Juni 15th, 2018

BAD COP/BAD COP (#179, 2016)

Posted in interview by Jan

Wann immer ich einen neuen Rezensionsstapel fürs Trust geschickt bekomme, ist eine der spannendsten Fragen, welche Alben wohl zurück geschickt werden müssen, für das Archiv der guten Musik in Bremen. Oft denke ich mir, gerne weg damit, aber manchmal gerate ich auch in Versuchung eine CD zu unterschlagen, in der Hoffnung, dass es nicht auffliegt. Bei ‚Not Sorry‘ von Bad Cop/Bad Cop ging es mir so, aber mein schlechtes Gewissen hat dann doch gesiegt. Was die vier Kalifornierinnen in etwas mehr als einer halben Stunde dort abliefern ist vielleicht keine Kunst, aber doch ein seltenes Gut geworden.

Bände dafür spricht auch, dass sie diesmal die Ehre hatten, die einzige rein-weibliche Band auf dem namhaften Groezrock Festival zu stellen. Trotz der frühen Uhrzeit, waren sie wohl die Band die am meisten Spaß hatten, und der Funke sprang über. Jennie, Stacey, Myra und Linh sind vier grundverschiedene Typen, sowohl äußerlich als auch charakterlich und harmonieren (ein Wortwitz, denn sie sind die Königinnen des dreistimmigen Gesangs) vielleicht aber gerade deshalb so gut. Witz, Charme und Ehrlichkeit gepaart mit großartigen Mitsingrefrains und nach-vorne-gehendem Pop-Punk gibt es auf der Bühne und dahinter gibt es ein großes Mitteilungsbedürfnis, Redseligkeit und Meinungspluralismus. Ich sagte es ja schon: Ein rares Gut! Besonders Jennie hat sich spätestens dann für immer in mein Herz gespielt, als sie im Gespräch über das Outing von Laura Jane Grace vor Rührung und Freude spontan wieder anfängt zu weinen, wie als sie es das erste Mal vernahm.

 

Auf diesem Festival seid ihr ja in vielerlei Hinsicht eine Ausnahme. Die meisten Bands auf der Hauptbühne gibt es gefühlt schon immer, ihr seid eine relativ neue Band und trotzdem seid ihr nicht im klassischen Sinne eine junge Band…

Stacey: Wir sind eine neue Band aber wir sind keine Greenhorns was das Szenegeschäft angeht. Wir haben immer schon in Bands gespielt.

Jennie: Ich bin 33, mir gefallen meine Dreißiger viel besser als meine Zwanziger.

Liegt das vielleicht auch daran, das mittlerweile mehr Akzeptanz für Frauenbands geschaffen wurde?

Stacey: Auf jeden Fall.

Myra: Da bin ich mir nicht so sicher.

Stacey: Es kommt auch immer darauf an, in welcher Szene du dich bewegst, welche Chancen du wahrnimmst, und was du daraus machst. Es gibt sehr viele Bands, aber wenn du da nicht aktiv hinterher bist, wird sich niemand deine Band anhören. Wir spielen so viel wie wir können, weil es das ist, was es ausmacht in einer Band zu sein.

Jennie: Zu Hause spielen wir mit vielen Frauenbands und sie setzen sich aus allen Altersgruppen zusammen. Wir sind eher schon die Ältesten (lacht). In San Francisco ist das anders, da gibt es mehr auch ältere Frauen, die noch aktiv sind.

Linh: Ja da gibt es echt viele Leute, die 40 sind und ihre 10. Band machen und endlich Anerkennung dafür erhalten.

Und dann gibt es die alten Männer auf dem Groezrock, von denen man Jahrzehnte nichts gehört hat und die plötzlich wieder spielen…

Stacey: Wie Dag Nasty (lacht). Was soll das? Jeder macht gerade ein Comeback.

Jennie: Ich finde es cool, dass das möglich ist.

Myra: Ich finde es auch großartig. Als die angefangen haben Musik zu machen, war ich noch zu jung um sie zu sehen. Ich kann das jetzt nachholen. Es bringt einem ein Stück der Jugend zurück nochmal NOFX oder die Descendents hier sehen zu können, und vielleicht sogar seinen Kindern diese Bands zeigen zu können.

Linh: Es sind immer auch echt junge Leute bei diesen Bands vorne. Es ist wie ein Zirkelschluss, der die Generationen vereint.

Jennie: Es macht auch total Spaß vor solchen Bands aufzutreten, da die Leute die Chance bekommen auch etwas neues kennenzulernen. Sie sind gezwungen sich uns auch anzuschauen, wenn sie die ganzen alten Männerbands mit ihrem zweiten Versuch sehen wollen (lacht). Es bringt uns oft mehr als wenn wir mit Leuten in unserem Alter und unserem Bekanntheitsgrad spielen.

Vor zwei Jahren haben Fabulous Disaster euren Slot auf dem Festival gehabt…

Myra: Die sind toll, ich bin in meinen 40erns und die Mädels, mit denen wir auch befreundet sind alle um die fünfzig, das ist toll zu sehen.

Jennie: Als ich 20 war habe ich die Band für mich entdeckt und mich gefreut endlich eine erwachsene Frauenband kennengelernt zu haben.

Werdet ihr oft mit denen verglichen, weil sie auch auf Fatwreck waren?

Myra: Nein.

Stacey: Mir wurde das schon gesagt.

Jennie: Meistens ist die Reaktion einfach: Oh noch so ne Frauenband…

Stacey: Wir klingen auf jeden Fall überhaupt nicht wie die, aber weil es auch eine Frauenband ist, liegt für die Leute der Vergleich nahe.

Myra: Jennie wird zum Beispiel häufig mit Gwen Stefani verglichen. Die Leute kennen einfach keine anderen Sängerinnen. Sie klingt null wie Gwen Stefani.

Stacey: Manchmal wählt sie schon diese Stimmlage…

Myra: Ok, sie kann so singen wie Gwen Stefani, aber der Stil ist total anders, sie jodelt nicht so rum (macht Gwen Stefani nach: Ich bin nur ein Mädchen aus Anaheim).

Für mich war es damals Cinder Block von Tilt, die, auch für meine männlichen Freunde, die meinten Punk und Frauengesang würden nicht zusammenpassen, den Beweis lieferte, dass das definitiv nicht stimmte…

Jennie: Für mich auch! Davor kamen vielleicht noch L7.

Stacey: Als ich klein war, wollte ich Sängerin werden. Ich habe dann Leute entdeckt, die nicht den Vibrato-Stil verfolgten, Joan Jett zum Beispiel. Durch sie bin ich erst darauf gekommen, dass man auch ohne Vibrato singen kann, und habe es von da an auch gelassen. Dann haben die Leute gesagt, das muss da drin sein, und ich habe es wieder aufgenommen und irgendwann meinen eigenen Stil irgendwo dazwischen gefunden. Sie war aber definitiv meine erste weibliche Inspiration. Fat Mike sagt auch oft, dass Frauenstimmen besser zu Pop-Musik passen als zu Punk. Er meinte aber auch meine Stimme sei eher wie die eines Typen (lacht). Er ist der Simon Cowell des Punkrock, er ist einfach immer brutalst ehrlich.

Myra: Na ja ein bisschen weniger brutal vielleicht schon, und eben auch kein Brite.

Wie war es denn jetzt für euch auf dem Groezrock?

Myra: Unglaublich. Es war eines der besten Dinge, die wir je in unserem Leben getan haben. Zwanzig mal besser als Punk Rock Bowling.

Linh: Es sind hier auch 30.000 Leute gewesen.

Myra: Ich meine auch nur bezogen auf das Konzert selbst. Vegas wird immer Vegas bleiben.

Linh: Es war schon enorm, wie weit man von der Bühne aus sah, und da standen dann immer noch Leute. Als ich dann die Luftaufnahme von Punktastic gesehen habe, war ich noch beeindruckter.

Myra: Es haben noch Walls of Jericho, Not on Tour, Muncie Girls und Juliette & the Licks gespielt, aber wir waren die einzige reine Frauenband.

Jennie: Ich glaube aber, dass es gerade schon besser wird. Wir treffen immer Frauen, wir spielen auch fast immer mit anderen Frauen. Wir haben noch eine Zusatzshow in Frankreich bekommen und der Veranstalter meinte, dass er jedesmal Frauen auftreten lässt, und er macht jeden Abend Konzerte. Stacey war teil des Musicals…

Ja Stacey ist die neue begehrte Gastsängerin, früher war es Cinder Block und dann Karina Denike

Stacey: Ja, mit den Dwarves und NOFX Features bin ich das jetzt geworden. Ich freue mich, dass sie mich gefragt haben.

Ihr nennt euch Lady Dudes, ist das eine neue Geschlechtsidentität?

Myra: Ich bin der totale Tomboy.

Stacey: Wir sind alle nicht besonders girly.

Jennie: Also wir sind erstmal keine Girls. Das wurde mit vor fünf Jahren ausgeredet, ich bin kein Mädchen, ich bin eine Frau. Ich bin erwachsen. Aber das Label Frau ist auch durch Bilder besetzt und da kommt die Lady ins Spiel. Das ist die weibliche Form von Dude.

Ihr bewegt euch ja auch viel in der Schwulenszene und es gibt Queer-Theoretikerinnen wie Eve Kosofsky Sedgwick, die sich als schwule Männer bezeichen, ich dachte es würde mehr so in diese Richtung gehen.

Stacey (schreit): Ja! Ich habe mich immer als schwuler Mann in einem Frauenkörper gefühlt.

Myra: Was?

Stacey: Ich habe euch das nie gesagt, aber ich spreche viel mit meinen Trans*Freund_innen darüber. Ich werde nichts in die Richtung unternehmen, aber ich fühle mich weder weiblich noch männlich.

Jennie: Stacey, ich muss dir was sagen. Ich habe das Gefühl, weil du viele schlechte Erfahrungen mit Frauen gemacht hast, fühlst du dich jetzt nicht als Frau. Weil du Frauen lange Zeit scheiße fandest. Wenn du diese Erfahrungen nicht gemacht hättest, würdest du dich jetzt auch mehr damit identifizieren eine Frau zu sein. Du bist nämlich eine tolle Frau und kein Typ.

Stacey: Ich fühle mich ja als Frau. Ich bin mit vielen Typen zusammen aufgewachsen und wollte immer lieber die Sachen tun, die sie taten. Als ich jung war habe ich um den Respekt dieser Jungs gekämpft. Wenn das hieß, dass ich Football mit ihnen spiele, oder Skateboard fuhr, dann habe ich das gemacht.

Myra: Bei mir war es genauso, in meinem Block waren die anderen Kinder alle Jungs. Ich kannte ein Mädchen und das wollte immer mit Puppen spielen. Da hatte ich keinen Bock drauf. Ich habe das zwar dann mal gemacht, aber ich habe lieber Videospiele gespielt als rumzusitzen und Tee zu trinken.

Stacey: Zu Teenagerzeiten haben all die Mädchen, die behaupteten meine Freundinnen zu sein, hinter meinem Rücken mit meinem Freund geschlafen.

Jennie: Mädchen wird beigebracht aufeinander eifersüchtig zu sein. Das hat sich aber schon gebessert..

Stacey: Das stimmt und ich versuche jetzt alles auszublenden was damit zu tun hat. Ich will, dass jeder sein Potenzial ausschöpft und glücklich ist.

Ihr habt noch eine Band, Cunt Sparrer, gibt es die noch?

Myra: Wir machen gerade eine Pause.

Jennie: Sara, die Keyboarderin, ist eine vielbeschäftigte selbständige Illustratorin. Sie hat gerade überhaupt keine Zeit für die Band, obwohl die Leute überall danach fragen. Es war eine tolle Zeit und wir haben alle in dieser Band durch Cunt Sparrer kennengelernt. Ich habe zu der Zeit gar keine Musik gemacht und Sara war die lustigste Person, die ich je getroffen habe. Sara M. Lyons ist ihre Firma und sie ist die Königen der Teenagerinnen. Jeden Monat hat sie einen noch größeren Auftrag von Nylon, und wenn ich das sehe, verstehe ich, dass sie zu beschäftigt ist, um die Band fortzuführen. Aber vielleicht irgendwann wieder.

Myra: Sie ist beschäftigt, sie heiratet bald und wir sind ja mit dieser Band auch super eingespannt. Es ist ja nur eine Coverband, die braucht niemand. Aber als wir noch Zeit dafür hatten, hat es Spaß gemacht. Ich vermisse Sara, aber irgendwann geht es ja vielleicht auch weiter.

Wie beschäftigt seid ihr denn gerade mit Bad Cop/Bad Cop?

Myra: Sehr!

Jennie: Linh muss um Geburtstage und Ferien betteln. „Es ist unser Jahrestag, bitte haltet den frei“.

Stacey: Wir müssen sehr langfristig planen, wann wir eine Pause machen können, im Sinne von, Leute ich möchte gerne im Januar nach Mexiko reisen.

Myra: Immer wenn es um die Planung geht, schauen wir welche Tage freigehalten werden sollten. Es sei denn es kommt irgendwas sehr verlockendes rein. Dann sprechen wir nochmal darüber.

Also könnt ihr davon leben?

Alle: Nein!

Linh: Noch nicht. Ich habe das Glück einen Job zu haben, ich rechne aber damit jederzeit gefeuert zu werden. Ich habe mit meiner Chefin darüber geredet und sie sagte es könnte zum Problem werden, und das verstehe ich. Es wird mich nicht überraschen, aber ich werde sicherlich nicht selber kündigen. Ihr müsst mich schon feuern (lacht).

Jennie: Wir haben uns an Silvester getroffen und besprochen, wo die Reise hingehen soll. Wir haben beschlossen zu versuchen die Band weiter zu pushen. Alle haben mit ihren Liebsten darüber gesprochen, dass wir oft weg sein werden, vielleicht unsere Jobs verlieren, etc.

Stacey: Unsere Ehemänner und Freunde unterstützen uns da auch total. Natürlich sind sie auch traurig uns weniger oft zu sehen.

Ihr müsst also doch bald weitere Liebeslieder schreiben, obwohl ihr euch dagegen ausgesprochen hattet?

Stacey (lacht): Diese Erfahrung kann man als Band nicht häufig machen. Wenn wir jetzt nicht alles auf eine Karte setzen, werden wir es nachher bereuen.

Das Album beginnt ja mit einem sehr schnulzigen Liebeslied und das zweite Stück macht dann aber klar, dass Liebeslieder bescheuert sind – wie passt das zusammen?

Stacey (lacht): Fat Mike hat die Reihenfolge bestimmt. Er hat das sicher deshalb gemacht, weil es so am meisten Sinn ergibt. Das sagt auch viel über uns beide aus, dass wir gleich und doch verschieden sind.

Jennie: Ja, ich habe den schnulzigsten Song auf der Platte geschrieben, aber auch die gemeinsten.

Stacey: Es funktioniert ja so: Hier ist unsere Schnulze, dann das Statement, dass wir sowas nicht mehr schreiben werden, und der Rest des Albums geht ja dann nicht mehr in die Richtung. Mike hat das schlau angeordnet. Da habe ich vorher nie drüber nachgedacht.

Jennie, du hast ja auch das Artwork gemacht. Sonst machst du Wandgemälde, ist das Original auch riesig?

Jennie: Für die neue Platte wäre das toll. Linh kam rüber, hat sich in Pose geworfen, einen Badeanzug angezogen. Es ist etwas größer als lebensgroß. Das Geheimnis ist es immer größer zu malen als es gedruckt werden soll. Dann denken die Leute du bist genial. Andersrum wäre es fatal. Ich mache auch nicht nur Wandgemälde, ich zeichne auch Visitenkarten, habe Handpuppen für einen Dokumentarfilm gemacht.

Myra: Sie macht auch supercoole Dioramen.

Jennie: Alles wofür du mich bezahlst…

Myra: Sie ist auch Kekesbäckerin, Kuchenbäckerin, sie macht Schilder.

Jennie: Mein Leben wäre vorbei, wenn mir ein Hai die Hände abbeißen würde.

Mein Lieblingsstück des Album ist „I’m alright“, auch weil es keine offene Diskussion über psychische Erkrankungen in der Punkszene gibt. Wie erlebt ihr das?

Jennie: Die Community, in der wir uns bewegen, ist da sehr unterstützend, großartig, divers, es ist eine Utopie. Es würde mich sehr wundern, wenn sich da irgendwer mal als Arsch entpuppen würde.  Alle kümmern sich umeinander. Die Schwester eines Freundes ist an Krebs gestorben und er spielt deshalb nicht mehr oft mit seiner Band, aber immer wenn es dann passiert kommen auch alle um ihn wissen zu lassen, dass wir ihn lieben.

Myra: Jeder der ein psychisches Problem hat, sei es Depressionen oder was anderes, wird aufgefangen. Das hat allein schon therapeutische Wirkung so ein Umfeld zu haben.

Stacey: Ich hatte sehr starke Depressionen und hatte Panikattacken und Ängste und habe mir auch selber gesagt, dass ich das bin und habe, und damit habe ich es nur verstärkt. Ich war nicht bereit, die Verantwortung zu übernehmen, für das was ich tat, und hatte das Gefühl mir wird etwas getan. Ich habe das aber selber hergestellt. Als ich meinen Teil zu „I’m alright“ beigesteuert habe, ging es darum, dass ich es nicht bin. Am Ende des Stückes heißt es aber – ich bin ok (singt) – und das ist auch eine selbsterfüllende Prophezeiung. Wir werden irgendwann alle okay sein, egal was wir durchmachen.

Jennie: Und man sucht es sich auch ein bisschen aus. Das ist meine Meinung, wenn das auch unsensibel rüberkommen mag.

Stacey: Du hast vollkommen recht! Ich kann das sagen aus der Position der kranken Person. Ich habe mich gehen lassen, das war meine Entscheidung. Ich habe die schrecklichen Dinge definieren lassen, wer ich bin, habe mit der Scheiße gelebt und es auch romantisiert. Aber eine kranke Künstlerin zu sein ist nicht erstrebenswert.

Myra: Das Bukowski-Syndrom.

Stacey: Dadurch, dass ich meine Medikamente abgesetzt habe, habe ich herausgefunden, dass ich nicht depressiv sein muss, oder Ängste haben muss. Es war eine faule Ausrede. In unserer Gesellschaft bekommt jeder ein Label und man gewöhnt sich dran. Es ist ein Lebensweg, in den man irgendwie verknallt ist. „Ich muss gar nichts machen, denn ich habe Depressionen“, oder man geht doch raus um sich dort als depressiv zu inszenieren damit sich Leute um einen kümmern und das ist alles totaler Quatsch. Meine Mutter dachte auch sie hätte Ängste, und ich habe ihr gesagt, das das Einbildung war, als ich mich davon löste.

Es ist ja auch eine Riesenindustrie…

Stacey: In den USA ist es ekelerregend. Die Ärzte haben mir alles verschrieben um das ich gebeten habe, auch die hochdosierten Sachen, und das war schlichtweg falsch. Diese Leute erschaffen Drogenabhängige in unserem Land. Wie gesagt, für mich sind Ängste und Depressionen eine faule Ausrede – ich sage das so, und du kannst das so drucken.

Myra: Immerhin haben wir die Musik um das alles auszudrücken. Das kann dich heilen.

Stacey: Es hat mein Leben gerettet.

Myra: Nachdem das Album erschienen war hat uns jemand geschrieben, dass das Lied sein Leben gerettet hat. Er war entschlossen sich umzubringen. Als ich das gelesen habe, hat es mich sehr bewegt. Bleibt stark, liebt euch selbst und verletzt euch nicht selbst. Sachen können sich ändern, lebt euer Leben. Wir haben alle beschissene Sachen erlebt, aber wir haben durchgeatmet und weiter gemacht. Ich kann nicht für andere Leute sprechen aber: Bring dich nicht um!

Stacey: Ich war selbstmordgefährdet, fast mein ganzes Leben lang und habe bescheuerte Sachen gemacht, auf die ich nicht stolz bin. Ich weiß also wie es sich anfühlt auf der anderen Seite zu stehen.

Ihr habt einen Song über Inglewood geschrieben – was ist das für ein Viertel von L.A?

Stacey (lacht): Es gibt da nicht sehr viele Punks, aber viele Musiker und Künstler. Das Lied ist eine Beobachtung, die ich gemacht habe, was wirklich um mich herum geschieht.  Es ist alles wahr.

Myra: Ich lebe in San Pedro und das ist das Mekka des Punk in L.A. – Mike Watt ist von dort. Viele großartige Band haben dort schon gespielt. Vieles davon hat sich verändert. Es gibt immer noch viele Bands. Die meisten Punks sind jetzt alt, weggezogen oder tot. Es gibt viele Neuankömmlinge – früher kannte jeder jeden. Jedes Jahr gibt es ein Festival und da kommen dann auch alle. Es gibt immer noch viele Punk Clubs. Es gibt die Koos Studios wo alle Bands proben. Es ist eine arme Stadt. Ich bin stolz dort geboren und aufgewachsen zu sein, dort meine erste Punk Show gesehen zu haben. Früher konnte man nachts seine Türen offen lassen. Jetzt gibt es drogenabhängige Diebe, Penner, Gangster und all das. Ich fühle mich immer noch sicher dort, aber manche Teile sind gefährlich. Es gibt gerade ein großes Obdachlosenproblem dort.

Jennie: Viele Leute werden in San Pedro ausgesetzt, weil es schwer ist dort wieder herauszukommen. Es gibt nur eine Brücke und über die kann man nicht laufen. Im Hafengebiet gibt es viele Zeltstädte.

Myra: Das ist in den letzten Jahren überall aufgekommen, selbst in San Francisco. Es ist cool geworden in einem Zelt zu wohnen. Die Leute sollen sich lieber mal Jobs suchen.

Jennie: Myra! Es gibt da auch viele Leute mit psychischen Problemen.

Myra: Das ist ja mein Punkt. Diese Leute leben auch alle auf der Straße.

Stacey: In unserem Land ist es seit 40 Jahren die Regel, dass wenn du als Kind irgendwie auffällig bist, sofort Medikamente verschrieben bekommst. Das macht einen kaputt! Auch wenn ich vorher gesagt habe, dass Depressionen und Ängste bescheuert sind, ist es was anderes, wenn das durch Medikamente ausgelöst wurde. Die verändern die Chemie deines Gehirns und produzieren kranke Menschen.

Myra: Die gibt es sicherlich, aber es gibt auch Leute, die es ausnutzen. Ich lese alles über meine Stadt und meine Gemeinde, ich bin sehr engagiert. Viele dieser Leute wurden angesprochen, ihnen wurde Hilfe angeboten eine Unterkunft zu finden und einen Job, auf eigenen Beinen zu stehen und viele lehnen das ab und das finde ich scheiße. Diese Leute leben lieber in Zelten auf der Straße. Viele spielen die „ich-bin-krank-Karte“ aus. Bei uns leben Kinder auf der Straße deren Eltern Geld haben.  Sie haben keine Probleme. Das Problem ist, dass sie Drogen nehmen und gerne auf der Straße leben.

Jennie: Ich glaube aber schon, dass unsere Einrichtungen besser sein könnten. Als ich in Michigan gewohnt habe gab es eine riesige Einrichtung für Leute mit psychischen Problemen, wo Leute Hilfe bekommen haben, und dann wurde es geschlossen, weil der Staat es nicht mehr finanzieren wollte. Danach hatten wir dann ein Obdachlosenproblem – es gab einen direkten Zusammenhang.

Stacey: Die Situation ist wirklich schlimm, weil die Regierung all die Leute, die wir gegen ihren Willen eingesperrt haben, oder die Hilfe brauchen wurden plötzlich unter Reagan alleine gelassen hat.

Jennie: Niemand will sich mehr um diese Leute kümmern.

Stacey: Wir könnten da ewig drüber sprechen, es ist wie die Schlange, die sich ihren Schwanz abbeißt.

In Europa sind im Moment ja alle besorgt, wie die Wahlen in den USA ausgehen werden. Die meisten Amis meinen aber Trump müsse man nicht ernst nehmen.

Jennie: Es wird sensationalisiert. Trump tut das mit allem. Es gibt Leute die nie wählen und keine Meinung haben, die sich von diesem Idioten angesprochen fühlen. Er zeigt den Leuten, dass sie auch einfach leidenschaftlich drauf los labern können. Alle Menschen die ich kenne, die immer wählen gehen, selbst die Konservativen, würden nie für ihn stimmen, auch wenn sie die anderen Optionen auch nicht berauschend finden. Wir leben natürlich an den Rändern des Landes, in der Mitte sieht es ganz anders aus. Die Wahlmodalitäten sind sehr verwirrend und komisch aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er unser Präsident wird. Das wäre ja ein Schritt zurück.

Stacey: Der Schritt zurück wurde aber auch gemacht, als Reagan Präsident wurde. Und George Bush Junior – zweimal.

Jennie: Aber Rassismus, da kommt man doch nicht hin zurück? Trump ist Rassist, man hat nicht erst einen schwarzen Präsidenten und dann einen Rassisten.

Stacey: Okay, aber dann gibt es all die Demonstrationen, bei denen Schwarze Trump-Kundgebungen attackieren und ihnen wird entgegengeschleudert, sie sollen zurück nach Afrika gehen.

Jennie: Aber es gibt nicht genügend Rassisten in den USA um Trump gewinnen zu lassen. So weiß ist Amerika nicht, und nicht alle Weißen sind Rassisten. Das passiert nicht!

Hoffen wir mal, dass du Recht behältst. Eine Frage habe ich noch. Ihr sagt oft, ihr seid Feministinnen, aber hasst keine Männern. Für mich klingt das immer wie, wenn Hip-Hop-Typen sagen, ich liebe diesen Typen, No Homo – warum findet ihr diesen Zusatz notwendig?

Jennie: Ich stimme dir da total zu, wir sollten das nie wieder sagen.

Stacey: Viele Leute verstehen den Feminismus falsch. Es hat nichts damit zu tun dominieren zu wollen, sondern es geht um Gleichheit. Viele ungebildete Leute verstehen das aber nicht.

Myra: Und das wollen wir eben klarstellen.

Jennie: Sollten wir aber nicht!

Ich habe mich gefragt, ob das mit eurer engen Verbindung zu NOFX zu tun hat. Sie haben ein Stück über Kathleen Hanna geschrieben, wo es darum geht, dass sie die Welt ändern will, indem sie Männer hasst (was nicht stimmt).

Jennie: Den Song kenne ich glaube ich nicht. Nicht jeder in dieser Band beschäftigt sich mit Feminismus. Das meine ich nicht böse, aber so ist es eben.

Stacey: Ich zum Beispiel nicht.

Jennie: Ich schon, und ich bin auch ein Kontrollfreak und sage Typen, dass sie weniger Müll reden sollen. Aber da spreche ich dann nicht für uns alle.

Myra: Uns sind einige dieser Sachen sehr wichtig. Manche von uns sind passiv-aggressiv. Ich habe kein Problem mit Feminismus. Wir werden ständig mit Müll konfrontiert. Es gab mal einen Artikel über mich in einem Schlagzeugmagazin für Frauen und die Leute fragten mich, warum es um Frauen gehen muss. Und ich habe gesagt: Fick dich, weil Frauen in solchen Magazinen sonst nie erwähnt werden. Das heißt nicht, dass ich was gegen Männer habe, dass ich da mitmache. Das hat mit Feminismus nichts zu tun, und sollte nicht dazu gemacht werden. Die Leute verstehen immer alles falsch. Das ist ein Problem der sozialen Medien, dass die Leute da den Feminismus nicht verstehen.

Jennie: Im laufe diese Jahres hatte ich so viele Scheißbegegnungen, dass ich mir geschworen habe nie mehr zu schweigen, wenn jemand scheiße erzählt. Früher habe ich mir gedacht, du bist ein Idiot aber ich werde dich nicht ändern können und habe da auch keine Lust drauf. Ich gehe jetzt. Das mache ich nicht mehr. Seitdem hatte ich tausende Gespräche mit Leuten die sagen, sie seien keine Feministinnen, und ich sage dann: ich schon! Du solltest das nie mehr sagen, denn du bist auch eine Feministin. Es sei denn du glaubst tatsächlich, dass Frauen weniger wert sind. Aber das glaubst du ja nicht!

Stacey: Was wir hier als Frauen in einer Band machen ist total feministisch. Wir machen etwas, das viele Frauen wollen, vor dem sie aber Angst haben. Wir sind in einer männlich-dominierten Szene unterwegs und deswegen automatisch Feministinnen. Ich lese aber nichts darüber.

Jennie: Das sollte man aber niemanden vorwerfen. Es geht ja darum, wie man sein Leben lebt. Ich habe auch keinen Abschluss als Frauenwissenschaftlerin, aber ich versuche am Ball zu bleiben, weil sich der Dialog ständig entwickelt und man bestimmte Sachen mittlerweile anders sieht und sagt. Man braucht da schon einen RSS-Feed um mitzukommen. Ich gebe mir Mühe und führe ein offenes Gespräch mit anderen darüber. Ich will mich nicht für etwas entschuldigen müssen, was ich sage, was mir wichtig ist, im blöden Internet, weil andere es doof finden.

Stacey: Blag von den Dwarves wurde dazu interviewt, ob ich Feministin sei und er sagte: Klar, schau Dir an, wie sie ihr leben lebt. Mehr Männer haben zu mir aufgesehen, für das was ich tue, als mich zu unterdrücken.

Myra: Ja, weil du direkt bist. In deiner Musik, in deinem Verhalten. Ich unterstütze alle Sachen, die von Frauen kommen und für Frauen sind. Ich bin Pro-Choice und werde es immer sein. Ich bin für Frauenrechte. Wir waren gestern in Hamburg und sie haben uns gesagt, dass wir als Frauen nicht in eine bestimmte Gegend gehen durften. Ich war total entgeistert. Es gibt Länder und Religionen, die Frauen unterdrücken. Frauen können sich da nicht zeigen, sich nicht äußern, das ist doch verrückt. Ich wäre dazu nicht in der Lage. In manchen Ländern wird es keine Frauenbands geben, in unserem schon. Wir bekommen aber trotzdem total viel Scheiße ab.

Stacey: Was denn?

Jennie: Bei jedem Konzert, das wir je gespielt haben: Normalerweise hasse ich Frauenbands, aber ihr wart cool. Fick dich, ich muss mir das nicht anhören.

Myra: Erinnerst du dich noch an den Typen, der uns fragte, ob unsere Füße stinken würden. Er meinte er würde das alle Bands fragen und nur die Frauenbands würden sich drüber aufregen – was ist das für ein Müll? Viele Leute schreiben uns merkwürdige Nachrichten im Internet und beleidigen uns. Man kann sie bitten aufzuhören und sie machen es einfach nicht. Ich antworte einfach nicht mehr. Aber das heißt nicht, dass wir Männer hassen.

Stacey: Ich liebe Männer.

Jennie: Ich hasse Männer – Jennie Cotterill, das kannst du so abdrucken!

Myra: Du hast Männer?

Jennie: Ja, tue ich, weil sie über nichts nachdenken. Es gibt Männer hier, die gelernt haben, sich anders zu verhalten. Es gibt Verbündete.

Myra: Du kannst doch nicht sagen, dass du Männer hast.

Jennie: Doch! Myra, lass mich mal ausreden. Ich hasse nicht alle Männer, aber ich hasse das Patriarchat. Ich hasse Leute, die Frauen nicht die Hand geben wollen. Das macht mich unglaublich wütend! Bist du dir sicher, dass du nicht wissen musst, wer ich bin? Du weißt, das ich nicht die Person bin, nach der du suchst? Das ich dies oder das nicht tun kann?

Myra: Das kann ich nach vollziehen.

Jennie: Du hast eine Schwester und eine Mutter und müsstest wissen, das Geschlecht bescheuert ist. Und dann hasse ich dich auch nicht, aber ich hasse das Patriarchat.

Stacey: Wir haben alle Mütter, die etwas aus ihrem Leben gemacht haben.

Jennie: Unsere Mütter wurden aber auch wie Dreck behandelt, nur weil sie 30 Jahre vor uns geboren wurden und eine Vagina haben.

Stacey: Ich habe meine Mutter dazu nie befragt.

Jennie: Was wir gerade tun wäre für keine unserer Mütter denkbar gewesen. Wenn wir in eine Zeitmaschine steigen würden, 30 Jahre zurück, würde keine unserer Mütter hier sitzen!

 

Alva Dittrich

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