April 21st, 2010

ANTI-FLAG (#129, 04-2008)

Posted in interview by jörg

Pat Thetic, was sicherlich nicht sein richtiger Name ist, aber seiner Einschätzung, ein lausiger Schlagzeuger zu sein, Tribut zollt, kann mittlerweile sehr gut von der Musik leben, die Anti-Flag seit nunmehr 20 Jahren wiederaufbereiten. Mit The Bright Lights of America, ihrem zweiten Album auf Sony legen sie ihr bisher persönlichstes vor, dass zwar gleichermassen politische Slogans verwertet wie es die Vorgängeralben taten, aber mehr als sonst auch Einzelschicksale der Bandmitglieder behandelt.

Auch das Diktum „das Persönliche ist politisch“ ist sicherlich klischeebehaftet und teilweise kitschig, aber während des Konzerts in Köln beeindrucken mich Justins Aufforderungen, man soll entgegen der wachsenden Apathie doch seinem Nachbarn einmal die Hand schütteln weit mehr als der Aufruf George W. Bush vor ein Kriegstribunal zu bekommen. Es war erwartbar, dass die Ansagen zwischen den Lieder nicht unbedingt weitreichend sein konnten, aber es nicht zu versuchen wäre wesentlich kritisierbarer.

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Wo also ansetzen in der ewigen Debatte um die Maschinerie Major Label (=multinationaler Grosskonzern) und wie sie die Botschaft ihrer Künstler allein durch ihre Struktur entleert? Ist es nicht ironisch eine versiegelte CD mit Wasserzeichen zu verschicken, wo wir doch alle gleichen Zugang zu dem potentiell revolutionären Produkt haben sollten? Warum, frage ich mich, bekommt man mit der Eintrittskarte für dieses Konzert 2 Rabatt beim Kauf des Albums über Amazon?

Wo kann und sollte der Künstler seiner eigenen Integrität willens eingreifen und was ist nebensächliche Labelarbeit die man nicht skeptisch beäugen muss? Antworten gab’s darauf nicht wirklich, aber festhalten muss ich trotzdem, dass Pat als Person aufrichtig rüberkommt, aber auch das muss jeder selber entscheiden…

Nach einigem Vorgeplänkel über meine Person kommen wir – ist ja auch nicht so weit hergeholt – auf den Feminismus zu sprechen. Pat fällt positiv auf, dass ich eine Frau bin und meint so lange die Gesellschaft eine Geschlechterungleichheit hervorruft und bestätigt es keineswegs verwerflich sei umgekehrt Frauen besonders zu unterstützen um die sonstige schlechtere Behandlung damit quasi auszugleichen.

Generell scheint er mehr darin interessiert über meine Erfahrungen und Ideale zu sprechen als über seine, was mir schmeichelt und ihn noch sympathischer macht. Eine Masche? Der Mann der sich als Feminist outet ist nicht mehr angreifbar? Denkbar aber nicht meine Meinung. „Wir haben so viele Vorurteile über Frauen in der Musik, dass wir gar nicht wissen wie wir dagegen angehen sollen, weil sie wie eingebrannt sind. Wenn es eine Frauenband dann doch zum Erfolg schafft, wird ihnen vorgeworfen man fände sie nur toll weil sie eben aus Frauen bestehen. Und wenn sie scheisse sind, macht man es auch am Geschlecht fest. Ich bin auch ein beschissener Schlagzeuger, dass hat mit meinem Geschlecht nichts zu tun. Wir leben in einer männerdominierten Kultur und deswegen finde ich es gerade super, dass du diese Wände versuchst einzureissen, und über diese Themen sprichst. Wenn wir nicht darüber sprechen wird sich nie etwas daran ändern.“

Die Bescheidenheit die er an den Tag legt wird aber durchaus wieder relativiert denn „wer Talent hat kann den Stil anderer Schlagzeuger imitieren, wer wie ich kein Talent hat kann nur seinen eigenen Stil kreieren, und den Leuten scheint meiner zu gefallen. Wenn ich Unterricht nähme wäre das vielleicht sogar kontraproduktiv weil unsere Fans von mir erwarten so miserabel zu spielen, wie ich es nun mal tue.“ Interessanterweise sieht Tony Visconti, der Produzent des neuen Albums das Ganze etwas anders, wenn er davon spricht, gerne mit Anti-Flag gearbeitet zu haben, weil sie so talentiert seien.

Sein Einfluss auf den Sound des Albums ist laut Pat sehr gross aber nur in dem Masse das Anti-Flag selber gelangweilt waren den immer gleichen Sound mit zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug zu produzieren. „Nachdem #2s Schwester ermordet wurde wollten wir ein Album mit einer anderen Atmosphäre, die mehr Traurigkeit transportiert. Tony hat es geschafft das genau so umzusetzen wie wir es uns vorgestellt hatten, alleine hätten wir das nicht geschafft weil wir nicht die musikalischen Kenntnisse haben die er hat. Er kann eine Gitarrennote in eine Cellonote verwandeln.“

Es ist aber nicht nur die Traurigkeit, die das Album prägt sondern auch eine genuine Wut, die zum ersten Mal nicht durch ihre Polemik besticht sondern durch persönliche Relevanz. Wie schnell das kompliziert werden kann, zeigen die hochgradig ambivalenten Texte. So lässt Good & Ready andeuten, dass jeder bekommt was er verdient, eine Art jüngestes Gericht wird herraufbeschworen, Pat ist sich allerdings der Problematik und Ambivalenz solcher Phrasen bewusst. „Wir sind auf jeden Fall eine pazifistische Band aber das heisst nicht, dass wir keine Rachegelüste haben. Sobald sich die Gewalt aus deiner Vorstellung in deine Realität verirrt, schlägt sie fehl. Diese Frustration verarbeiten wir in unseren Stücken. Darüber hinaus geht es bei dem Lied auch um Tierversuche und darüber was passieren würde wenn die Tiere frei kämen und sich rächen könnten.“

Lustigerweise ist das jedoch das klassische Fleischfresserargument, dass wenn die Tiere an der Macht wären sie uns genauso schlecht behandeln würden wie wir sie.

Die Grundstimmung auf The Bright Lights of America ist die einer Kultur, die die Menschen, die in ihr Leben, unglücklich und unzufrieden macht und die deshalb sozialen Krankheiten wie Anorexie oder Depression zum Opfer fallen. Sicherlich lässt sich dieses Phänomen auf den gesamten westlichen Kulturkreis ausweiten, jedoch sind die USA zum Beispiel eines der wenigen Länder in dem Fernsehwerbung für Medikamente wie Prozac läuft. Als studierter Psychologe hat Pat zu dieser Thematik eine fundierte, wenn auch geteilte Meinung. „Es ist so ähnlich wie mit dem Schlagzeugspielen, wenn du Stunden nimmst gibst du ein Teil deiner selbst ab. Medikamente, die dein chemisches Ungleichgewicht versuchen zu verbessern machen dich auch zu einer anderen Person, und das kann sowohl bedeuten dass du danach etwas weniger schlechte Seiten hast oder etwas weniger gute. Man muss aber sehen, dass es um diese chemische Zusammensetzung geht, von daher ergibt es schon Sinn diese Art von Krankheit auch mit chemischen Mitteln zu bekämpfen, man sollte davor keine Angst haben. Wenn man aber das Gefühl hat mit anderen Mitteln diese Krankheiten auffangen zu können und so durch’s Leben kommt, unterstütze ich das sehr. Die Mechanismen mit denen Mittel gegen Depression oder auch Impotenz vermarktet werden sind richtig ekelhaft, aber dennoch sind einige dieser Mittel sehr sinnvoll und hilfreich. Es ist schliesslich auch nicht einfach mit solchen Menschen zusammen zu leben oder zu interagieren, auch wenn natürlich auch kreatives Potenzial gerade hinter einer bipolaren Krankheit steht, dass oftmals sehr beeindruckend ist.“

Kommen wir aber zurück zu Sony, denn einfach damit umzugehen einem Konzern vertrauen zu müssen, den man hasst, ist es sicher nicht. Das sprichwörtliche trojanische Pferd, das das System von innen bekämpft, wird auch auf dem neuen Album metaphorisch heraufbeschworen. „Wir sind in einer Umgebung aufgewachsen in der Majorlabels mit dem Teufel gleichgesetzt wurden. Viele jüngere Leute sind gar nicht so zynisch was diese Strukturen angeht. Ich verstehe aber die Negativreaktionen, die wir bekommen, da es eine krasse Entscheidung für uns war. Die Auswirkungen für uns waren aber überwiegend positiv, mit ihrem Geld hinter unserer Stimme, damit wir mehr Leute erreichen können. Es ist aber keine noble Angelegenheit wie es das trojanische Pferd vermuten lässt, wir kämpfen immer noch gegen den Feind und zwar von aussen, BMG IST der Feind.“

Andererseits sind die Leute mit denen Anti-Flag notgedrungen kooperieren nicht der Feind sondern teilweise zu Freunden geworden und so wird es immer schwerer mit einem Schwarz-Weiss-Denken dem beizukommen. Innerhalb des Bösen also gibt es immer noch gute Menschen. „Wenn man sich auf einen Pakt mit dem Teufel einlässt wird man mit Druck konfrontiert, den man nicht erwartet, es ist ein innerer Kampf, viel mehr als es ein Kampf mit unserer Umgebung ist.“

Nun kann man sich diese abstossenden Strukturen aber auch zu Nutze machen z.B. bei ihrem an die Interviews anschliessendem Meet & Greet mit den Fans. Dort müssen sie zwar auch Autogramme geben, ein Akt von dem sie eigentlich nicht viel halten können, primär geht es aber darum, dass die Fans Konserven mitbringen, die dann einer Organisation, die versucht den Hunger in der Dritten Welt zu bekämpfen, übermittelt werden. Publictywirksam ist das allemal, aber ich wage zu bezweifeln, dass Anti-Flag so berechnend sind. „Es geht nicht darum, uns als Helden zu verehren, sondern dass uns eine Plattform gegeben wird auf der wir über Dinge sprechen können an die wir mit Leidenschaft glauben. Wir versuchen die Organisationen die wir unterstützen so auszusuchen, dass es diejenigen sind die im Mainstream noch kein Gehör gefunden haben.“

Etwas bedenklicher finde ich da schon die Kernaussage von „Go West“, dass man unentdecktes Land für sich nutzen kann und somit den US-amerikanischen Traum des Liberalismus und der Ausbreitung lebt. Unbegrenzte Möglichkeiten hin oder her, ist der Bundestaat Kalifornien, der als Utopie heraufbeschworen wird nicht nur der Inbegriff von massenorientierter Kulturindustrie (Hollywood) sondern auch der Vertreibung der indigenen Völker und der imperialistischen Arroganz der US-Amerikaner, was leider in keinster Weise im Liedtext herausgearbeitet wurde. „Der Song sagt man soll seine Freiheit suchen, es ist sehr romantisierend, stimmt, aber man sollte besser Justin dazu befragen. Wir sind mal zusammen quer durch die Staaten gefahren als wir 16-17 waren und ich denke, dass er diese Erfahrung versucht hat dort einzuarbeiten, aber so richtig verstehe ich den Song auch nicht.“

Die Gelegenheit mit Justin, der an dem Tag Geburtstag hatte, zu reden bekam ich nicht mehr aber ich wurde Zeuge des Massenspektakels Punk Rock Konzert. Anti-Flag sind eine nette Band, die aufhört zu spielen wenn jemand im Pit hin fällt, aber auch eine Band die versucht als Meinungsbildner zu agieren von einer Bühne, die dafür ein wenig zu hoch ist. Ob beim Publikum mehr als „George Bush ist blöd“ angekommen ist, wage ich zu bezweifeln, bzw. ob sich auf einem Anti-Flag Konzert mehr Menschen mit aktivistischem Potenzial (sagen wir grosszügigerweise 50 von 1200) befinden als auf einem Submission Hold Konzert (50 von 200). Der Wille bei der Band diese Quote zu verbessern ist aber vorhanden und vielleicht finden sie noch adäquatere Methoden.

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Interview: Alva Dittrich

Links (2015):
Wikipedia
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