Januar 20th, 2021

der unbegreifliche garten und seine verwüstung – über ökologie und über ökologie hinaus, jürgen dahl

Posted in bücher by Dolf

Oekom Verlag, Waltherstraße 29, 80337 München, www.oekom.de

Der 2001 verstorbene Autor (*1921), dessen erste umweltpolitischen Schriften bereits Ende der 1960er erschienen, war ein früher Mahner und auf jeden Fall ein Pionier der Zukunftsfürsorge. In diesem Band versammeln sich einige seiner Texte die heute meistens genauso aktuell sind wie damals. Dahl war sehr früh dran die Dinge beim Namen zu nennen und zu erkennen wohin die Reise geht – das sie bis hierher gehen würde ist in Anbetracht der Länge eigentlich bereits erstaunlich. Das Buch ist in vier Kapitel eingeteilt, beim ersten „Der unbegreifliche Garten“ fällt das Lesen dann doch mitunter schwer, da er sehr in die Länge und Tiefe geht.

Das ändert sich aber zum Glück mit dem zweiten Kapitel „Genetik und Verwandtes“ und wird so auch bei „Nützliche Erfindungen“ und „Weltraum, Krieg und Weltraumkrieg“ beibehalten. Kurz und vorausschauend kritisiert Dahl all das, was damals und auch heute mehr als kritikwürdig ist, weil es oftmals einfach falsch ist. Er greift alles auf und kritisiert: patentiertes Bakterium, Atomkraft, Teilchenphysik, Technik… um nur ein paar Stichwörter zu nennen. Da er ein Autor war der Freude daran hatte mit der Sprache umzugehen und gern auch spöttisch mit der Absurdität der Menschen, macht das lesen der Texte auch Jahrzehnte später noch Spaß. Auch wenn es wirklich gar keinen Grund gibt darüber zu lachen. Er hat fast immer recht, einiges konnte er damals noch nicht wissen, aber das tut hier nicht zur Sache. Und es ist wirklich schlimm das heute nur wenig von dem was damals kritisiert wurde geändert ist. Was auch schön ist, das der Autor in seiner Kritik oftmals gleich das große ganze angeht. („Die Dezimierung der Welt ist mit ihrer Dezimalisierung eng verknüpft“) Und dennoch selbst erkennt das die ganze Kritik nirgendwo hinführt. „Denn wenn das, was da verzweifelt und ingrimmig versucht wird, noch irgendeinen Einfluss auf das künftige Schicksal des Planeten haben sollte, dann müsste es in allen Weltgegenden Geltung erlangen – und zwar von der nächsten Stunde an.
Die Hoffnung darauf wäre so absurd wie grausam.
Sie wäre absurd, weil die Strukturen des Produzierens und Konsumierens zwischen Grönland und Feuerland, zwischen Haiti und Marseille so fest gefügt sind, dass keine Macht der Welt, am wenigsten aber vernünftige Einsicht, sie aufzulösen vermöchte. Die Tyrannei der Weltökonomie ist wohlbegründet, die Begehrlichkeit als Lebensprinzip allgemein anerkannt; die Freiheit; auch die letzten Ressourcen dieser Welt zu verpulvern, gilt allenthalben als nicht aufgebbare Grundlage zivilisierten Lebens, und wenn es dabei Schwefelsäure regnet – was ja keine scherzhafte Übertreibung, sondern die reine Wahrheit ist – dann würde man jemanden, der die Notbremse zieht, steinigen, weil er einen Zug aufhält, von dem man freilich immer weniger weiß, wohin er eigentlich fahren soll.
Tatsächlich sind ja Notbremsungen nicht ganz ungefährlich für die Passagiere, und was die Menschheit angeht, so ist sie vom ununterbrochenen Funktionieren zahlloser eingespielter Abläufe – und mögen diese noch so schwachsinnig sein – derart abhängig geworden, dass eine Notbremsung schlechterdings eine Katastrophe wäre, die Leib und Leben von Millionen und Abermillionen Menschen bedrohen würde. Darin liegt die Grausamkeit der Hoffnung auf Umkehr.
Mit unseren wohlerwogenen, auf Schonung der natürlichen Ressourcen und gar auf Erhaltung von Schönheit und Einmaligkeit gerichteten Empfehlungen verursachen wir nichts als Gelächter bei allen, deren ganze Existenz sich auf den möglichst schnellen Verbrauch eben jener Ressourcen gründet; und auch die Hungernden dieser Welt hören aus dem Ruf zur Umkehr nur ihr eigenes Todesurteil heraus.
Natürlich werden die Hungernden verhungern, wenn wir so weitermachen wie bisher – aber sie müssen auch verhungern, wenn es gelänge, mit der gebotenen Schnelligkeit im letzten Augenblick das radikale Umschwenken zu vollziehen.
Hoffnung, wenn es sie gibt, kann sich da nicht mehr auf irgendein noch so sehr aus seiner biologischen Enge befreites ökologisches Denken richten, nicht auf eine weltumfassende Erleuchtung über den Frevel (der eine ganz andere Dimension hat als der ökologische Fehltritt), – Hoffnung kann sich nur noch darauf richten, dass jene Strukturen und Systeme, mit denen wir den Reichtum der Erde zuschanden machen und mit deren Hilfe wir die Völlerei zum Prinzip erheben konnten, zusammenbrechen, bevor sie uns ganz vernichten, – das die mörderischen Industrien, die uns mit Frühstücksbrettchen aus tropischen Hölzern, mit Plastikflaschen und Videobändern, mit Klosettspülmittlen und Pestiziden, mit batteriebetriebenen Intimmassagestäben und atombetriebenen Unterseebooten beliefern und noch für den ärmsten Staat der Dritten oder Vierten Welt ein paar Schiffsladungen Milchpulver und Schnellfeuergewehre übrig haben, – das dies Industrien mitsamt ihren Infrastrukturen scheitern, bevor die Erde ganz ausgeräubert und ihre Bevölkerung vergiftet ist.
Das ist eine kleine Hoffnung, die der Armut gilt, und es ist keine fröhliche Hoffnung, weil sie Tod und Elend einschließt. Das vernichtende Scheitern der Vernichter: das ist nur eine durch und durch ökologische Konsequenz, eine Selbstregulation des irdischen Zivilisationssystems, und alles hängt davon ab, ob die auf Hochtouren laufende Maschinerie der Selbstvernichtung so rechtzeitig auseinanderfliegt, das sie ihr eigentliches Zerstörungswerk nicht mehr vollziehen kann und das die Welt, grade eben am Untergang vorbei, in namenloser Armut versinkt, doch so, dass hie und da versprengte Häuflein über bleiben, die sich dann von Neuem auf den Weg machen. Vielleicht: auf einen wirklich neuen, anderen Weg.“
Damit hatte er wohl leider auch (hoffentlich nicht) recht.
Am Anfang des Buches gibt es noch eine schöne Einleitung von Manfred Kriener, sowie am Ende einen Text zum Leben und Werk vom gleichen Autor. Ich finde ja so was muss man immer zuerst lesen um den Mensch hinter den Texten einschätzen zu können. Es wäre sicher auch wünschenswert die Texte im Anhang etwas exakter zu datieren um sie so noch besser einordnen zu können. Wie dem auch sei, ich fand die Lektüre eine Bereicherung, auch wenn es in der Summe irgendwie ziemlich bedrohlich und traurig ist. Dann sehen wir mal wie lange es noch so weitergeht… gebunden, 207 Seiten, 22,00 Euro (dolf)

Isbn 978-3962381844

[Trust # 205 Dezember 2020]

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