März 17th, 2007

CALEXICO (#85, 12-2000)

Posted in interview by andreas

Und ihr habt sie doch auch alle schon immer ganz lieb gehabt, oder? Und ihr kanntet die Band doch auch schon immer. Oder? So wie die Online-Ausgabe des Spiegels, der Anfang Oktober einen Artikel über besagte Band brachte. Und ihr habt mit Joey Burns, seines Zeichens Kopf von Calexico, doch sicher früher auch schon ein paar Bierchen gezischt. Oder? Als sie noch Geheimtipp waren. Oder?

Und vor nicht allzu langer Zeit waren sie im Bremer Schlachthof. Am 30. August 2000. Abendkasse 30 DM, Beginn kurz nach 21.00 Uhr, um ganz genau zu sein. Ich wusste auch gar nicht, dass Joey heisst wie er heisst. Und ich hab auch noch nie mit ihm ein paar Bierchen gezischt. Also vorher.

Mir war ebenfalls unbekannt, dass er ein durchaus passables deutsch vorweisen kann, so dass einige herrliche Satzkreationen in „germanisch“ geboren wurden. Aber Calexico kannte ich natürlich schon länger. Ich hab mir „The Black Light“, das Vorgängeralbum zu „Hot Rail“ vor 2 Jahren oder so von Ingo im Plattenladen empfehlen lassen, weil ich „eher was ruhigeres“ haben wollte.

Nur so für die, die es interessiert. Jedenfalls unterhielten wir uns dann so gegen 0.30 Uhr ein Weilchen. Und wir tranken Becks und es war kalt und es war gut.

Wir sind im Schlachthof drin und die Räumen sind alle rot.

Hm.

Die Leuten kommen und bleiben vielleicht 2 Stunden.

Gespielt habt ihr jedenfalls passable ein-einhalb.

Sie klappen die Hände.

Und das sogar ziemlich lange. Und fest. Und laut. Begeistert, enthusiastisch, das wäre nicht übertrieben daher gesagt.

Sie stampfen mit die Füsse.

Auch das mit nicht gerade geringer Lautstärke.

Warum sind sie hier? Im Schlachthof.

Hm.

Prost!

Warum sind all die Leute, es waren wohl so um die 800, also gekommen? Dass die Veranstalter Radio Bremen 2 und Sparkasse Bremen heissen, kann ja wohl nicht der Grund sein. Denn warum wären dann sonst auf beinahe der gesamten Tour die Konzerte ausverkauft gewesen? Warum haben so viele Menschen beschlossen, diese Band zu lieben?

Warum verkauft sich die Platte dermassen gut? Ist es einfach Mode, diese Band zu mögen? Haben sie einfach nur ein enorm hohes Werbebudget? Oder verdrängt nun ein spezieller Mexico-Boom den nicht Abebben wollenden Latin-Hype? Nun, zumindest letzteres würde wohl nicht ganz zutreffen. Stammen Calexico doch aus Tuscon im US-Bundesstaat Arizona und befinden sich folglich noch innerhalb jener Grenzen, wo Bier „beer“ und nicht „cerveza“ heisst. Die Menge tobt, als sich nach ca. 40 Minuten nun die 4 Mariachis bewaffnet mit traditioneller Bekleidung und lachenden Gesichtern zum Quintett auf der Bühne hinzugesellen.

Die mexikanisch angehauchten Songs der letzten beiden Lps werden angestimmt und die kleine Spanierin vor mir fängt an, mit dem Hintern zu wackeln. Ach so, ich übrigens genauso. Dennoch würde man der musikalischen Vielseitigkeit Calexicos Unrecht tun und nur diesen – nebenbei bemerkt genialen und äusserst sympatischen – Aspekt ihres Schaffens betrachten. Also Gringo, lass den Colt stecken und hör erst mal, was noch aus der vor Trockenheit scheinbar knisternden Luft der Wüste hervorströmt.

Ganz viel amerikanischer Country und Folk steckt da drin, was „Mr. Burns“ ja auch mit seiner anderen Band „Giant Sand“ auslebt. Immer experimentierfreudig aufgelegt blitzt aber auch französischer Chanson auf, jazzige Melodien wandeln harmonisch schräg im Raum umher, um von anschwellendem Getrommel ekstatisch gesteigert und auch wieder beruhigt zu werden.

Die aktuelle Veröffentlichung bündelt wohl Calexicos bisheriges Schaffen recht repräsentativ.

***

Joey Burns: „Ich finde es ist wichtig, alles zu mixen, aus Allem das Beste zu machen. Es zu versuchen. Man sollte möglichst viel Gefühl und Abwechslung in die Musik einbringen, im selben Atemzug lachen und weinen. Denn beides entstammt demselben Ursprung. Es macht Spass, Musik mit vielen verschiedenen Leuten zu machen. Besonders hier in Europa.“

So gliederte sich ja auch jenes Konzert in einen ersten langsamen Part, sowie einen zweiten, „schnelleren“ Teil, bei dem sich die 4 mexikanischen Musiker hinzugesellten. Und was verbindet die wechselnden Musiker um Joey Burns und John Convertino (drums), da alleine schon aus Zeitgründen nicht immer dieselben Leute in der Band spielen und auf Tour gehen können? Richtig, wieder einmal die Musik.

Joey Burns: „Heute wurde ich in einem anderen Interview gefragt, ob Musik Auswirkungen auf das Leben hat. Natürlich, klar. Es ist Kommunikation, es ist pure Emotion, egal ob fröhlich oder traurig. Ich liebe Musik. Auch wenn es sehr hart ist und ich sehr müde bin, wie jetzt.“

Übrigens schafft es sogar das Artwork des Plattencovers Emotionen zu wecken. Sowohl „Black Light“ als auch „Hot Rail“ wurden von Victor Gastelum, Freund der Band, gezeichnet.

Früher kreierte dieser auch schon diverse Cover für das SST-Label und schafft es mit dem Mädchen des aktuellen Calexico-Albums eine enorme Introvertiertheit, Ruhe und Intimität, gleichzeitig aber Spannung zu erzeugen. Im Moment gelingt der Band eben sehr viel. Hoffen wir, dass das noch nicht alles war. Damit wir sie auch weiterhin alle liebhaben werden.

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Interview: Christoph Lottes

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