Juni 5th, 2017

Die Grenzen der Toleranz – Warum wir die offene Gesellschaft verteidigen müssen, Michael Schmidt-Salomon

Posted in bücher by Dolf

Piper Verlag, Georgenstraße 4, 80799 München, www.piper.de

Das beste kommt zum Schluss und zwar folgende „Freiheitsandrohung“ (für manchen Adressaten mag es eine Drohung sein, ich finde „Drohung“ hier fehl am Platze) die Menschen erklärt wie es hier zugeht bzw. zugehen sollte.
Die „Freiheitsandrohungen“ der offenen Gesellschaft
„Dies ist das Land, in dem Ihre Kinder nicht automatisch Juden, Christen, Muslime sind, bloß weil Sie einer dieser Religionen zugehören! Dies ist das Land, in dem Sie nicht das Recht haben, an den Genitalien Ihrer Kinder herumzuschneiden, weil Sie sich einem archaischen Initiationsritual verpflichtet fühlen! Dies ist das Land, in dem Sie glauben dürfen, was immer Sie wollen, im dem wir Ihren Kindern aber von der Pike auf beibringen werden, dass nur solche Weltanschauungen akzeptabel sind, die die Menschenrechte in vollem Umfang anerkennen!

Dies ist das Land, in dem Sie behaupten dürfen, die Erde sei erst vor 6000 Jahren erschaffen worden, in dem Ihre Kinder aber schon in der Grundschule die Tatsache der Evolution erfahren, damit sie nicht den gleichen Irrtümern aufsitzen! Dies ist das Land, in dem auch Kinder Rechte haben, die Sie nicht übergehen dürfen, in dem Sie es hinnehmen müssen, das Männer und Frauen, Religiöse und Nichtreligiöse, Hetero-, Homo- und Transsexuelle gleichberechtigt sind, auch wenn Sie an Ihrer emotionalen und kognitiven Entwicklung womöglich so sehr geschädigt wurden, dass Sie diesen einfachen ethischen Gleichheitsgrundsatz nicht nachvollziehen können! Dies ist nicht zuletzt auch das Land, in dem Sie Ihre eigenen Sexualneurosen pflegen dürfen, solange Sie damit niemanden schädigen, in dem Ihre Kinder aber rechtzeitig aufgeklärt werden, damit sie die Chance haben, ein freies, selbstbestimmtes Leben führen zu können!“
Genau SO sollte sich dieses Land und seine Regierung darstellen und genau dies sollte jedem Menschen der hier sein will oder hierherkommen möchte, oder bereits hier geboren ist und lebt, klar sein. Aber natürlich ist auch der Rest des Buches sehr lesenswert und vor allem immer auf den Punkt. Schmidt-Salomon erklärt zum Beispiel, dass es durchaus sein kann, dass die „falsche“ Seite einige richtige Argumente vertreten kann, die nicht dadurch weniger Wert sind, weil sie von den „falschen“ Leuten verwendet werden. Er erklärt auch was Toleranz überhaupt bedeutet, nämlich etwas auszuhalten ohne es zu akzeptieren. Akzeptieren hingegen bedeutet das man etwas gutheißt („Verhindere, was nicht zu tolerieren ist; schwäche, was nur zu tolerieren ist und stärke, was zu akzeptieren ist!“). Wenn man andere Bücher vom Autor kennt, kommt einem einiges bekannt vor, was aber überhaupt nichts macht, denn man kann nicht oft genug für eine offene Gesellschaft und die entschiedene Verteidigung der elementaren Fundamente Gleichheit, Freiheit, Individualität, Säkularismus und einem sich der Rationalität verpflichtenden Weltbild eintreten. Bewundernswert die Geduld mit der hier vorgegangen wird, immer und immer wieder die gleichen Fakten aufzudröseln und zu erklären, dabei gleichzeitig immer logisch, schlüssig und konsequent – und immer sehr gut lesbar. Auch seine historischen Exkurse in die politische Philosophie und Ideengeschichte sind interessant und natürlich fundiert. (islamischer Faschismus und islamischer Humanismus zum Beispiel) Ihm ist es darüber hinaus wichtig die Kultur des Dialogs – auch des Streitens, die Zurückweisung von Gruppenidentitäten und das Bekenntnis zu den Rechten des Individuums zu fördern, nein – zu fordern.
Das Buch ist auf jeden Fall uneingeschränkt empfehlenswert auch wenn die beiden Überschriften der letzten Unterkapitel es auch schon auf den Punkt bringen: „Säkularismus ist die Lösung“ und „Bildung für alle“. 224 Seiten, Taschenbuch, 10,00 Euro (dolf)

Isbn 978-3492310314

[Trust # 183 April 2017]

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