Februar 1st, 2017

Das Gender-Paradoxon – Mann und Frau als evolvierte Menschentypen, Ulrich Kutschera

Posted in bücher by Dolf

Lit Verlag, Fresnostr. 2, 48159 Münster, www.lit-verlag.de

Das war mir ehrlich gesagt nicht klar, das sich das Thema schon so dermaßen im Mainstream ausgebreitet hat und dort für gespannte Diskussionen sorgt. Für mich war das Thema mehr oder weniger gegessen als es mal vor vielen Jahren in der Szene aufkam – soll doch jeder machen was er will und fertig. Das es diese Idee(n) aber schon sehr viel früher gab, bzw. die ganze Geschichte dahinter bis in die Jetztzeit war mir völlig unbekannt. Eines vorneweg, das Buch ist in Teilen ziemlich gut, weil der Autor eben vom Fach ist – und – soweit ich das als Nichtfachmann beurteilen kann – eben weiß von was er schreibt – zumindest wenn es um die biologischen Fakten (manche sagen ja so was gibt es nicht…) geht. An anderer Stelle ist das leider nicht so positiv zu werten. Beschränken wir uns erst mal auf den wissenschaftlichen Teil, der ist verständlich geschrieben und erklärt nochmal detailreich und in aller Ausführlichkeit aus biologischer Sichtweise um was es überhaupt geht – beim Sex und den Geschlechtern.

Der Autor geht sogar soweit und versucht immer wieder dem Leser klar zu machen das der Begriff Sex eigentlich nichts mit Geschlechtsverkehr zu tun hat, sondern die Verschmelzung von Sperma und Eizelle bedeutet. Das mag sein, allerdings hat sich der Begriff eben „falsch“ im Sprachgebrauch durchgesetzt und kann wohl nicht mehr so einfach zurück definiert werden, das ist ja mit einigen Begriffen der Fall, was natürlich genau betrachtet schade ist. Aber dies nur am Rande. Das Buch ist voll mit Informationen zur Sex-Forschung, biologische Gender-Definition, Genderismus, Darwinismus, Intersex-Menschen…. viele Sachen werden nochmal prima erklärt. Wie das mit den Geschlechts-Chromosomen ist, also wann welches Geschlecht draus wird (aber eben nicht immer – das wird hier dann Design-Fehler genannt…) oder was es für eindeutige Unterschiede zwischen Frau und Mann gibt (Stoffwechselrate, Körperfett, Muskelmasse, Sexualhormone….) Und das es natürlich auch Menschen gibt deren Chromosomen-Bild von den „Standard Geschlechtern“ abweicht, das sind dann die Intersexuellen Menschen, die aber zum Beispiel nicht zeugungsfähig sind – ebenso wie Hermaphroditen besser als Zwitter bekannt – auch wenn diese Bezeichnung für Menschen auch nicht korrekt ist, weil „echte“ Zwitter sich fortpflanzen können. Alles interessant und – zumindest von mir – nicht zu kritisieren.
Kutschera beschäftigt sich auch ausführlich mit den Wurzeln der Gender-Ideologie, die auf den Amerikaner und Psychologen John Money zurückgeht der schon 1955 die „Gender-Theorie“ formuliert die besagt, das Menschen als geschlechtsneutrale Unisex-Wesen zur Welt kommen und dann erst später durch Erziehung in männliche oder weibliche Richtung geprägt werden. Das ist natürlich Quatsch, da Geschlechter biologisch determiniert sind (wenn man der biologischen Definition folgt) und was dann sozial daraus gemacht wird ist ja eine ganz andere Geschichte. Es ist aber ebenso Quatsch ständig die vermeintlichen Parallelen zwischen Gender-Ideologie und Intelligent-Design/Kreationisten und sogar der DDR zu ziehen, die mögen ja da sein aber in einem wissenschaftlichen Buch will ich so was nicht lesen. Wie so einiges andere auch nicht was hier drin steht – so schafft es der Autor leider überhaupt nicht überzeugend rüberzubringen das er „nicht Standard Menschen“ bzw. eben anderen Lebensentwürfen, egal welcher Ausrichtung aufgeschlossen Gegenübersteht. Er behauptet das zwar immer mal wieder, aber es kommt so Alibihaft, weil er zwischendurch immer wieder so einen reaktionären Scheiß schreibt das einem echt die Galle hochkommt – ehrlich! Das geht überhaupt nicht, zumindest nicht in einem wissenschaftlich ausgelegten Buch. Das nervt am meisten wenn der Autor von ihm ausgesuchte Phänomene (Rolle der Frau, Familie, etc.) zu Naturgesetzen ernennt die aber in Wirklichkeit keine Allgemeingültigkeit haben. Wenn man sich einige Rezensionen von (seinen) Kollegen zu seinem Buch durchliest scheinen sich da auch noch ein paar andere Maßgebliche wissenschaftliche Fehler eingeschlichen zu haben. Aber – das ist wie immer – kein Thema für hier. Leider muss ich sagen das obwohl mir große Teile des Buchs und viele der Ausführungen gut gefallen ich leider auch den Eindruck bekommen habe das der Autor ein reaktionärer Rechthaber ist der die Welt am liebsten so hätte wie sie ihm „seine“ Wissenschaft definiert. Dabei ist natürlich nicht von der Hand zu weisen das viele der Gender-Aktivisten auch ein gewaltiges Rad ab haben – lasst mal den Fisch im Wasser oder den Mond am Himmel (das geht natürlich nicht wenn man sich Dekonstruktion als Ziel setzt). Denn es geht hier auch viel um Deutungshoheit im Wissenschaftsbetrieb und nicht nur da. Jeder will halt gern was „besonderes“ sein und das entsprechend „groß“ machen. Obwohl, laut Kutschera, die Thematik gut 95% der Menschen nicht betrifft, weil sie eben „normal“ sind. Das dürfte diejenigen die sich als nicht nicht normal fühlen natürlich ärgern, denn darum geht es in der Diskussion auch, was ist „normal“ bzw. „natürlich“ – gibt es das überhaupt? Und da schießen ja einige der Protagonisten weit über das Ziel hinaus. Inwieweit es jetzt ein Problem ist das so viele „weiche“ WissenschaftlerInnen irgendwelche Genderbeauftragte an Unis sind und damit anderen „harten“ – meist männlichen Wissenschaftlern die Stellen – und dies durch Quotenregelung – wegnehmen – mag es für die sein die es betrifft. Und, wenn man Kutschera folgt auch für die Zukunft der ganzen Gesellschaft – so schlimm ist es wohl nicht. Man könnte hier noch seitenweise über interessante (vermeintliche?) biologische Fakten oder auf der anderen Seite den reaktionären Ausrutschern des Autors sinnieren….Was aber am wichtigsten ist – muss man das Buch lesen? Mir hat es geholfen, vieles zu verstehen und Einblicke in eine Welt zu bekommen welche ich sonst als Nicht-betroffener nicht betreten hätte. Da ich mich aber über den Autor und einige seiner Ansichten dermaßen ärgern musste (manchmal denkt man echt, das kann der doch nicht ernst meinen, was der da schreibt – und er ist nur ein Jahrzehnt älter als ich) kann ich das Buch nur eingeschränkt empfehlen. Noch dazu ist es viel zu lang – über 400 Seiten – wie so oft könnte man die Quintessenz zum Thema locker auf weniger als 100 Seiten zusammenfassen – hätte man sich auf das wesentliche konzentriert. Oder jemand macht sich mal die Mühe und nimmt den ganzen persönlichen Quatsch von Kutschera raus, das würde sicher auch helfen. Das Buch ist irgendwie nicht gut, dann doch wieder und auch irgendwie ziemlich schlecht und das auch mal grottig, es ist mal ein wenig so und mal mehr so….. Paperback 24,90 Euro (dolf)
Isbn 978-3643132970

[Trust # 181 Dezember 2016]

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