Ausbeutung, solange es Arbeit gibt. Das ist der grundlegende Widerspruch der kapitalistischen Gesellschaft. Nicht die „sozialistische Leitung der Gesellschaft“, nicht die „Selbstverwaltung der Betriebe“, nicht die Nationalisierung der Eisenbahn, nicht die gerechtere Verteilung der Waren und schon gar nicht die gerechtere Verteilung von Arbeit! hebt diesen Widerspruch auf. Revolutionär ist einzig die Abschaffung der Arbeit.

Contested terrain

Die Entwicklung der Produktivität besteht vor allem darin, dass immer mehr Menschen zusammenarbeiten, dass die Produktion immer weiter „vergesellschaftet“ wird. Heutzutage wird vom MP3-Player bis zu den Klamotten alles in weltweiten Produktionsketten hergestellt. Die Zusammenarbeit wird durch kapitalistische Maschinen vermittelt (Containerschiffe, Fliessbänder, Internet). Diese Maschinen haben zwei Funktionen: sie sollen zum einen die Zusammenarbeit ausweiten und diese zum anderen politisch kontrollierbar halten. Beide Seiten lassen sich nicht trennen oder gegeneinander ausspielen. Eine befreite Gesellschaft ist nicht als „Vollautomatisierung“ mit kapitalistischen Maschinen vorstellbar.

Die Maschinerie ist Mittel zur Vergesellschaftung der Arbeit und zur Steigerung ihrer Produktivität. Gleichzeitig ist sie Beherrschungsinstrument des Kapitals, vor allem indem sie die Tatsache der Zusammenarbeit vor den Zusammenarbeitenden selber versteckt. Der UPS-Fahrer in seiner Karre, die Näherin in der Schwitzbude, der Kranfahrer am Containerterminal… sie alle stehen in weltweiten Produktionsketten, sind aber am Arbeitsplatz nur mit wenigen KollegInnen zusammen oder sogar ganz alleine. Aber selbst Leute, die in der Fabrik oder im Callcenter unmittelbar zusammenarbeiten, sollen sich als Anhängsel der Maschine erleben – obwohl das Gegenteil wahr ist: ohne die Eingriffe der ArbeiterInnen produziert kein Fliessband!

Knotenpunkte dieser Zusammenarbeit und Grundlage kapitalistischer Produktivität sind die Fabriken. Die Fabrik basiert von Anfang an auf der Maschinerie und damit auf der vergesellschafteten Arbeit. Sie steht im Mittelpunkt der gesamten Produktion. Nicht weil die Mehrheit der Menschen in Fabriken arbeiten – das war nie der Fall -, sondern weil sie das Zentrum der gesellschaftlichen Arbeit bildet. Auch Landwirtschaft, handwerkliche und andere nicht-fabrikmässig betriebene Produktionen sind von industriell erzeugten Materialien und Maschinen abhängig.

Die produktive Kooperation

Der Kapitalismus ist vorhergehenden Produktionsweisen vor allem darin überlegen, dass er die produktive Kooperation der ArbeiterInnen ungeheuer ausgeweitet hat. Der Unternehmer zwingt die Arbeiter zur Zusammenarbeit auf „grosser Stufenleiter“ und streicht den zusätzlichen Gewinn ein, den diese Kooperation erzeugt. Dem zugrunde liegt der Fakt, dass die Zusammenarbeit von 144 Arbeitern an einem Tag mehr bewirkt, als 12 Arbeitstage von je 12 Arbeitern. „Produktive Kooperation“ beinhaltet auch die Beobachtung, dass es ab einer bestimmten Anzahl von Arbeitern nicht mehr auf die Fähigkeiten des Einzelnen ankommt, sondern nur noch auf dessen Funktion als Träger von „durchschnittlich gesellschaftlicher Arbeit“.

Das Kapital hat in den letzten Jahrzehnten weltweit eine grosse Beweglichkeit im Benutzen von Dezentralisierung, Auslagerung, „Krisenregionen“ usw. entwickelt. Dezentralisierung „an sich“ ist aber unproduktiv. Produktiv ist sie nur politisch, als Kampfinstrument gegen die Macht der Arbeiterinnen, wenn dadurch z. B. widerborstige Belegschaften zerschlagen werden. ökonomisch bleibt das unmittelbare Zusammenwirken der Arbeiter die Hauptquelle der kapitalistischen Produktivität. Den Kapitalisten ist dieser Widerspruch stets vor Augen, deshalb geben sie viel Geld für die Forschungen um die „optimalen Fabrikgrössen“ aus.

Dahinter steht der nicht aufhebbare Widerspruch der Verwertung: das Kapital kann die Arbeiter zur Zusammenarbeit zwingen, es kann diese Kooperation aber nicht selbst entwickeln. Das müssen schon die Arbeiter tun. Jede/r kennt den Widerspruch, dass wir die offiziellen Regeln übertreten – also die Kooperation entwickeln – müssen, um das zu produzieren, was von uns verlangt wird. Nur die Arbeiterinnen wissen, wie der Laden läuft. Manchmal muss man sich hinter dem Rücken des Chefs mit den Kolleginnen absprechen, damit es überhaupt funktioniert. Und die beste Art der Sabotage ist meistens noch immer, wenn man wortgetreu das macht, was im Arbeitsvertrag steht oder was der Vorarbeiter von einem verlangt.

„destroy your scene, cause IT is the machine“

Wie benutzen die Arbeiterinnen den Unterschied zwischen der Disziplin, zu der sie das Kapital zwingt – und der „Disziplin“, die sie untereinander entwickeln, um ihre Kooperation geregelt zu kriegen? Im übertreten der Regeln, in der („verbotenen“) gegenseitigen Hilfe, in den Tricks, sich Poren rauszuarbeiten steckt das Wissen des kollektiven Arbeiters, dass schon heute wir es sind, die den ganzen Laden schmeissen. Entweder das Kapital enteignet dieses Wissen zu einem Entwicklungsschub – oder die Arbeiterinnen entwickeln ihre Macht daraus; so wie die Handwerker-Arbeiter zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder die Fliessbandarbeiter in den 60er und 70er Jahren („Mai 68 in Frankreich“, „heisser Herbst“ in Italien usw.). Revolutionär werden solche Kämpfe immer dann, wenn die Menschen gegen das kämpfen, wozu sie das Kapital macht. Es ist das grösste Bedürfnis der Arbeiter(-klasse) nicht mehr Arbeiter(-klasse) zu sein!

Die Macht zum Umsturz

Deshalb ist das Umdrehen der produktiven Kooperation in Arbeitermacht keine rein technisch definierte Macht. Von einem revolutionären Standpunkt aus gibt es keine (Gegen-)Macht ohne Inhalt. Die Arbeiterinnen kriegen die Macht, die Gesellschaft des Kapitals zu zerstören, nur dann in die Hände, wenn sie es schaffen, sich als kollektives Subjekt zu setzen, das heisst, die individualistische und privatistische Subjektivität jedes Einzelnen aufzubrechen. Dazu gehört z.B. die Erkenntnis, dass die Abschaffung der Arbeit nur ein kollektives Projekt sein kann. Ebenso wie die, dass die Bedürfnisse nur als das realisiert werden können, was sie in widersprüchlicher Form schon immer sind: gesellschaftliche – solche in und an Gesellschaft.

„Bedürfnisse“ sind ebenso wie „ArbeiterInnen“ historische Begriffe. Die ArbeiterInnen von heute sind nicht mehr die von vor 200 Jahren. Zwei einfache Beispiele: ArbeiterInnen, die lesen und schreiben können, brauchen keinen Parteisekretär mehr. Die Krankenschwestern in Frankreich haben sich Ende der 80er Jahre in Koordinationen organisiert. Das war eine Form der Selbstorganisierung, die strikt darauf geachtet hat, dass die Organisationsstruktur nach dem Kampf wieder aufgelöst wird. Sie hatten verstanden, dass die Strukturen der offiziellen Arbeiterbewegung (Gewerkschaften, sozialdemokratische Parteien) uns nicht bei der Befreiung helfen, sondern unsere Kämpfe immer wieder ins System zurück binden.

Wie schaffen es die ArbeiterInnen heute, die Knotenpunkte ihrer potentiellen Macht in einer neuen revolutionären Bewegung zu verknüpfen? In der BRD, wo es 2006 einen zahlenmässigen Höhepunkt an Streiks gab, der 2007 sogar deutlich übertroffen wird, sind bisher wenige Ansätze in diese Richtung zu sehen. Gerade auch deswegen, weil die Streiks nicht den Arbeitsprozess und die Arbeitsbedingungen angreifen, sondern sich meisten gegen Betriebsschliessungen richten und um „Arbeit“ betteln. Aber immerhin tut sich wieder was nach vielen, vielen Jahren des Zurückweichens!

Freizeit?

Das bisschen arbeitsfreie Zeit der Malocher war früher ganz direkt „Reproduktionszeit fürs Arbeiten“. In (West-)Europa hat sich das erst in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts massiv geändert. Zwischen 1960 und 1974 sank die durchschnittliche effektive Jahresarbeitszeit in der BRD von 2100 auf 1760 Stunden (freier Samstag, Verlängerung des Urlaubs, Ausdehnung der Ausbildungszeiten, Lohnfortzahlung bei Krankheit…). Auf die Woche umgerechnet, übertraf der Anteil der Freizeit den der Arbeitszeit zum ersten mal 1969; für Jugendliche trat das bereits 1966 ein. [Zahlen von Emnid, 1969]. Erst seitdem kann man von „Freizeit“ sprechen.

Die Ausweitung der freien Zeit war erkämpft! In den 50er Jahren hatte es z.B. einen langen Streik der Metallarbeiter für Lohnfortzahlung gegeben; Verkürzung der Arbeitszeit war sowieso immer ein Hauptziel von Arbeiterkämpfen. Der Staat zog nur langsam nach; z.B. reduzierte das neue Jugendarbeitsschutzgesetz von 1960 die wöchentliche Arbeitszeit für Jugendliche unter 16 (!) von 48 auf 40 Stunden.

In dieser teilweisen (!) Abkopplung von „Freizeit = Reproduktion für Arbeit“ hat sich all so was wie Jugendbewegung, Beat, Pop, auch DIY! entwickelt. Von besorgten Eltern und der zeitgenössischen Linken befürchtet und abschätzig bewertet als „Konsumkultur“. Und das hatte natürlich einen wahren Kern: zum ersten Mal hatten Jugendliche nicht nur genügend freie Zeit, sondern auch genug Kohle, um sich all die schönen Dinge wie Beatschuppen, Plattenspieler, Tonbandgerät und Konzertbesuch leisten zu können.

Diese „Freizeitblöcke“ lösen sich heute wieder auf durch die Flexibilisierung der Arbeitszeiten, Ausdehnung von Schicht- und Wochenendarbeit. Der angebliche Kampf der Gewerkschaften für die 35 Stundenwoche brachte eine historische Trendwende: seither werden die realen Arbeitszeiten wieder länger (sie waren vorher mehr als ein Jahrhundert lang immer kürzer geworden). Es war der Einstieg in die gnadenlose Flexibilisierung, der Zugriff auf alle menschliche Zeit (Samstagsarbeit, Sonntagsarbeit, Arbeit auf Abruf, Nachtarbeit, „lebenslange Qualifizierung“, auch wenn du „arbeitslos“ bist, musst du „zur Verfügung“ stehen usw.) – damit kommen wir auf den Anfang zurück:

Gewerkschaften, Sozialdemokraten, wohlmeinende Christen und dergleichen behaupten hin und wieder – meistens am 1. Mai – Arbeit sei die einzige Quelle des materiellen Reichtums. Das soll radikal klingen, ist aber das Gegenteil davon. Denn es soll uns für immer in diesen Arbeitsknast einsperren. In Wirklichkeit stammen die Gebrauchswerte, die Lebensmittel aus dem menschlichen Austausch mit der Natur. Pflanzen anbauen. Aus ein paar Tropfen Erdöl wird ein wasserdichtes Zelt. Sonnenenergie liefert Wärme „umsonst“. usw.

Es ist aber ein grosser Trugschluss, durch die Entwicklung solcher Technologien könnten wir den Kapitalismus überwinden, wie es die Hippies Ende der 60er gedacht haben; guckt euch einfach die Multis an, die Sonnenkollektoren herstellen; guckt euch an, wie Sonnenkollektoren hergestellt werden… Wir kommen immer wieder auf das selbe Thema: Arbeit kann nicht „gerecht“ organisiert werden, Arbeit muss abgeschafft werden!

„Es ist eins der grössten Missverständnisse, von freier, gesellschaftlicher menschlicher Arbeit, von Arbeit ohne Privateigentum zu sprechen. Die ‚Arbeit‘ ist ihrem Wesen nach die unfreie, unmenschliche, ungesellschaftliche, vom Privateigentum bedingte und das Privateigentum schaffende Tätigkeit. Die Aufhebung des Privateigentums wird also erst zu einer Wirklichkeit, wenn sie als Aufhebung der Arbeit gefasst wird.“ (Karl Marx) Wo er recht hat, hat er recht.

kollektiv wildcat

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