März 17th, 2007

AVAIL (#73, 12-1998)

Posted in interview by andreas

The Good Ol` Boys On The Road

Avail haben das Feuer im Arsch. Und auch wenn man mit der Zeit natürlich abgeklärter wird: „4 A.M. Friday` (die dritte Avail-Platte) gibt mir jedes mal den Kick. Zwar machen sie „bloss` Rock mit „ner Prise Hardcore, aber das Rad wird in diesem Jahrzehnt sowieso nicht neu erfunden werden. Und wenn „Retro` schon das Zauberwort der späten 90er ist, dann bin ich schon froh, dass es zu dämlichen Pausenclowns wie den Guano Apes noch Alternativen gibt.

Nun hatte ich allerdings den Fehler gemacht, hinter dieser unbändigen Energie der Musik auch eine ähnlich drängende Motivation zu vermuten, im Sinne von: Wer sich so die Kehle „rausbrüllt, der hat auch guten Grund dazu und möchte sich irgendwie anderen Leuten so verständlich machen. Doch weit gefehlt ! Dass Musiker auch nicht mehr wissen als der Rest, ist mir schon lange klar.

Dass sie aber aus Prinzip keine Idee neben der Rolle als Unterhalter haben wollen, war mir in diesen Kreisen schon ziemlich neu. Doch dazu im Verlauf des Interviews mehr, ich will ja nicht alles vorwegnehmen. Damit hier aber kein völlig falsches Bild von der Band entsteht, noch ein paar Infos:

Avail haben lange Zeit in einem gemeinsamen Haus in Richmond gelebt und von da aus wohl schon mehr getourt als der Weihnachtsmann. Sie stehen in dem Ruf, eine wirklich intensive Liveband zu sein und achten sehr darauf, dass niemand für das Konzert hungern muss. Da sie das mit den niedrigen Eintrittspreisen wirklich ernst nehmen, haben sie schon eine Menge von Tourangeboten abgelehnt.

Nur mit Gwar sind sie mal bei 10$ pro Abend angekommen, aber das erscheint angesichts des theatermässigen Aufwandes einer Gwar-Show nicht weiter verwunderlich. Avail haben in Richmond viele Aktionen mit Food-not-bombs losgetreten. In Amerika sind sie mittlerweile relativ gross und ziehen schon mal 1000 Leute pro Show. Das Interview fand am 19.9. im AJZ Bielefeld statt und Avail waren kurz vor dem Ende ihrer Europa-Tour. Bis auf Cheerleader und Quasselstrippe Beau Beau, der übrigens festes Bandmitglied ist, wirkten alle auch dementsprechend abgekämpft.

Dramatis Personae

Marco – Winfried Wissensdurst; Dramaturg, der die Darsteller nicht so recht in sein Stück eingefügt kriegt

BB: Beau Beau (Avail, Cheerleader) – Richard Redefluss; Hauptdarsteller und Geist, der stets verneint

J: Joe Banks (Avail, Gitarre) – Michael Maulfaul; Nebenrolle

E: Erik Larson (Avail, Drums) – Kuno Keinsterbenswörtchen; Kulisse

***

Welche Art von Interview-Fragen stinken Euch am meisten an?

BB: Na ja, die Standard Fragen wie „Was haltet Ihr von Veganismus?“, „Was haltet Ihr von Straight Edge?“…. „Wo liegen Eure religiösen überzeugungen?“ ….solche Fragen… „Wie lange seit Ihr schon zusammen ?“

Religion?

BB: Es ist eine von diesen Fragen, welche Leute häufig stellen. Ich weiss nicht warum, aber das kommt eben häufig mit so Sachen wie… na ja, Vegetarier sein ist kontrovers, Straight Edge zu sein ist auch kontrovers, ich schätze, mit Religion ist es ähnlich.

O.K. Ich habe hier einen Artikel aus einem lokalen Stadtmagazin (Ultimo für NW`ler): „Da sage noch einer, Punkrocker hätten keine Ahnung von guter Musik. Tim Barry, der Sänger von Avail hört am liebsten die Lieder von Woody Guthrie über Tramps und Güterzüge. Auch in anderen Bereichen unterscheidet sich die Band aus Richmond Virginia vom Rest: Sie haben eine Eintänzerin, welche die Kids auch zwischen den Liedern bei Laune hält. Entertainment wird bei Avail sowieso ganz grossgeschrieben. Deswegen wird ihr frisch-fröhlicher Gute-Laune-Punkrock auch besonders von den ganz jungen gehört.“ Stehen Avail für fröhlichen Spasspunk?

BB: Aahhh, ich glaube nicht. Aber wenn das so verstanden wird, ist das vollkommen okay. Ich glaube, wir haben bei Liveshows „ne Menge Spass aber versuchen nicht unbedingt, die fröhliche Punkrockband zu sein. Ich schätze man muss ein paar von den Texten lesen, um für sich was anderes daraus zu ziehen.

Hört sich nach dem fröhlichen Avail-Zirkus an, wo Mutti und Vati ihre Kinder abgeben können.

BB: Das ist „ne gute Sache, ich meine wenn…

J: …wenn`s Dich glücklich macht!

BB: …wenn`s Dich glücklich macht und die Eltern Ihre Kinder kommen lassen, um Avail und vielleicht noch „ne andere Band zu sehen, bekommen sie mal was anderes geboten. Dann interessieren sie sich vielleicht noch für weitere Bands und rutschen so in die ganze Sache rein.

Ist Avail also definitiv Musik für die Jugend von heute ?

BB: Na ja, ich glaube, Avail machen einfach Musik für Leute. Ich glaube nicht, dass es da demographische Besonderheiten bei unserem Publikum gibt. Wir versuchen jedenfalls nicht, eine Straight Edge-, Pop- oder Funpunkband oder irgendwas anderes als Avail zu sein.

Nun gut. In der Tat lässt Euer Label über Euch auch folgendes verlauten: „Avail machen sich keine Gedanken um die Grenzen und Einschränkungen einer Punbrockband. Deshalb transzendieren sie das Genre, welches sie mit-wiederbelebt haben. Avail gehen weit über die Grenzen von Punkrock hinaus und sind in vielerlei Hinsicht der Klang der wahren, neuen, amerikanischen Folk-Musik.“ Verdammt dickes Lob von Eurem Label, was?

BB: Sollte es auch sein! Es interessiert uns nicht, was Punk ist und was nicht. Wir beabsichtigen nicht, eine Punkband zu sein. Wenn man uns unbedingt einordnen will, sehen wir vielleicht schon wie Punkkids aus, vielleicht aber auch nicht.

Avail verbindet also nichts mit der Punk/HC-Szene?

BB: Nein, überhaupt nicht. Die meisten von uns kommen zwar aus dieser Szene und sind ausserhalb von Avail immer noch Teil davon. Wie ich schon sagte: Wir versuchen nicht, „punk“ zu sein, wir versuchen nicht, den nächsten Bad Religion Song zu schreiben oder irgendwas anderes. Wir versuchen, den nächsten Avail Song zu schreiben und wenn das Punkrock-Folk-Zeug ist – cool. Ich kann uns jedenfalls nirgends einordnen, das sollen andere tun.

Versucht Ihr neben der Musik mit der Band einen Unterschied zu machen?

BB: Neben unserem Engagement für „Food not Bombs“ in Richmond versuchen wir während unserer Shows unsere grundlegende Anti-Rassismus Haltung „rüberzubringen. Ansonsten machen wir da nichts. Als Band versuchen wir überhaupt nicht, irgendeine politische Aussage zu machen.

Allenfalls „Unterstützt Eure lokale Szene.“ Ob ihr nun Musik macht und den Erlös Gruppen gebt, die Wohnungslose ernähren oder ob Ihr Shows organisiert oder besucht. Sonst nichts. Wir versuchen bestimmt nicht, das Sprachrohr des verdammten Punk zu sein. Von der Sorte gibt es wirklich genug andere Bands.

Ich glaube, dass zumindest in den 80ern schon die ästhetik von Punkbands dem Rest der Gesellschaft ins Gesicht gespuckt hat.

BB: Ich glaube, davon ist noch „ne Menge da. Ich denke, in den 80ern haben viele begriffen, dass ein Song wie „Smash the State“ überhaupt keinen Unterschied macht, wenn man nicht zuerst bei sich im kleinen was verändert. Man kann auf „Mach den Staat kaputt“ oder auf Anarchie stehen aber so wie man nicht dahinscheisst, wo man isst, muss man sich zuerst um den eigenen Hinterhof kümmern, bevor du Andere belästigst.

Es gab mal „ne Bewegung in Deutschland, die sagte „Das Private ist politisch.“. Siehst du das ähnlich?

BB: Hmm, so weit es um die Einstellung Anderer geht, ist mir das eigentlich ziemlich egal. Ich habe meine eigene Ideen, sowohl in Bezug auf Punk als auch in anderer Hinsicht so wie jeder andere in der Band. Wir versuchen nicht, irgendwem irgendwas aufzuzwingen oder das Sprachrohr für irgendeine Gruppe zu sein. Man kann sowieso immer nur für sich sprechen.

Als Band macht Ihr eine öffentliche Aussage, oder?

BB: Das glaube ich nicht.

J: Nein!

Aber Ihr habt doch Musik und Texte, die Ihr veröffentlicht.

J: Nein, wir sind Unterhalter. Ich gehe zu einer Band, um unterhalten zu werden. Ich gehe nicht dahin, damit irgendwer eine Botschaft in meinen Kopf stopft. Es geht nur um Unterhaltung.

BB: Das gute an dieser Band ist, dass jeder, der Texte schreibt, sie ausschliesslich für sich schreibt. Also haben alle Deutungen bei unseren Songs immer ein offenes Ende. Nimm` einen Song wie „August“ und was ursprünglich gemeint war als er geschrieben wurde. Wahrscheinlich bedeutet er für Dich etwas vollkommen anderes, vielleicht auch etwas politisches. Und das ist gut so, denn Avail als Band haben dann ihren Job getan, wenn du den Song magst und ihn so hörst, dass er Dir etwas bedeutet – ob das nun ein Lächeln oder was anderes ist, so wie die Gründung Deiner eigenen kommunistischen Partei.

Ihr wollt als Band aber sicher Leute erreichen, oder ?

BB: Es hört sich vielleicht blöd an, aber wir wollen in erster Linie Musik spielen. Live geht es uns vor allem darum, dass wir Spass haben. Und wenn der Funke so zum Publikum überspringt umso besser, dann beeinflussen wir uns gegenseitig und Alle haben mehr Spass. Niemand ist in der Band um irgendwelche politischen Ziele durchzusetzen oder um cool zu sein, wir wollen nur Musik machen und live spielen.

Rock als Musikrichtung ist berühmt dafür, sich selbst zu wiederholen. In den 80ern hat die aggressive Energie von Stromgitarren wie im Punk und HC einen Unterschied gemacht und Aufmerksamkeit erregt. Mittlerweile haben sich viele Leute an diese Art von Musik gewöhnt…

BB: Ja, viele haben sich daran gewöhnt. Aber Bands, die damals gross waren, sind mittlerweile noch viel grösser. Und Bands, die jetzt anfangen und gross sein werden, sind die Fans dieser Bands. Nimm zum Beispiel Green Day, die ich wirklich liebe…

J: Du hast gesagt, dass in den 80ern Bands einen Unterschied gemacht haben. Was für einen Unterschied meinst Du?

Ich meine nicht einen Unterschied in irgendeiner – wie auch immer gearteten – Absicht hinter der Musik. Aber als Minor Threat anfingen, war die Aggresivität dieser Musik so aufregend und neu, dass Leute einfach hinhören mussten. In den 90er hast Du johlende Biohazard Clones auf MTV und Punk ist in mancherlei Hinsicht zur blossen Musikkategorie verkommen.

BB: Das ist ja nun wirklich eine verdammt allgemeine Aussage. Bands wie die Circle Jerks, Black Flag und Minor Threat sind ja immer noch da. Es gibt immer noch Bands, die dasselbe machen oder es da aufnehmen und weiterentwickeln. Aber es ist heute leichter, eine Platte aufzunehmen, in`s Radio oder auf MTV zu kommen. Es ist leichter, darauf aufmerksam zu werden, also denken sie, es gibt nur ein paar Bands.

Und das ist vollkommen okay, ich bin auf ganz ähnliche Art auf Punkrock gekommen. Es hat mit Exploited angefangen und ich dachte, es gibt nicht viel mehr… dann kamen die English Dogs… wow… Broken Bones… wow. Es gab also das populäre Zeug und das weniger bekannte, welches – aus was für Gründen auch immer – vielleicht das bessere war. Ich glaube, der Kommerzialismus im Rock`n`Roll und in der Musik im allgemeinen ist dermassen verbreitet, dass Leute sowieso erst immer nur das Zeug an der Oberfläche wahrnehmen.

Nun gut, anderes Thema. Wenn Ihr heute sterben würdet, was hättet Ihr gerne auf Euren Grabsteinen?

BB: Na los, Joe

J: Ich kann mich jetzt ewig vor Euch Arschlöchern verstecken.

BB: (Nach langem überlegen) Ich glaube, nichts ausser meinem Namen..

Und was glaubt Ihr, würde wirklich darauf geschrieben stehen?

BB: Oh Gott, irgendein Klugscheisserspruch…. Joe Banks, liebender Vater und Unterhalter von Millionen…

J: Sie hätten aufhören sollen!

BB: Irgenwelche Scheisse, bei der irgendwer denkt, das würde ich wirklich mögen wie „Beau Beau, der Clown“.

E: „Can`t stop the Rock“ müsste darauf!

Tim hat mal gesagt, dass Ihr den Gedanken, aus dem Süden zu sein, mehr und mehr mögt. Will the South rise again?

BB: Nimm es wie du willst, aber besonders Leute, die nicht aus dem Süden sind, haben dieses üble Bild von den Rednecks im Kopf, die den ganzen Tag nur auf ihren Pferden mit den Ku-Klux-Klan Kapuzen herumreiten. In Wahrheit gibt es im Süden nur „nen ganzen Haufen wirklich netter Menschen. Alle sind total entspannt und jeder redet mit Dir. Dieses Bild vom Gentleman aus dem Süden wie in „Vom Winde verweht“….

Hahaha

BB: …hör auf zu lachen! Das hört sich komisch an, aber es stimmt. „Ne ganze Menge davon stimmt. Es gibt einen Haufen Punkbands dort. Natürlich geht da auch eine Menge Scheisse ab, wie überall eben. Die südliche Art zu leben ist aber ziemlich easygoing und entspannt.

Die Vorurteile sind also alle falsch?

BB: Ich würde sagen: 90% bestimmt.

J: Das sind Vorurrteile immer. Es gibt ja auch eine Menge über Deutsche.

BB: All diese negativen Assoziationen, die mit dem Süden verbunden werden, so im Sinne von rassistischen Rednecks…. es gibt überall Rassisten. Es gibt eine Menge Rednecks aus dem Süden. In Kalifornien passiert auch eine Menge Scheisse.

übrigens ist das Touren in Europa sehr viel härter als in Amerika. Besonders die Deutschen sind ausgesprochen unfreundlich. Wäre ich hier aufgewachsen, würde es mir sicher nichts ausmachen. So ist meine unmittelbare Reaktion aber, dass ich viele Deutsche anschreien und schlagen möchte. Ich muss mich eben ständig daran erinnern, dass ich nicht von hier komme und dass die Kulturen unterschiedlich sind.

So küssen sich in Italien alle zur Begrüssung auf die Wangen und das ist komisch. „He, Moment mal, ich kenne dich doch überhaupt nicht.“ Aber das ist Teil der Kultur und da kann man was lernen. Aber aus irgendeinem Grund halten alle Europäer amerikanische Bands für die Politik Amerikas verantwortlich. So regen sich wirklich viele Leute uns gegenüber über McDonalds auf. Das ist okay für mich, aber was habe ich damit zu tun? Besonders Deutschland scheint mir das ernsteste und spassfeindlichste Land auf diesem Kontinent überhaupt zu sein. Dabei sollten gerade Deutsche völlig albern sein, da hier so lange so viel Scheisse abgegangen ist, dass irgendwann alles egal sein müsste.

Deutschland ist wirklich ziemliche Grütze…

BB: Ich würde das sicher nicht über mein eigenes Heimatland sagen. Ich mag meine Heimat sehr und ich bin kein grosser Freund von Leuten, die sagen: „Ich komme aus Japan und finde Japan scheisse.“ Letztlich ist es Deine Meinung und das ist mir egal.. Du tust, was Du willst und lässt mich machen, was ich will.

Ihr steht im Ruf, eine wirklich intensive Liveband zu sein. Wenn man Eure ausgedehnten Tourpläne betrachtet, sieht das schon ziemlich nach Arbeit aus.

BB: Nur das Abhängen ist Arbeit und manchmal nervt es, sich abends auf die Bühne „raufzuquälen. Wenn wir dann aber loslegen, ist alles für 45 bis 60 Minuten vergessen. Mal merkst Du, dass das Publikum mitzieht und gibst dann noch mal alles, manchmal muss dieser Funke aber auch innerhalb der Band entstehen.

Besonders in besetzten Häusern ist das so. Ich weiss, dass es in Europa in besetzten Häusern diese Tradition gibt, dass man auf ein Bier dort hingeht und wenn dann noch eine Band spielt, so ist das eine nette „Dreingabe, aber nicht mehr. Also stehen wir da vor 60-70 gelangweilt guckenden Leuten, sehen uns gegenseitig an und holen uns da die Energie her. Das Publikum ist dann meist ziemlich verblüfft.

Die Szene in Richmond ist bekannt dafür, dieser Tage sehr aktiv und lebendig zu sein.

BB: Ja, es gibt dort eine Menge Bands wie die Young Pioneers, White Cross, Kepone, Four Walls Falling, Death Piggy. Wir lieben Richmond und machen daraus ganz gewiss kein Geheimnis.

Was ist mit dem auf-Güterzüge-Springen? Macht das nur Tim oder ist das der übliche Richmond-Ersatz für das Kino?

BB: Aus der Band macht das nur Tim und der ist wirklich in der Sache „drin, aber ansonsten gibt es einen verdammt grossen Haufen von Leuten, die auf Güterzüge springen. Ich würde das nicht machen, meine Beine und Knie sind viel zu kaputt dafür. Ich liebe Modellautos, das ist viel sicherer.

Ich bin sowieso bloss ein grosses Kind, mein Leben besteht aus Spielzeug. Der grösste Unterschied zu früher liegt darin, dass ich nun 27 bin, Geld habe und wirklich teures Spielzeug kaufen kann. Wenn andere meinen Fernseher sehen, denken sie oft: „Was muss der für „ne Menge Kohle mit der Band verdienen, dass er sich so ein Riesending leisten kann.“ Aber für mich ist es bloss ein grosses Spielzeug…

Tim hat mal gesagt: „Wir sind weder Anarchisten oder Sozialisten noch Demokraten oder Republikaner aber wir haben einige wirklich wichtige Grundsätze.“

BB: Im Grunde genommen sind wir alle Individualisten und es gibt da keine bestimmte Meinung in der Band als Ganzes. Der kleinste gemeinsame Nenner ist vielleicht, dass wir alle Richmond lieben und eine Menge für unsere Szene dort tun.

Eure Texte sind im grossen und ganzen sehr persönlich gehalten mit einigen Ausnahmen. „Model“ oder „Nameless“ hingegen haben eine ziemlich klare Aussage…

BB: Nein, nicht wirklich. Tim schreibt alles sehr persönlich. In einem Song wie „Model“ könnte es zum Beispiel um seine Freundin gehen. Die einzigen Songs, von denen wir wirklich eindeutig sagen können, worum es geht, sind „Scuffletown“, „Nickelbridge“ und „Predictable“. Die sind ziemlich in`s Gesicht formuliert.

Vielleicht kann man „Model“ auch so verstehen, aber im Grunde ist mir das egal. Hmm, na ja wenn ich so drüber nachdenke, im Grunde ist das wohl noch einer der wenigen Texte, unter dem wir als Band alle etwas ähnliches verstehen.

Viele Eurer Texte handeln von Einsamkeit und dem Blick nach innen. Ist das ein Ergebnis Eurer Country-Wurzeln?

BB: Das glaube ich schon. Ausserdem glaube ich, Tim versucht gerade bei schnellen, fröhlichen Liedern eher melancholische Texte zu schreiben.

Ihr hattet ein Angebot von Columbia, das Ihr abgelehnt habt?

BB: Wir hatten mittlerweile von fast jedem Major und jedem grossen Indie Label ein Angebot. Bis jetzt haben wir alle abgelehnt. Allerdings würde ich heute nicht sagen, dass wir morgen noch das gleiche machen würden. Wir legen uns da überhaupt nicht fest und halten alle Möglichkeiten offen. übrigens haben wir auch viele Tourangebote abgelehnt. Die Misfits und die Bruisers zum Beispiel. Die Misfits wollten uns bei einem Eintrittspreis von 12$ immerhin schlanke 100$ pro Abend geben, um unser Publikum mitzunehmen.

Allein unser tägliches Essen kostet 140$. Mittlerweile sind sie zwar Scheisse, aber ich hätte schon gerne wenigstens ein Mal mit ihnen gespielt. Wenn wir in Amerika sind, gehen wir mit „Suicide Machine“ auf Tour. Die sind „ne Majorband, aber das ist mir scheissegal. über Epitaph zum Beispiel schimpfen alle. Ich habe meine erste Platte im Supermarkt gekauft und meine letzte war Frank Sinatra. You can`t beat ol‘ blue eyes. Und ich würde im Moment nicht einmal sagen, dass wir morgen nicht mit Ozzy Osbourne touren.

Ich habe Shelter interviewt als die gerade „Mantra“ veröffentlicht hatten und erinnere mich noch recht gut an all` die Standardphrasen, so im Sinne von „Nichts wird sich ändern.“, „Wir erreichen so einfach mehr Leute.“ und so weiter. Gerade habe ich gehört, dass sie gedroppt wurden.

BB: Bei einem Major zu unterschreiben finde ich nun wirklich nicht schlecht. Da soll doch jeder machen, was er will.

Magst du die „Better Than a Thousand“ – Scheibe?

BB: Na ja, wenn ich ehrlich sein soll, habe ich sie gekauft. Aber nur, weil ein Freund von mir in der Band ist. Ansonsten glaube ich, Ray Cappo könnte eine Platte mit Furzgeräuschen veröffentlichen und das Ding würde sich tortzdem wie warme Semmeln verkaufen.

Ich habe gehört, dass Ihr bei Konzerten schon öfter Stress mit Nazis gehabt habt?

BB: Nicht wirklich. Für die Menge an Shows, die wir spielen, hält es sich in Grenzen. Ich hab bei unserer allerersten Tour in Florida allerdings mit dem Van einen Vorgarten ruiniert. Wir wollten in so einem Haus übernachten. Als wir ankamen, sahen wir überall White Power-Kram an den Wänden. Also assen wir das Catering, duschten alle und schissen in die Badewanne. Bevor die überhaupt merkten, was los war, sassen wir schon wieder im Van und fuhren quer über die Mülltonnen durch den Vorgarten auf die Strasse. Die Show ist natürlich ausgefallen.

Aber wir haben weder viele Prügeleien noch grosse Probleme mit Nazis auf unseren Konzerten. Es kommt vor, aber wir sind nicht die Polizei. Wir sollten für solche Sachen bei unseren Shows nicht verantwortlich gemacht werden, aber wenn sich da wer prügelt oder Nazis im Publikum sind und wir was dagegen tun können, fühle ich mich schon dafür verantwortlich. Nicht als Band. Aber ich als Person sehe schon zu, dass ich Faschisten so sehr nerve, dass sie von selbst gehen.

So ähnlich wie auf der „Live at the King`s Head“ ?

BB: Ja genau. Da waren ein paar deutsche Matrosen bei der Show und die „Sieg Heil“ten in der Gegend herum und hoben ihre Hände. Ich wusste da noch nicht, dass es Deutsche waren. Ich war lange Zeit selbst Skinhead. Das heisst ja noch lange nicht, dass man ein strohdoofer Bonehead ist. Na ja, in jedem Fall bin ich ein verdammter Klugscheisser und kann meine Klappe nicht halten. Also beschimpfte ich den einen Matrosen irgendwie und dem viel nichts besseres ein als mich „ne Tunte zu nennen.

Unsere Antwort darauf war dann eine a Capella Darbietung der Zeile „We`re queer, we`re here – get used to it.“. Das ganze Publikum machte mit. Den Nazis fielen die Kinnladen runter. Uns war klar, dass von deren Seite nicht mehr viel passieren würde. Also zogen wir alle Klamotten aus und spielten die Show zu Ende. Unglücklicherweise oder glücklicherweise wurden sie nach der Show übelst verhauen. Ich verdamme das nicht, aber ich unterstütze das auch nicht. Ich würde zwar niemandem vorschlagen, einen Nazi zu verhauen aber ich würde auch ganz gewiss niemanden daran hindern.

Bist du Veganer?

BB: Nee, aber ich bin Vegetarier aus Bequemlichkeit. Meine Freundin ist Vegetarierin und sie kocht. Ich koche nicht, also esse ich auch kein Fleisch. In Europa esse ich allerdings auch Fleisch. Ich will hier sicher nicht grossartig abnehmen oder gar krank werden.

Glaubst du, dass Veganer Oralsex bis zum Orgasmus haben dürfen?

BB: Ich schätze schon. Wahrscheinlich aber nur, wenn die andere Person auch Veganer/Veganerin ist. Ich habe gehört, dass das Ejakulat bei Veganern anders schmeckt. Der Geschmack hängt wohl von dem ab, was man isst. Ich habe dazu allerdings noch keine Kommentare bekommen, so wie: „Vielleicht solltest du nächstes Mal vorher Schokolade essen….“

Okay, du hast es geschafft. Schönen Dank für`s Interview.

BB: Ja, danke Dir.

***

Nun, zu Hause ist`s am schönsten, Unterhaltung ist überhaupt das Wichtigste und Nestbeschmutzen ist gar nicht gern gesehen. Texte sind so diffus, dass eh jeder was völlig anderes „drin sieht und jegliche weitere Kommunikation darüber keinen Sinn macht. Ach ja und Mutti ist natürlich die Beste.

Das hat der gute Beau Beau zwar nicht gesagt, hätte er aber bestimmt gerne. Dass ich für die Art von Bandverständnis die falschen Fragen gestellt habe, weiss ich selber. Aber auf dieses vollkommen austauschbare 08/15-Gespräch im Sinne von: „Erzählt mir von Eurer neuen Platte. “ und „Ist das deutsche Publikum wirklich so anders als das amerikanische?“ hatte ich keinen Bock.

Das anschliessende Konzert ging schon in Ordnung, konnte dem Ruf der unendlich intensiven Liveband aber auch nicht so recht genüge tun. Dafür wirkten die fünf doch schon zu tourmüde und dafür waren 45 Minütchen auch einfach zu kurz.

Falls jemand Avail erreichen möchte:

P.O. Box 4785, Richmond, Virginia

23220 USA

WWW.AVAIL-AVAIL.COM

Bbutler666@AOL.COM

Interview: Marco Schulze

Links (2015):
Wikipedia
Discogs

 

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