März 17th, 2007

BIG LAZY (#98, 01-2003)

Posted in interview by andreas

BIG LAZY SOUNDTRACKS ZUM MUESSIGGANG

„Jeder ist ein Freund, bis die Miete faellig ist.“ (Robert DeNiro)

Vom Erkerfenster im ersten Stock des von einem Hindu und seiner Frau operierten „Norma-Hotel“ auf der Mission Street, Ecke 23rd aehnelt das Strassenleben bei Nacht dem sinnlos anmutenden Kreisverkehr von Ameisen, die versucht sind etwas, und sei es nur der Bruchteil einer Beutemenge, eines Blutzolles oder eines Stuecks gestohlenen Herzens davonzutragen.

Der starke und betoerende Geruch von Curry liegt in der Luft und unter der Neonreklame der „Bank Of America“ hat eine kurze, dafuer umso heftigere Schlaegerei stattgefunden, die schon wieder Vergangenheit geworden ist, da nur die Blutspuren auf dem Asphalt bleiben, und das auch nur bis zum fruehen Morgengrauen, wenn die staedtischen Kehrmaschinen die letzten Erinnerungen bereinigen.

Es ist kurz vor zwei, der Verkehr hat ein wenig nachgelassen, das Chaos nicht und schlagartig versammelt sich vieles vom Uebriggebliebenen im Schnapsladen gegenueber, um die Durststrecke der folgenden Stunden mit einem letzten Einkauf kurz vor „closing time“ zu ueberbruecken. Der zahnlose Alte, der tagsueber wie ein Fensterputzer mit Leiter und Putzeimer ausgeruestet durch das Viertel zieht, ohne jemals bei der Ausuebung dieser Arbeit gesehen zu werden, lehnt jetzt an einem Hydranten und ergeht sich in mir kaum verstaendlichen Tiraden gegen die Daemonen der Nacht in Spanisch. Vom Nachbarzimmer her hoere ich eine Frau rufen: „Es gibt keine Freiheit, wenn du die Toilette mit einem Fremden teilen musst.“ Schweigend erhebe ich mein Glas mit kalifornischem Sangiovese.

Im Radio spielen sie die Musik eines Trios aus New York, das seit beinahe einer Dekade in den Clubs der Downtown-Szene aktiv ist, seit 1996 in fester Besetzung jedoch erst so richtig aufbluehen konnte. Rein instrumentaler Musik verschrieben, erwecken BIG LAZY eine Vielzahl von ineinandergleitenden Impressionen einer nocturnen Beerdigungsfahrt, die keinen Friedhof kennt, umso mehr dafuer Erinnerungen an grosse Momente abruft.

Elegant und stimmungsvoll spielen sich die Drei mit einer schlafwandlerischen Geschmackssicherheit aeusserst gekonnt durch das Niemandsland zwischen Jazz und Rock, ohne ein unnoetiges Wort verlieren zu muessen und dabei mehr zu sagen, als viele der neurotisch-gestoerten Buehnenpropheten, die einem sonst ueber die Fuesse stolpern.

„Ihr spielt den Soundtrack meines Lebens“, ist eine vielgehoerte Antwort von Punks und Gefaengnisinsassen, NASA-Wissenschaftlern, Psychotherapeuten, Fussballmuettern und Filmemachern, die BIG LAZY das erste Mal gehoert haben. Und wirklich haben die New Yorker es geschafft, im Zuge dreier Alben, aehlich wie Maler, verschiedenste Lebenssituationen und angekoppelte Stimmungen in Musik zu fassen, und durch ihre Musik wieder in Situationen und Stimmungen zu verwandeln.

Kein Wunder, dass Filmemacher nicht nur aus den USA an BIG LAZY`s Brooklyner Hinterhoftuer klopfen, um sie zur Mitwirkung an diversen Filmprojekten zu bewegen. Ihr erstes Album „Amnesia“ von 1996 war schon ein Jahr spaeter der Soundtrack zu NBC`s TV-Serie „Homicide: Life On The Streets“ und bis heute folgten unter anderem Musikbeitraege fuer Amos Poe`s „Frogs For Snakes“, Chris Hegedes/Frazer Pennebaker`s Dokumentation „Startup.Com“ und Tom DiCillo`s „Double Whammy“. Gruende genug zum Telefonhoerer zu greifen und bei STEPHEN ULRICH anzurufen, mit dem ich folgendes Gespraech fuehrte:

BIG LAZY sind:
Stephen Ulrich: elektronische Gitarren, Lap Steel Gitarre
Paul Dugan: string bass, organ, casio
Tamir Muskat: Schlagzeug (auch bei FIREWATER), Schrott, Samples, Glockenspiel,
Magnus Orgel, Casio, Korg Beat Box, Music Box, elektronische Tampura

***

Hi Stephen, wie geht`s Dir?

Stephen: Mir geht es gut. Ich sitze gerade nur hier in New York, es ist ein schoener Tag

Ende September, der Herbstanfang steht vor der Tuer und keine Spur von Kaelte bei Euch?

Stephen: Das coole an New York ist, das es ganz ploetzlich in dieser Zeit auf eine Art sein Denken wechselt. (lacht)

Wo genau lebst Du in New York? 718 ist ja nicht die Vorwahl von Manhattan.

Stephen: Brooklyn, Williamsburg. Ich lebe dort, wo wir auch unsere Platte gemacht haben, in dem Studio, die Treppe hoch und dann habe ich auch ein Studio. Ich lebe dort, wo auch Tamir wohnt. Mit einer schoenen Aussicht auf diese jetzt langweilig gewordene Skyline. Eine neue Skyline direkt vor meinem Fenster.

Fuers Proben hoert sich das recht praktisch an.

Stephen: Yeah, das ist grossartig. Ich lebe gleich ueber dem Studio, aber dann habe ich ein eigenes Studio.

Produzierst Du dort neben Deiner Musik auch fuer Andere? Euer letztes Album wurde soweit ich weiss doch von Tamir produziert.

Stephen: Ja, Tamir hat ein richtiges Studio, meines dagegen gleicht einem kleinen Labor.

Aber arbeitest Du dort ebenfalls mit und fuer andere Bands oder konzentrierst Du Dich ausschliesslich auf Deine Kunst?

Stephen: Nein, nicht wirklich, ich mache eigentlich nur das hier. Was ich viel mache, ist ueber die Band am Telefon zu reden. (lacht)

(lacht) Das klingt auch nicht verkehrt.

Stephen: Das hat damit zu tun, dass ich die Band managen kann, weil die Band nicht bei einer Firma unter Vertrag steht. Wir machen alles, wie ein Familienunternehmen, was sich, denke ich, aendern muss, weil ich viel zu viel Zeit mit dem Managen der Band verbringe.

Ich dachte, da steckt eine Absicht, ein Konzept dahinter, dass Ihr Euer eigenes Label TASANKEE RECORDS betreibt.

Stephen: Ja, das ist schon absichtlich und freiwillig so gemacht, aber du kannst halt nur in einem begrenzten Rahmen arbeiten. Bis jetzt lief das gut und hat uns auch geholfen. Ich meine, wir haben bis heute drei Alben eingespielt, die wir selbst veroeffentlicht haben und die vertrieben werden, wir buchen unsere eigenen Tourneen und promoten unsere eigene Band selbst. Also bis jetzt hat das funktioniert, aber nun heisst es, den naechsten Schritt zu gehen und das ist ein anderes Spiel, weisst Du. Also, wir werden sehen. Wir koennten in der Lage sein, uns zu machen.

Aber seid Ihr gewillt, diesen Weg zugehen, mit allen Konsequenzen, was Kunst und Musik angeht?

Stephen: Es ist so ein abgedrehtes Spiel, weil du  Ich habe immer das Gefuehl, das wir beabsichtigen irgendwo herauszukommen, wo dieses Spiel nicht gespielt wird. Aber vielleicht ist das zu idealistisch.

Hmm, Ihr habt seit 1996 schliesslich recht stabil auch anders ueberleben koennen.

Stephen: Genaugenommen besteht die Band sogar laenger, wir waren schon fuenf Jahre zusammen, bevor unser erstes Album erschienen ist.

Immer in derselben Besetzung?

Stephen: Nein, Tamir war am Anfang nicht dabei. Die gegenwaertige Besetzung und der gegenwaertige Klang der Band hat viel mit der Neuformierung zu tun. Aber in New Yorker Clubs haben wir jahrelang zusammengespielt und eine Stabilitaet geschaffen, obwohl wir voellig ausserhalb jeglicher Radars stehen.

Aber gleichzeitig faengst du an, in Richtungen zu denken, wie: „Oh, wir haben noch nie in Europa gespielt, dafuer sind wir ja schon recht haeufig in Baltimore aufgetreten.“ (lacht)

(lacht) Das kann ich natuerlich verstehen, aber das laesst sich ja aendern.

Stephen: Klasse. Das Ding, was schoen an der ganzen Sache ist, dass alles seltsam rein geblieben ist. Was immer das heissen mag. Irgendwie hat das immer nur in unserer eigenen Kueche gekocht, was meiner Meinung nach toll ist, auf der anderen Seite moechtest du dich aber auch oeffnen.

Wie ist es denn um Euer Miteinander bestellt?

Stephen: Oh, wir haben gemeinsam hunderte von Naechten in wirklich schlechten Hotels verbracht und wir muessen einfach auskommen. Wir haben eine gesunde Balance, in der es moeglich ist, sich auch mal anzuschreien und Dinge kaputt zu machen und das kommt dann eben beim Aufnehmen einer Platte heraus.

Das ist wirklich dramatisch, du bist fuer drei Wochen jeden Tag zusammen und wir veranstalten eine Schlacht, eine gesunde Schlacht und dann erkennen wir. Jedoch gibt es drei von uns, von daher ist das perfekt. Bei dreien ist einer immer in der Minderheit. (lacht)

Das stimmt. Allerdings denke ich generell, dass Trios das solideste Fundament in, in Klammern gesetzt, (Rock)Musik darstellen. Klassische Beispiele von gut zusammenarbeitenden Dreiergespannen gibt es ja zuhauf.

Stephen: Sicher, und einen Anteil daran hat eben dieser merkwuerdige Umstand, dass wenn eine Entscheidung getroffen werden muss, du drei Leute hast, was generell dann oft zwei gegen einen bedeutet und diese eine Person sagt dann: „Okay, fuck it, allright, done“, und es gibt nicht dieses Heulen in der Mitte der Band, was meiner Meinung nach einen grossen Unterschied ausmacht.

Da gibt es nicht zwei auf der einen und drei auf der anderen Seite. Du kannst Dir vielleicht vorstellen, dass jeder von uns etwas eigenes und seltsam Unterschiedliches in die Mischung einbringt. Wenn immer ich mir Bands mit acht Leuten anschaue, bin ich erstaunt. Beispielsweise FIREWATER.
„OH, wie kriegen die das nur hin.“ Aber am Ende schaffen sie es.

Dieses Beispiel ist allerdings nicht ganz korrekt, weil es sich hier um einen Mann und Gastmusiker dreht.

Stephen: Richtig, diese Band ist langsam zu drei unterschiedlichen Leuten geworden, nicht drei separate, aber eine Person. Das ist wirklich bizarr und es gab Naechte mit ihnen zusammen, wo ich fuehlte, „mein Gott, das bewegt sich bei uns in die gleiche Richtung oder was ist das bloss fuer ein Durcheinander“.

Aber wir reden hier ueber BIG LAZY. Bist Du die treibende Kraft?

Stephen: Uhm, ich schaetze, ich habe die Band formiert, ich schreibe das meiste des Materials, habe jedoch nicht das Gefuehl, das die Band nicht funktioniert haette, wenn ich nicht alles getan haette. Ich lehnte es vielmehr ab, alles zu tun, bis jeder seinen Platz in der Band gefunden hatte und das ist das grosse Plus bei uns.

Tamir kuemmert sich beispielsweise um die Produktion, selbst wenn es keine Geschaeftsebene ist, wie Leute mit der Band umgehen. Aber ich wuerde schon sagen, dass ich die Band gegruendet habe, die meisten Songs schreibe und daher schaetze ich schon, bin ich die treibende Kraft.

Dann erzaehl` uns doch bitte etwas von Deinem musikalischen Hintergrund. Dein Gitarrenspiel ist immerhin ausgefallen-schoen, ungewoehnlich und nicht gerade das, was auf konventionellen Rock schliessen lassen wuerde.

Stephen: Ich habe Bebop studiert, als ich Teenager war. Bei einem dieser Jazz-Typen aus den 40ern. Und diese Leute gibt es heute nicht mehr. Sein Name ist Sal Salvadore. Der spielte mit MINGUS und solchen Leuten zusammen.

Ihr covert MINGUS` „Meditation“ auf Eurem neuen Album.

Stephen: Wir begannen diesen Song zu spielen  Ich hoerte das Stueck eines Tages im Radio und war wirklich zutiefst beeindruckt, musste mit meinem Wagen anhalten um herauszufinden, was das war, weil das ein so erstaunliches Stueck Musik war. Als Teenager, schaetze ich, habe ich aber Bebop studiert und dann entdeckte ich Punkrock und meinte, dass das mit Jazz nicht zu vereinbaren waere.

Daher spielte ich als Kid dann in verschiedenen Bands, die nicht konventionellen Punk spielten, der Bezug ging allerdings schon in diese Richtung. Aber dann ist das lustige an dem was ich tue, dass ich in gewisser Weise Jazz studiert habe, dann alles wegwarf und jetzt in keiner Zugehoerigkeit mehr stehe, oder in beiden Plaetzen.

Dieser Umstand macht Deine Musik in meinen Augen aber besonders rund und ungewoehnlich in ihrer Art.

Stephen: Das stimmt schon, und sogar jetzt in New York, wo es diese Avantgarde-, diese Downtown-Szene gibt, aus der wir in gewisser Weise entstammen, spielen wir auch in voellig anders orientierten Clubs. Es gibt also diese zwei verschiedenen Orte und an keinem wissen sie so richtig, was sie mit uns anfangen sollen. Wir spielen beispielsweise diese Rockshows, wo Kids dann ganz erstaunt ankommen und fragen, „wow, what the fuck is it?“ Das ist also schon schoen, zu keinem der Plaetze wirklich dazuzugehoeren.

Genauso spielen wir hier in der Stadt im „Tonic“, einen Club, den Du vielleicht kennst, wo die neuen, krachigen, Avantgarde-Bands auftreten. Das lustige, was ich also bemerkte, als ich Jazz studierte, war diese schreckliche Clicke von Musikern Ende der 70er, zu Beginn der 80er, die mich einfach zwang, mich vom Jazz wegzubewegen. Je laenger ich jedoch spielte, desto staerker musste ich realisieren, dass dieser Hintergrund das ist, was vieles von dem was ich mache gepraegt hat.

An Eurem neuen Album „New Everything“ mag ich gerade diesen Aspekt, gut zu spielen, ohne zwanghaft wie viele Jazzer auf das Spielen, um der Zurschaustellung der eigenen technischen Virtuositaet wegen, zu setzen.

Stephen: Richtig. Ein anderer Grund, warum dieses Album so ausgefallen ist, liegt darin, dass wir New York fuer zwei Wochen verliessen und nicht einmal eine genaue Vorstellung davon hatten, wie diese Aufnahme werden sollte. Es war ein wenig beaengstigend, weil wir eben kein fertiges Material hatten, sondern ausschliesslich einige Ideen. Das war nicht, dass wir schon Songs hatten, die wir bereits ein Jahr lang live gespielt hatten und einfach nur perfekt aufnehmen mussten.

Im Gegenteil war das ein grosses Durcheinander und wir zogen fuer einige Wochen aufs Land, bauten unser Equipment in dieser Scheune auf und spielten einfach. Und die Platte wurde dadurch zu etwas, was weitaus staerker eine Band zeigt, als nur Gitarrenmusik zu sein. Jeder von uns wuchs da hinein und das Ganze entstand viel organischer, als wenn einer mit einem fertigen Song angekommen waere, diesen bei der Probe den anderen praesentiert und ihnen ihren Part erklaert haette.

Kann der Albumtitel „New Everything“ in diesem Zusammenhang programmatisch verstanden werden?

Stephen: Ich schaetze schon, dass das mit eigenen Daemonen und so einem Zeug zu tun hat, (lacht). Du weisst, wir hatten hier ein unglaubliches Jahr, da brauche ich, glaube ich, nichts zu zu sagen.

Was ist passiert? Meinst Du den 11.09. und alles Folgende?

Stephen: Die Welt fiel einfach auseinander und wir begannen, auseinanderzufallen. Ich weiss nicht, wir haben das nicht einmal diskutiert, dass der Titel etwas mit dieser Weltsituation zu tun haben koennte. Der Titel kommt im Grunde genommen von dem vierjaehrigen Kind eines Freundes von mir, der Schriftsteller ist.

Dieses Kind schrieb den „table of contents“ fuer ein Buch und jeder Titel war in gewisser Weise etwas Geniales aus dem Kopf eines vierjaehrigen Kindes. Einen dieser Titel, den wir dann aufgegriffen haben, ist „New Everything“. Das Ding ist, dass es natuerlich ein leichtes gewesen waere, dem Album irgendeinen „Film Noir Blahblahblah“-Titel, mit all` diesen Kino-Referenzen zu geben.

Stephen, gerade die Entwicklung der Chicagoer Musikszene weg vom Postpunk und Noiserock hin zu sehr frei aufspielenden, ausschliesslich instrumental agierenden Gruppen, hat dieser Form von Musik zu etablieren verholfen. Heute gibt es eine Vielzahl von im weitesten Sinne instrumentalen Rockbands. Liegt das daran, das immer mehr Menschen die limitierten Ausdrucksformen von Rock, seinen horizontbegrenzenden Strukturalismus, hinter sich lassen wollen?

Stephen: Ich denke schon. Ich denke, dass Bands wie TORTOISE und diese Chicago-Gruppen, die diesen neuen Ansatz im Rock spielen . Weisst Du, das Lustige ist, dass Rock`n`Roll oder diese Idee, dass es eine Alternative zu Rock`n`Roll gibt, du schaltest jetzt das Radio ein und da ist keine Alternative. (lacht)

Es fuehlt sich nur an, als ob sie mit Formen und Strukturen experimentieren wuerden. Ich weiss nicht, ich schaetze, diese Leute waren schlau genug, von der gleichen alten Scheisse gelangweilt zu sein. Das sind die Bands, die wir moegen, weil es den Anschein hat, das sie alles aus sich selbst heraus machen. Du sprichst von TORTOISE, oder?

Nicht nur, obwohl sie sicher soetwas wie eine populaer gewordene Gallionsfigur einer Entwicklung darstellen, die auch in Europa immer weiter um sich greift und beinhaltet, klassischem, singer/songwriter-orientiertem Rock den Ruecken zuzukehren, ohne das Terrain vollends zu verlassen. Befindet Ihr Euch auch auf diese Trip?

Stephen: Ja, das wuerde ich schon sagen. Weil ich nie von uns als Rockband gedacht habe. Deshalb sage ich ja auch, dass wir nicht zu diesem Pop/Rock-Ding, oder wie immer das genannt wird, gehoeren.

Jazz seid Ihr aber auch nicht.

Stephen: Stimmt. Und ich denke, am Ende wird das unsere Staerke sein, dass wir ausserhalb all` dieser Stroemungen stehen und unser eigenes Ding machen. Es ist lustig, wenn wir beispielsweise irgendwo vor einer jungen Menge spielen. Mich stimmt das ziemlich hoffnungsvoll, weil sie weitaus staerker interessiert sind und wir ihnen nicht wie ein Produkt vorkommen.

Mit wiederkehrenden Formen, einem Refrain. Nicht, dass saemtliche Popmusik ausschliesslich ein Produkt ist, aber das geht schon stark in diese Richtung, hit-getriebenes Zeug zu sein. Manchmal, wenn wir eine Show spielen, bekommen wir Rueckmeldungen von Leuten, die unsere Musik als viel eher atmosphaerisch orientiert begreifen, als pure Musik, ohne dieses Spektakel drumherum, ohne diesen Produktcharakter. Von daher beobachte ich schon diese Bands, die Instrumentalmusik spielen und finde das auch inspirierend, dass diese Musik einem nicht in den Mund gestopft wird, im Sinne, ein Popsong zu sein. Auf eine Art ist auch einiges an Techno-Musik inspirierend, nicht unbedingt musikalisch fuer mich, aber ich registriere schon, dass sich das Leute anhoeren und das soetwas dadraussen existiert.

Ich denke, dieses weite Feld an neuer elektronischer Musik, und ich sehe da schon einen Unterschied zu Techno, ist eine Reaktion, die in eine aehnliche Richtung geht, wie Ihr Musik betreibt. Sicher, Eure Musik basiert auf handgespielten Instrumenten, ist aber nur eine andere Form fuer die gleiche Richtung: Musik fuer verschiedenste Lebenssituationen zu schaffen, die wie Soundtracks fuers Kochen, fuer Sex oder was auch immer gestaltet sind.

Stephen: (lacht) Yeah, einer hat diese Musik einmal mit „music to drive back to jail by“ beschrieben. (lacht)

Ich dachte einmal beim Hoeren Eurer Musik, ohne in Klischees sprechen zu wollen, dass es eine froehliche Form von Begraebnis-Musik ist. Wie ein Beerdigungs-Marsch.

Stephen: Das ist nett. Ja, Du weisst, was immer du darin siehst. Uns geht es darum, dass die Musik in gewisser Weise immer stimmungsbetont ist. Aber dieses Album („New Everything“) hat einige Momente, die wirklich leuchten, also haben wir versucht, dazu Kontraste einzubringen.

Speziell in „Tavern Life“ funktioniert das ausgesprochen gut. Deine Gitarren-slides sind da wirklich unglaublich und Ihr erschafft eine atemberaubende Schoenheit.

Stephen: Dankeschoen. Wir haben das aufgenommen . Eine der interessanten Sachen, wenn wir ueber elektronische Sachen sprechen ist, dass Tamir, der die Platte produziert hat, die Idee hatte, eine zusaetzliche Kraft zum Zuge kommen zu lassen. Wir wollten nicht einfach nur eine weitere Trio-Platte machen, was grundsaetzlich ja das ist, was wir machen. Wir brachten also diesen vierten Mann ins Spiel und alles was wir mit ihm taten, war Atmosphaere zu legen. Und vieles davon war einfach „low-fi“, wie ein Walkman mit Echo. Er sass in einer Ecke des Studios und war seine Sounds am Verbreiten, und gerade bei dem Song nahmen wir alles live auf, arbeiteten also nicht mit overdubs.

Ah, Ihr drei spieltet also direkt aufs Band und der Junge steuerte seine „fieldrecordings“ bei.

Stephen: Richtig. Wir zeichneten seine Performance auf, also hatte er die Pistole direkt am Kopf, verstehst Du? (lacht) Er war also mit diesen Leuten am Spielen, die sich gerade durch 100 shows gespielt hatten, aber er steuerte dieses Konfusionselement bei. Sein Name ist Giddy Raz, er kam aus Tel Aviv und Tamir erzaehlte, das er der Richtige sei. Er hat einfach den Instinkt. Wenn du ein Musiksnob bist, sagst du, was auch immer, das ist ja nicht einmal Musik, richtig? Aber das ist Schwachsinn.

Er korrespondiert einfach nur. Und das ist alles live. Kurz bevor wir den Song aufnahmen, und das habe ich so an dem Typen gemocht, weil er wirklich in der Art war, wie „fuck it, give me the taperecorder“, und er nahm etwas vom Fernsehen auf, jemand klopfte an die Tuer, er nahm das auf, das Klavier. Das alles dauerte acht Minuten und war in keinster Weise vorab geplant. Dann gingen wir ins Studio, er sass da, mit seiner Zigarette und einem Auge geschlossen und diesem Kassettenrekorder und nahm weiter auf. Wir spielten den Song zwei- oder dreimal, und das war einer dieser Momente, wo wir zuckten und dachten, „oh, mein Gott“. Das ist das schoene an Musik, die einfach nicht ueberproduziert und uebermixt ist.

Wie habt Ihr es dann so schnell, sprich bereits mit Eurem ersten Album „Amnesia“, geschafft, Kontakte zur Filmindustrie herzustellen? NBC hat schliesslich das komplette Album als Soundtrack fuer die Serie „Homicide – Life On The Streets“ genutzt.

Stephen: Stimmt. Warte mal eben, Tamir pfeift gerade nach mir.

Gruess` Ihn von mir.

Stephen: (ruft hinab auf die Strasse) Hey! Tom sagt hey! Zehn Minuten! Okay? (zu mir) Egal, keine Eile, er nimmt den Fahrstuhl und kommt hoch. Also, die Band gab es schon einige Jahre, Paul und ich spielten schon zusammen. Wir spielten viel in New York, aber das Musikgeschaeft beachtete uns nicht, dafuer kamen Filmemacher, um die Band zu sehen. Jedesmal, wenn wir spielten, war da ein Filmacher, der sagte: „oh, das ist es.“

Aber das ist ja eher ungewoehnlich. Seid Ihr speziell am Medium Film interessiert, oder wie kamen diese Beruehrungen zustande?

Stephen: Wir haben ein Feature gefilmt, ein Feature fuer Amos Poe, der „Blank Generation“ gedreht hat. Wir haben fuer einen anderen Film gearbeitet, der „Frogs For Snakes“ heisst, der auch ziemlich dunkel ist. Am Ende sind wir immer in diesen „Noir-crime-movies“. Ueberraschend, oder? Wir haben also dieses Feature gemacht und bei einigen Filmen mitgewirkt, und das ist der Weg, auf dem wir ueberleben. Weil nach Cleveland zu fahren und dort zu spielen, bezahlt nicht wirklich die Rechnungen.

(lacht)

Stephen: Aber wenn du fuer einen seltsamen Film arbeiten kannst. Bis jetzt haben wir fuenf oder sechs Filmmusiken gemacht und aktuell kriegen wir Anrufe aus Berlin und sonstwo, um uns an Indie-Filmen zu beteiligen, was ich denke wir auch machen werden. Ich denke, dass das ziemlich offensichtlicher Scheiss ist, mit Musik, die keine Texte hat. Die Musik kann halt in verschiedenste Richtungen interpretiert werden, und wenn Leute eines moegen, dann ist das, ihre eigenen Texte in Songs zu uebertragen.

Eure Covergestaltung hilft da sicherlich auch weiter, mit Fotos, die an JIM JARMUSCH-Filme erinnern und Tamir auf dem aktuellen Album, der wie JOHN LURIE ausschaut.

Stephen: Das Lustige daran war, dass ein Aermel seines Jackets beschaedigt war und der Designer riss ihn einfach komplett ab, so dass das Ganze am Ende aussah, als ob wir Drei in einem Campingunfall stehengelassen worden waeren. Fuer das Cover entschieden wir uns fuer dieses „diarama-museum kind of-swamp-looking-thing“. Ja, wir hoeren viel Filmmusik. Wir sind grosse Fans von Bernard Hermann und dem Zeug von Hitchcock und dem ganzen „Noir“-Kram. Auf der anderen Seite hoere ich mir aber auch gern George Jones an, das variiert in unserer Band sehr. Wir fahren in unserem Van und Tamir kommt mit diesem Gypsie-Brass-Kram an, Paul hoert Coltrane und ich hoere seltsame Film-Soundtracks.

Das ist halt das andere Ding dieser Band. Wir haben viel ueber mich geredet, aber diese Band besteht aus drei Leuten und die Balance ist schon sehr erstaunlich. Das es nicht auseinanderfliegt. Und das, denke ich, haelt uns zusammen. Wenn immer wir einen Streit haben, ist Tamir extrem auf einer Seite, waehrend Paul geradewegs auf der anderen Seite steht, und ich stehe irgendwo in der Mitte und bin am vorwaerts- und rueckwaertsgehen. Irgendwie gleicht sich das kuenstlerisch aus, denke ich. Wir beginnen ein Labor zu werden, anstatt , ich will jetzt nicht sagen, wir arbeiten demokratischer, da Demokratie in Bands normalerweise nicht funktioniert.

Dank` Dir fuer das Gespraech.

***

Interview: Tom Dreyer

Diskographie:

AMNESIA (`96)
BIG LAZY (`00)
NEW EVERYTHING (`02)

Links (2015):
Homepage
Discogs

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